FG Münster

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Zitieren als:
FG Münster, Urteil vom 05.12.2006 - 15 K 2147/06 Kg - asyl.net: M10074
https://www.asyl.net/rsdb/M10074
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Kindergeld, Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, Kinder, eigenständiges Aufenthaltsrecht
Normen: EStG § 62 Abs. 2 Nr. 4; EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3; AufenthG § 32; AufenthG § 34 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

Die Klage ist begründet.

Die Klin. ist kindergeldberechtigt. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des ZuwandG vom 30.07.2004, BGBl I 2004, 1950 fällt die Klin. in den Kreis der Kindergeldberechtigten. Gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 4 EStG erhält ein Ausländer Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einer von den Nummern 1 bis 3 erfassten Personen ist. Die Klin. ist im Jahr 2002, als sie noch minderjährig war, zum Zwecke des Familiennachzugs zu ihrem Vater, der eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG i.V.m. § 25 Abs. 1 AufenthG besitzt, nach Deutschland eingereist. Für die Zeit ihrer Minderjährigkeit fiel sie dem Grunde nach unter den Anwendungsbereich des § 62 Abs. 2 Nr. 4 EStG i.V.m. § 32 AufenthG und wäre somit dem Grunde nach auch kindergeldberechtigt gewesen. Mit Eintritt ihrer Volljährigkeit erstarkte ihr Aufenthaltsstatus zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht (§ 34 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Nach weiteren fünf Jahren kann dem volljährigen Kind unter weiteren Voraussetzungen eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden (§ 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Mit Erteilung der Niederlassungserlaubnis ist der Ausländer wiederum kindergeldberechtigt im Sinne von § 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG.

Nach Auffassung des Senats ist es nicht vom Sinn und Zweck des § 62 Abs. 2 Nr. 4 EStG gedeckt, einem volljährig gewordenen Kind in der Übergangsphase bis zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis die Kindergeldberechtigung abzusprechen, obwohl das Kind bis zum Eintritt der Volljährigkeit dem Grunde nach kindergeldberechtigt gewesen wäre. § 62 Abs. 2 Nr. 4 EStG ist dergestalt auszulegen, dass eine einmal erteilte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Kindernachzugs gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 4 EStG i.V.m. § 32 AufenthG (früher: § 20 AuslG) mit Eintritt in die Volljährigkeit des Kindes nicht erlischt, sondern erstarkt i. S. v. § 34 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Diese Auslegung entspricht auch den Ausführungen im Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004 1 BvL 4-6/97, BFH/NV Beilage 2005, 114. Nach diesem Beschluss verstößt eine Differenzierung der Kindergeldberechtigung nach Art des Aufenthaltstitels gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sofern keine hinreichenden sachlichen Gründe für die Differenzierung bestehen (ebenso Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 25. Aufl. 2006, § 62 Rdnr. 8). Sachliche Gründe dafür, eine Kindergeldberechtigung für Eltern, die ihrerseits im Wege des Kindernachzugs eingereist sind, für die Übergangsphase zwischen dem Ende der Minderjährigkeit und der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ausnahmslos zu versagen, kann der Senat nicht erkennen.