VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 26.01.2007 - 12 K 1938/06.A - asyl.net: M10035
https://www.asyl.net/rsdb/M10035
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Christen, Apostasie, Konversion, Missionierung, Religion, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Religionsfreiheit, Anerkennungsrichtlinie, Verfolgungsbegriff, Verfolgungshandlung, Antragstellung als Asylgrund, Auslandsaufenthalt, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung, Depression, depressives Syndrom
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 3; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 9; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage hat keinen Erfolg.

Auch im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 60 Abs.1 AufenthG liegt eine nachträglich zugunsten des Klägers geänderte Sachlage insofern nicht vor.

Zunächst begründen der in Deutschland erfolgte Übertritt des Klägers zum christlichen Glauben und die Teilnahme des Klägers an Gottesdiensten nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung.

Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 5. September 2001 - 6 A 3293/01.A -, vom 13. Februar 2002 - 5 A 4412/01.A -, vom 13. Mai 2004 - 5 A 1833/04.A -, vom 1. Juni 2005 - 5 A 1737/05.A - und vom 2. Dezember 2005 - 5 A 4684/05.A -; OVG Hamburg, Urteile vom 22. Februar 2002 - 1 Bf 486/98.A - und vom 29. August 2003 - 1 Bf 11/98.A -; Sächsisches OVG, Urteil vom 4. Mai 2005 - A 2 B 524/04 -) sind moslemische Apostaten, die in Deutschland zum christlichen Glauben übergetreten sind und ihren Glauben hier betätigen, dieserhalb im Iran nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt, wenn sie in Deutschland - über Aktivitäten wie regelmäßige Gottesdienstbesuche oder Gespräche mit Gleichgesinnten hinaus - eine missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position entfalten, die nach außen erkennbar und mit Erfolg ausgeübt wird, oder die sich aus sonstigen Gründen ausnahmsweise in vergleichbarer Weise deutlich von der missionarischen Tätigkeit anderer Apostaten abhebt.

Der Kläger hat auch nicht deshalb einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs.1 AufenthG vorliegen, weil er im Falle einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unzumutbaren Eingriffen in seine Religionsfreiheit ausgesetzt wäre.

Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist dies aber nicht schon dann der Fall, wenn die Religionsfreiheit, gemessen an der umfassenden Gewährleistung, wie sie etwa Art.4 Abs.1 und 2 GG enthält, Eingriffen und Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Diese müssen vielmehr ein solches Gewicht erhalten, dass sie in den elementaren Bereich eingreifen, den der Einzelne unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde wie nach internationalem Standard als so genanntes religiöses Existenzminimum zu seinem Leben- und Bestehenkönnen als sittliche Person benötigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 C 9/03 -, BVerwGE 120, S.16 ff.).

An den vorstehend aufgezeigten Maßstäben ist nach Auffassung der Kammer auch in Ansehung der Richtlinie des Rates der Europäischen Union 2004/83/EG vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: RL) (vgl. Amtsblatt der Europäischen Union vom 30. September 2004, L 304/12) festzuhalten (a.A. Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe, Urteil vom 19. Oktober 2006 - A 6 K 10335/04 - und VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2006 - 2 K 2682/06.A -, jeweils abrufbar in JURIS).

Zwar bestimmt Art.10 Abs.1 b) RL, dass bei der Prüfung der Verfolgungsgründe "zu berücksichtigen" ist, dass der "Begriff der Religion" unter anderem die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich - worunter die Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten fallen dürfte - und auch sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen - womit wohl auch die Missionierung gemeint sein dürfte - umfasst.

Dies stellt jedoch zunächst nur eine nähere Definition des Begriffs der Religion dar und stellt insofern klar, wann bei vorausgesetzter Verfolgung diese an die Religionszugehörigkeit anknüpft und deshalb als Verfolgung wegen der Religion anzusehen ist.

Dieser Begriffsbestimmung kann hingegen nicht entnommen werden, dass jede im Heimatland drohende Beeinträchtigung der so umschriebenen Religionsfreiheit bereits eine zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungshandlung darstellt. Dies ist nach der Systematik der Richtlinie vielmehr nur dann anzunehmen, wenn an die Religion im Sinne des Art.10 Abs.1 b) RL anknüpfende Eingriffe das Gewicht von Verfolgungshandlungen im Sinne des Art.9 Abs.1 RL aufweisen, vgl. auch Art.9 Abs.3 RL. Demgemäß lässt sich allein aus der in Art.10 Abs.1 b) RL enthaltenen Begriffsbestimmung insbesondere auch nicht ableiten, dass hiernach bereits das Verbot einer öffentlichen Religionsausübung als solches - ohne schon erfolgte oder unmittelbar drohende Eingriffe in Leib, Leben oder persönliche Freiheit - als Verfolgung zu qualifizieren ist (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 C 9/03 -, a.a.O. zu der ähnlichen Begriffsbestimmung unter Nummer 72 im "Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft" des UNHCR).

