OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.02.2007 - 11 LB 307/05 - asyl.net: M10088
https://www.asyl.net/rsdb/M10088
Leitsatz:

1. Der Tatsache, dass die Kosten für einen Abschiebungshäftling im Jahr 2001 in Niedersachsen geringer waren als für einen Gefangenen im Strafvollzug, trägt die Behörde im Rahmen einer Kostenanforderung gemäß § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG (jetzt: § 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) ausreichend dadurch Rechnung, dass sie den in dem genannten Rechnungsjahr zugrunde zu legenden Tageshaftkostensatz für einen Gefangenen im Strafvollzug um rund 16 v.H reduziert.

2. Die Anordnung von Abschiebungshaft gegenüber einer minderjährigen (16-jährigen) Ausländerin ist verhältnismäßig, wenn sie mit ihren Eltern abgeschoben werden soll und zu diesem Zweck gemeinsam mit ihren Eltern in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht wird.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Abschiebungskosten, Kosten, Haftkostenbeitrag, Höhe, Minderjährige, Kinder, Eltern, Mitverursachung, Rechtmäßigkeit, Prüfungskompetenz, Verwaltungsrechtsweg, Rechtsweg, Verhältnismäßigkeit
Normen: AuslG § 83 Abs. 4 S. 1; AuslG § 83 Abs. 1 Nr. 2; StVollzG § 50 Abs. 2; VwKostG § 13 Abs. 1 Nr. 1; AuslG § 57 Abs. 2; FreihEntzG § 3
Auszüge:

1. Der Tatsache, dass die Kosten für einen Abschiebungshäftling im Jahr 2001 in Niedersachsen geringer waren als für einen Gefangenen im Strafvollzug, trägt die Behörde im Rahmen einer Kostenanforderung gemäß § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG (jetzt: § 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) ausreichend dadurch Rechnung, dass sie den in dem genannten Rechnungsjahr zugrunde zu legenden Tageshaftkostensatz für einen Gefangenen im Strafvollzug um rund 16 v.H reduziert.

2. Die Anordnung von Abschiebungshaft gegenüber einer minderjährigen (16-jährigen) Ausländerin ist verhältnismäßig, wenn sie mit ihren Eltern abgeschoben werden soll und zu diesem Zweck gemeinsam mit ihren Eltern in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht wird.

(Amtliche Leitsätze)

 

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

1. Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit das Verwaltungsgericht ihrer Funktionsvorgängerin nur einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für die bei den Klägern vollzogene Abschiebungshaft in Höhe des Haftkostenbeitrags gemäß § 50 Abs. 2 StVollzG zugestanden hat. Die Kläger sind verpflichtet, die Abschiebungshaftkosten in der tatsächlich entstandenen Höhe zu tragen. Zu ihrer Inanspruchnahme berechtigt § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG, wonach die nach Abs. 1 und Abs. 2 genannten Kosten von der zuständigen Behörde durch Leistungsbescheid in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten erhoben werden. Die Kosten der Abschiebung umfassen nach § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG auch die Kosten für die Abschiebungshaft. Bei § 83 AuslG handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Revisionsurt. v. 14.6.2005 - 1 C 15.04 -, DVBl. 2006, 53) um eine Regelung, die spezialgesetzlich den Umfang der Kostenhaftung u.a. für ausländerrechtliche Abschiebungen bestimmt. An diese Auslegung ist der Senat gemäß § 144 Abs. 6 VwGO gebunden. Die Kläger sind deshalb dem Grunde nach verpflichtet, die Kosten ihrer 33-tägigen Abschiebungshaft zu tragen.

Der von der Beklagten nach Reduzierung des Tageshaftkostensatzes geforderte Betrag von 2.166,12 Euro (33 Hafttage x 65,64 Euro) für jeden Kläger ist nicht zu hoch angesetzt. Mit dem Abschlag trägt die Beklagte den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts in dem Revisionsurteil vom 14. Juni 2005 (- 1 C 15.04 -, a. a. O.; vgl. auch Urt. d. Sen. v. 25. 3. 2004 - 11 LB 327/03 -, InfAuslR 2004, 361; VG Hamburg, Urt. v. 14. 11. 2001 - 22 VG 702/98 -, V. n. b.) Rechnung, wonach nur die tatsächlichen Kosten der Abschiebungshaft, nicht aber die (höheren) tatsächlichen Kosten für Gefangene im Strafvollzug beansprucht werden können. Im Strafvollzug fielen auch Kosten an, welche die Abschiebungshäftlinge nicht beträfen, wie z. B. Maßnahmen zur Resozialisierung oder eine sozialtherapeutische Betreuung. Daran gemessen bestand für den ursprünglich geforderten Tageshaftkostensatz von 78,18 Euro keine ausreichende Rechtsgrundlage. Denn nach dem Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums vom 23. Januar 2003 (Az. 4402 I-303.72) errechnete sich der Betrag von 152,90 DM aus den Kosten für einen Gefangenen im Strafvollzug in Niedersachsen in Jahr 2001.

