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VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 29.01.2007 - 1 E 1589/06 - asyl.net: M10081
https://www.asyl.net/rsdb/M10081
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Widerruf, Aufenthaltserlaubnis, Ermessen, Ausländerbehörde, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ausreisehindernis, Privatleben, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Integration, Zumutbarkeit, Kinder, Familienangehörige
Normen: AufenthG § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; EMRK Art. 8; AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Aufenthaltstitel des Ausländers kann nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nur widerrufen werden, wenn seine Anerkennung als Asylberechtigter oder seine Rechtsstellung als Flüchtling erlischt oder unwirksam wird. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen liegen hier vor, denn die Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling ist bestandskräftig widerrufen.

Die Entscheidung über den Widerruf des Aufenthaltstitels liegt im Ermessen der Ausländerbehörde. Der Gesetzgeber hat die Ausübung des Ermessens nicht an bestimmte Vorgaben geknüpft und damit der Behörde einen weiteren Ermessensspielraum eröffnet. Bei ihrer Ermessensentscheidung darf die Ausländerbehörde grundsätzlich davon ausgehen, dass in den Fällen des § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG in der Regel ein gewichtiges öffentliches Interesse an dem Widerruf eines nur im Hinblick auf die Flüchtlingsanerkennung erteilten Aufenthaltstitel besteht, falls nicht aus anderen Rechtsgründen ein gleichwertiger Aufenthaltstitel zu gewähren ist (BVerwG, Urt. v. 20.02.2003, BVerwGE 117/380). Der Gesetzgeber geht grundsätzlich davon aus, dass der Wegfall der Asylberechtigung oder Flüchtlingseigenschaft eine Beendigung des darauf beruhenden Aufenthalts nach sich zieht. Das daraus folgende öffentliche Interesse an dem Widerruf des Aufenthaltstitels ist Ausdruck des allgemeinen Gedankens, dass mit dem Wegfall einer für die Gewährung des Aufenthaltstitels wesentlichen Voraussetzung das Aufenthaltsrecht selbst beendet werden kann.

Dieses mit der Akzessorietät zwischen Asyl und Aufenthalt begründete öffentliche Interesse ist mit den anderen öffentlichen Interessen und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers am weiteren Verbleib im Bundesgebiet abzuwägen. Bei dieser Ermessensentscheidung muss die Ausländerbehörde sämtliche Umstände des Einzelfalles in den Blick nehmen, wie sie beispielhaft für die Aufenthaltsbeendigung durch Ermessensausweisung in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführt sind. Hierzu gehören insbesondere die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen einer Aufenthaltsbeendigung für die Familienangehörigen oder Lebenspartner, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit dem Ausländer in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft leben sowie die tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung. Liegen Duldungsgründe i.S.v. § 60 a AufenthG vor und ist eine Abschiebung des Ausländers in absehbarer Zeit tatsächlich oder rechtlich nicht unmöglich, wird die Ausländerbehörde in der Regel von einem Widerruf des Aufenthaltstitels absehen müssen.

Bei der Bewertung und Gewichtung der persönlichen Belange sind die Behörden nicht daran gebunden, ob dem Ausländer deswegen jeweils eine der im Gesetz typisierten Aufenthaltstitel erteilt werden dürfte oder nicht. Auf solche speziellen typisierten Erteilungsvoraussetzungen kommt es nicht an. Die speziellen Beschränkungen oder Vergünstigungen bei den gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels sind nicht auf den anderen Kapiteln des Aufenthaltsgesetzes geregelten Instrumentarien zu übertreten. Demgemäß kann dem Ausländer bei der Ausübung des Widerrufsermessens nicht schematisch entgegengehalten werden, er erfülle die besonderen Anforderungen eines typisierten Aufenthaltstitels oder die allgemeinen Voraussetzungen des § 5 AufenthG nicht. Bei ehemaligen Flüchtlingen ist überdies die gesetzgeberische Wertung des § 26 Abs. 3 AufenthG zu berücksichtigen, wonach das Aufenthaltsrecht eines Flüchtlings durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne Bindung an die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen und den Übergang in eine Niederlassungserlaubnis nach 3 Jahren abgesichert ist. Ziel dieser Absicherung ist es, die Integration des verfolgten Ausländers in die deutsche Gesellschaft nach Möglichkeit zu fördern. Demgemäß kommt den von dem Flüchtling während dieser Aufenthaltsphase erbrachten - vom Gesetz gewollten Integrationsleistung - besondere Bedeutung zu. Verläuft die Integration erfolgreich ist es mit öffentlichen einwanderungs- und auch bevölkerungspolitischen Belangen vereinbar, den betreffenden Ausländer - seinen Integrationswillen und seine Integrationsleistung nutzend - im Land aufzunehmen und von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen.

