OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 17.04.2007 - 10 LC 262/05 - asyl.net: M10065
https://www.asyl.net/rsdb/M10065
Leitsatz:

Keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG für Roma aus dem Kosovo wegen Abschiebungsstopperlasses; Erlasslage knüpft an die fehlende Zustimmung von UNMIK zur Rückführung an und lässt nicht den Schluss zu, Roma sei die Rückkehr ins Kosovo unzumutbar.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Serbien, Kosovo, Roma, Bleiberechtsregelung 2006, Härtefallregelung, subsidiärer Schutz, abgelehnte Asylbewerber, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Ablehnungsbescheid, Bindungswirkung, Ausländerbehörde, Abschiebungsstopp, Erlasslage, extreme Gefahrenlage, Ausreisehindernis, freiwillige Ausreise, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Zumutbarkeit, Erlasslage, UNMIK
Normen: AufenthG § 23 Abs. 1; AufenthG § 23a Abs. 1 S. 4; AufenthG § 25 Abs. 3; AsylVfG § 42 S. 1; AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

Keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG für Roma aus dem Kosovo wegen Abschiebungsstopperlasses; Erlasslage knüpft an die fehlende Zustimmung von UNMIK zur Rückführung an und lässt nicht den Schluss zu, Roma sei die Rückkehr ins Kosovo unzumutbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

2. Des Weiteren kann das Verpflichtungsbegehren der Klägerin nicht auf § 23a AufenthG (Aufenthaltsgewährung in Härtefällen) gestützt werden, da diese Bestimmung subjektive Rechte des Ausländers nicht vermittelt, § 23a Abs. 1 Satz 4 AufenthG.

3. Der Klägerin kann eine Aufenthaltserlaubnis auch nicht aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG erteilt werden.

b. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes zugunsten der Klägerin nach diesen Bestimmungen ist auf Grund der die Beklagte und den Senat bindenden Feststellung des Bundesamtes zu verneinen. Solange diese Feststellung des Bundesamtes Bestand hat, ist die Ausländerbehörde daran gebunden (§ 42 Satz 1 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG -).

Die Beklagte war auch nicht ausnahmsweise gehalten, das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf die Klägerin zu prüfen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 27. Juni 2006 (BVerwGE 126, 192 [195 f.]) zwar ausdrücklich offen gelassen, ob ausnahmsweise bei ehemaligen Asylbewerbern eine eigene Prüfung durch die Ausländerbehörden zulässig und geboten ist, wenn der Ausländer geltend macht, ihm drohe in seinem Herkunftsland infolge der allgemeinen Gefahrenlage eine extreme Gefahr für Leib oder Leben, die in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach dieser Vorschrift führen müsste, jedoch das Bundesamt eine solche Feststellung wegen Bestehens eines vergleichbaren Schutzes nicht treffen kann und darf. Diese Ausnahme kann ihre Rechtfertigung darin finden, dass der betroffene Ausländer selbst bei Vorliegen einer extremen Gefahrenlage für Leib und Leben in seinem Heimatstaat eine Änderung der Feststellung des Bundesamtes zu § 60 Abs. 7 AufenthG dann nicht erreichen kann, wenn seine Abschiebung auf Grund eines Abschiebestopp-Erlasses nicht droht oder ein vergleichbarer Abschiebeschutz besteht (zu den Anforderungen eines vergleichbaren Abschiebeschutzes vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. September 2005 - BVerwG 1 B 13.05 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 2). Ob ein solcher Ausnahmefall wegen der angeführten Erlasse des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport betr. die Rückführung von Angehörigen ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo vorliegt, kann offen bleiben, weil weder die Klägerin eine extreme Gefahrenlage geltend gemacht hat noch Anhaltspunkte für eine solche Gefahrenlage in ihrem Heimatland ersichtlich sind.

d. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG.

Die Klägerin ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht gehindert, freiwillig nach Serbien (einschließlich Kosovo) auszureisen. Es stehen der freiwilligen Ausreise der Klägerin weder tatsächliche noch rechtliche Gründe entgegen.

Zunächst fehlen Anhaltspunkte dafür, dass aus tatsächlichen Gründen eine freiwillige Ausreise der Klägerin nach Serbien nicht möglich ist.

Des Weiteren ist nach der vorerwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, eine freiwillige Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, die die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen unter anderem auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG. Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - BVerwG 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 [197]).

Anhaltspunkte für inlandsbezogene Abschiebungsverbote bestehen nicht.