Dies wäre vielmehr nur dann der Fall, wenn schon dem Verbot einer öffentlichen Religionsausübung bzw. hieran anknüpfenden Sanktionen, die der Rückkehrer jedoch durch den Verzicht auf eine öffentliche Betätigung seines Glaubens vermeiden kann, das Gewicht einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art.9 Abs.1 RL zukäme. Nach Auffassung der Kammer ist das (ggf. sanktionierte) Verbot der öffentlichen Religionsausübung im Heimatland allein jedoch seinem Gewicht nach nicht als Verfolgungshandlung im Sinne des Art.9 Abs.1 RL anzusehen.

Gemäß Art. 9 Abs.1 a) RL gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art.15 Abs.2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (vgl. dazu näher Artt.2, 3, 4 Abs.1 und 7 EMRK). Gemäß Art.9 Abs.1 b) RL gelten als Verfolgung auch Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art.9 Abs.1 a) RL beschriebenen Weise betroffen sind.

Nach dieser Regelung ist notwendige Voraussetzung für die Annahme einer Verfolgungshandlung demnach, dass sie sich - allein oder gemeinsam mit anderen - als schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt. Von einer schwerwiegenden Verletzung der grundlegenden Menschenrechten kann jedoch, wenn wie im vorliegenden Zusammenhang nicht Eingriffe in Leib, Leben oder persönliche Freiheit des Betroffenen, sondern in die Religionsfreiheit in Rede stehen, wiederum nur dann gesprochen werden, wenn sie - im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen. Diesen Maßstab haben das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht für den Bereich der Religionsausübung aber wie dargelegt dahin konkretisiert, dass nur Verletzungen des sogenannten forum internum, nicht jedoch Verbote oder sonstige Eingriffe betreffend die öffentliche Glaubensbetätigung im Heimatland (einschließlich Missionierung) von entsprechendem Gewicht sind, woran folglich auch in Ansehung der Qualifikationsrichtlinie weiterhin festzuhalten ist.

Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass bei diesem Verständnis der Qualifikationsrichtlinie kein Raum für eine Flüchtlingsanerkennung wegen des Verfolgungsgrundes der öffentlichen Religionsausübung verbliebe. Eine hieran anknüpfende Flüchtlingsanerkennung käme etwa dann in Betracht, wenn - anders als im vorliegenden Fall - wegen einer in Deutschland erfolgten öffentlichen Glaubensbetätigung bei einer Rückkehr ins Heimatland dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erhebliche Eingriffe in Leib, Leben oder persönliche Freiheit drohen würden. Dem unverfolgt ausgereisten Asylbewerber, dem auch wegen seiner in Deutschland erfolgten Konversion und Glaubensbetätigung keine Rechtsgutbeeinträchtigungen von solchem Gewicht drohen, ist es jedoch nach wie vor anzusinnen, im Falle einer Rückkehr zur Vermeidung hieran anknüpfender Repressalien eine öffentliche Betätigung seines Glaubens zu unterlassen und diesen nur im privaten Rahmen zu leben.

In Anwendung dieser Maßstäbe hat der Kläger - die Ernsthaftigkeit seines Glaubenswechsels unterstellt - im Falle einer Rückkehr in den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit unzumutbaren Beeinträchtigungen seiner Religionsfreiheit zu rechnen.

Es entspricht ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, dass das religiöse Existenzminimum im obigen Sinne im Iran gewahrt ist und moslemische Apostaten im Iran insbesondere nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben, wenn sie sich zum gemeinsamen Gebet und Gottesdienst mit Gleichgesinnten abseits der Öffentlichkeit zusammenfinden (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5. September 2001 - 6 A 3293/01.A -, vom 13. Februar 2002 - 5 A 4412/01.A -, vom 13. Mai 2004 - 5 A 1833/04.A -, vom 1. Juni 2005 - 5 A 1737/05.A - und vom 2. Dezember 2005 - 5 A 4684/05.A -; OVG Hamburg, Urteile vom 22. Februar 2002 - 1 Bf 486/98.A - und vom 29. August 2003 - 1 Bf 11/98.A -; Sächsisches OVG, Urteil vom 4. Mai 2005 - A 2 B 524/04 -, a.a.O.).