Gelingt diese Integration nicht, rückt der allgemeine Gedanke in den Vordergrund, dass mit dem Wegfall einer für die Gewährung des Aufenthaltstitels wesentlichen Voraussetzung das Aufenthaltsrecht selbst beendet werden kann.

Der Beklagte hat zunächst zu Recht festgestellt, dass dem Kläger kein Aufenthaltsrecht auf anderer Rechtsgrundlage zusteht.

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privatlebens. Art. 8 Abs. 2 EMRK regelt, dass der Eingriff einer Behörde in die Ausübung dieses Rechtes nur unter bestimmten Bedingungen statthaft ist.

Die in § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG vorausgesetzte Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen Gründen kann deshalb nach Auffassung des erkennenden Gerichts erst dann angenommen werden, wenn der Ablehnung der begehrten Aufenthaltserlaubnis bzw. des Widerrufs einer Aufenthaltserlaubnis Eingriffsqualität im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK zukommt. Insoweit ist allerdings anerkannt, dass die mit einem längeren Aufenthalt regelmäßig einhergehende Gewöhnung an die Verhältnisse im Aufenthaltsstaat für sich genommen nicht dazu führt, einen weiteren Verbleib verneinende Entscheidung als Eingriff zu werten (vgl. HessVGH, Beschluss Az.: 7 TG 106/06; VGH Baden-Württemberg Beschl. v. 02.11.2005 Az: 1 S 3023/04 InfAuslR 2006 S. 70 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte).

Von einem Eingriff in diesem Sinne kann vielmehr erst dann ausgegangen werden, wenn der in einer ablehnenden Entscheidung über eine begehrte Aufenthaltserlaubnis liegende Verweis darauf, das Privatleben nunmehr im Heimatland zu führen, vor dem Hintergrund der begrenzenden Funktion des Ausländerrechtes schlechthin unerträglich wäre. Bei der Beurteilung der rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise auf Tatbestandsebene reicht es hingegen nicht aus, eine bloße, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Zumutbarkeitsprüfung durchzuführen (so aber VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 02.11.2005 Az.: 1 S 3023/04 a.a.O., vgl. ferner Beschl. des HessVGH Az.: 7 TG 106/06). § 25 Abs. 5 AufenthG stellt nicht auf den Maßstab der Zumutbarkeit ab. Nach seinem Wortlaut spricht diese Norm ausdrücklich von "Unmöglichkeit" und nicht von "Unzumutbarkeit". Nichts anderes folgt aus einer systematischen Auslegung der Norm. Während der Gesetzgeber in § 25 Abs. 3 S. 2 AufenthG die Frage der Zumutbarkeit anspricht, ist dies in § 25 Abs. 5 AufenthG gerade nicht der Fall (vgl. auch Urt. des Niedersächsischen OVG vom 29.11.2005, Az.: 10 LB 84/05, wonach sich aus dem Gesetzesmaterialien nichts für einen gesetzgeberischen Willen zur Einführung eines eigenständigen Tatbestandsmerkmales der Zumutbarkeit ergebe).

Auch der Anspruch auf Achtung des Privatlebens kann sich somit zu einer Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen Gründen nur dann verdichten, wenn das Privatleben faktisch nur mehr im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK geführt werden kann oder mit anderen Worten es schlechthin unerträglich wäre, den Betreffenden darauf zu verweisen, dass er nunmehr sein Privatleben wiederum in seinem früheren Heimatland führen muss. Hiervon kann beim Kläger und seiner Ehefrau aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts im Heimatland vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland offensichtlich nicht ausgegangen werden. Dies gilt aber letztlich auch im Hinblick auf die Kinder der Kläger. Auch insoweit rechtfertigt allein der Umstand, dass ein Ausländer als Kind in den Vertragsstaat eingereist ist bzw. dort geboren wurde, dort aufgewachsen und dort zur Schule gegangen ist, noch nicht den Schluss auf ein Aufenthaltsrecht. Insoweit kann nämlich nicht auf das einzelne Kind einer Familie abgestellt werden. In einer Konstellation wie vorliegend kommt es bei der Frage, ob das zu achtende Privatleben zu einer Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen Gründen führt, auf eine familienbezogene Gesamtbetrachtung an.

Daneben hat der Beklagte aber auch die vom Kläger erbrachte Integrationsleistung mit dem ihrem zukommenden Gewicht in die Ermessenserwägungen eingestellt. Und in diesem Rahmen festgestellt, dass der Kläger und seine Familie nicht wirtschaftlich integriert sind.