Sonstige Gefahren im Zielstaat, die kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG begründen, führen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats dagegen grundsätzlich nicht zu einer Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Auf sonstige allgemeine Zumutbarkeitserwägungen kann sich daher ein ausreisepflichtiger Ausländer nicht mit Erfolg berufen; solche Zumutbarkeitserwägungen entsprechen nicht der tatbestandlich vorausgesetzten rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Dem Ausländer ist die freiwillige Ausreise aus Rechtsgründen nur unzumutbar, wenn sie ihm wegen zielstaats- oder inlandbezogener Abschiebungsverbote nicht zugemutet wird. Weitergehende allgemeine Zumutbarkeitserwägungen, wie sie etwa im Rahmen einer Härtefallklausel angestellt werden können, sind vom Begriff der Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG nicht erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - BVerwG 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 [199]; Senat, Urteil vom 29. November 2005 - 10 LB 84/05 -, AuAS 2006, 74, und Beschluss vom 12. April 2006 - 10 ME 74/06 -).

Entgegen der Auffassung der Klägerin und des Verwaltungsgerichts ist die freiwillige Ausreise nicht deshalb im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unmöglich, weil nach den Erlassen des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport betr. die Rückführung von Angehörigen ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo nach wie vor keine Abschiebungen dorthin durchgeführt werden. Das Verwaltungsgericht hat eine Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG mit der Erwägung bejaht, die Ausreise sei aus rechtlichen Gründen unmöglich und deshalb sei die freiwillige Rückkehr in das Kosovo auch unzumutbar.

Indes kann von der Unmöglichkeit einer Abschiebung nicht ohne weiteres auf die Unmöglichkeit einer freiwilligen Ausreise geschlossen werden. Zwar führen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG als rechtliche Abschiebungshindernisse in der Regel zugleich zur Unzumutbarkeit einer freiwilligen Ausreise. Demgegenüber können einer Abschiebung auch tatsächliche oder rechtliche Hinderungsgründe entgegenstehen, die für eine freiwillige Ausreise aber ohne oder von minderer Bedeutung sind. Selbst das Vorliegen eines Abschiebestopp-Erlasses der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 AufenthG rechtfertigt nicht zwingend den Schluss, eine freiwillige Ausreise des Ausländers sei unmöglich. Denn im Hinblick hierauf ist zu beachten, dass die oberste Landesbehörde sich aus unterschiedlichen Gründen veranlasst sehen kann, die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten allgemein auszusetzen. Sowohl das Fehlen von tatsächlichen Abschiebungsmöglichkeiten als auch die mit einer Abschiebung verbundenen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten können Grund für eine allgemeine Aussetzung der Abschiebung für bestimmte Gruppen von Ausländern auf dem Erlasswege sein. In diesen Fällen kann nicht darauf geschlossen werden, dass die betroffenen Ausländer nicht freiwillig in ihren Heimatstaat ausreisen können. Allenfalls dann, wenn über längere Zeit ein Abschiebestopp aus humanitären Gründen von der obersten Landesbehörde angeordnet ist, könnte erwogen werden, ob auch eine freiwillige Ausreise aus Rechtsgründen unzumutbar erscheinen kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - BVerwG 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 [198 f.]).

Nach Maßgabe dessen ist die freiwillige Ausreise der Klägerin aufgrund der in Niedersachsen geltenden Erlasslage nach wie vor nicht unmöglich. Den angeführten Erlassen des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport betr. die Rückführung von Angehörigen der ethnischen Minderheiten aus dem Kosovo lässt sich nicht entnehmen, dass von einer Rückführung aus rechtlichen Gründen - etwa aufgrund der humanitären Situation der Minderheitenangehörigen im Kosovo - abgesehen worden ist.

Vielmehr sind die Erlasse aufgrund der tatsächlichen Unmöglichkeit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung in den Kosovo ergangen. Soweit nach den angeführten Erlassen Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo Duldungen zu erteilen sind, wird hierdurch allein der Tatsache Rechnung getragen, dass die Abschiebung in solchen Fällen tatsächlich nicht möglich ist, weil die Betroffenen mangels Zustimmung der UNMIK nicht in den Kosovo und mangels Zustimmung der Behörden von Serbien und von Montenegro auch nicht dorthin abgeschoben werden können. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Abschiebung von Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo wegen der dortigen schwierigen humanitären Verhältnisse ausgesetzt worden ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 24. Oktober 2005 - 8 LA 123/05 -, ZAR 2006, 31; Erlass des Nds. Ministerium für Inneres und Sport vom 8. August 2005). Deshalb kann eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht aus den angeführten Erlassen des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport abgeleitet werden. Hieraus ergibt sich weiter, dass die aus der vom Verwaltungsgericht angenommenen rechtlichen Unmöglichkeit gefolgerte Unzumutbarkeit der freiwilligen Ausreise für Angehörige der Gruppe der Roma aus dem Kosovo ebenfalls nicht vorliegt.