Darüber hinaus ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die tatsächlichen Kosten für die Abschiebungshaft landesweit für ein Rechnungsjahr ermittelt hat. Eine Differenzierung nach einzelnen Haftanstalten und eine weitergehende Aufteilung und Zuordnung der Kosten für die Abschiebungshaft, getrennt nach Männern, Frauen und Jugendlichen bzw. Heranwachsenden, gebietet § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG nicht.

2. Der Kläger zu 2) ist verpflichtet, die auf seine Tochter entfallenden Abschiebungskosten zu tragen.

a) Wie bereits im Urteil des Senats vom 25. März 2004 - 11 LB 327/03 -, a. a. O., ausgeführt, kommt der Kläger zu 2) als Kostenschuldner für die auf seine Tochter entfallenden Abschiebungskosten in Betracht. Neben den Kostenschuldnern des § 82 AuslG haften für die Kosten der Abschiebung eines minderjährigen Kindes auch die Eltern, wenn sie die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen ihr minderjähriges Kind nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG mit veranlasst haben. Letztgenannte Vorschrift bestimmt, dass zur Zahlung der Kosten verpflichtet ist, wer die Amtshandlung veranlasst hat. Entgegen der Ansicht des Klägers zu 2) ist die Aufzählung der Kostenschuldner in § 82 AuslG nicht abschließend. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Revisionsurteil vom 14. Juni 2005 - 1 C 15.04 -, a. a. O., verdeutlicht, dass diese Regelung, die als Schuldner von Kosten einer Abschiebung neben dem Ausländer (Abs. 1) noch den Verpflichtungsschuldner (Abs. 2), den Beförderungsunternehmer (Abs. 3), den Arbeitgeber (Abs. 4 Satz 1) und den Schleuser (Abs. 4 Satz 2) nennt, der Präzisierung und Erweiterung der fortbestehenden Veranlasserhaftung, nicht hingegen ihrer Begrenzung dient. Der Kläger zu 2) scheidet deshalb nicht von vornherein als Pflichtiger der Kosten der Abschiebung seiner Tochter aus.

cc) Der Kläger zu 2) haftet auch hinsichtlich der Kosten der Abschiebungshaft seiner Tochter. Die Verhängung von Abschiebungshaft gegen die Tochter E. des Klägers zu 2) war rechtmäßig. Nach den vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Revisionsurteil vom 14. Juni 2005 (- 1 C 15.04 -, a.a.O.) entwickelten Grundsätzen ist die Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaft Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Ausländers. Nach gefestigter Rechtsprechung dürfe Abschiebungshaft gegen Minderjährige nur dann verhängt werden, wenn mildere Maßnahmen, z.B. die Unterbringung in einer Jugendeinrichtung, nicht in Betracht kämen und sowohl die Haftantrag stellende Behörde wie auch das Haftgericht derartige mildere Mittel geprüft und abgelehnt hätten. Im Anschluss an diese Ausführungen vermisst das Bundesverwaltungsgericht eine Untersuchung des Berufungsgerichts dazu, ob im vorliegenden Fall mildere Maßnahmen als die Verhängung von Abschiebungshaft von der Ausländerbehörde und im Verfahren auf Anordnung der Sicherungshaft vom Amtsgericht geprüft und mit Recht als ungeeignet verworfen worden seien.

Der erkennende Senat hat Zweifel, ob die Verwaltungsgerichte rechtlich verpflichtet sind, nachträglich die Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaft zu kontrollieren. Sie ergeben sich daraus, dass die Entscheidung, durch welche eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, gemäß § 57 Abs. 2 AuslG i.V.m. § 3 FrhEntzG den Amtsgerichten zugewiesen ist. Es muss allerdings nicht abschließend geklärt werden, ob im vorliegenden Fall wegen des Entscheidungsmonopols der ordentlichen Gerichtsbarkeit und wegen der Rechtskraft der zugrunde liegenden Entscheidung des Amtsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.4.1978 - 2 C 7.75 -, Buchholz 238.4 § 31 SG Nr. 11) eine Inzidentprüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte zu verneinen ist. Denn im vorliegenden Fall war die Anordnung von Sicherungshaft gegenüber der Tochter des Klägers zu 2) rechtmäßig, weil mildere und weniger einschneidende Maßnahmen als die gemeinsame Unterbringung der Tochter des Klägers zu 2) mit ihrer Mutter, der Klägerin zu 1), in der Justizvollzugsanstalt ... von vornherein nicht in Betracht kamen.

Nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls war es allein sachgerecht, die Tochter des Klägers zu 2) gemeinsam mit ihrer Mutter, der Klägerin zu 1), in der Abschiebungshaft unterzubringen. Soweit die zivilgerichtliche Rechtsprechung (OLG Köln, Beschl. v. 11.9.2002 - 16 Wx 164/02 -, NVwZ-Beil. I 8/2003, 64; OLG Braunschweig, Beschl.v . 18.9.2003 - 6 W 26/03 -, InfAuslR 2004, 119; OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.8.2004 - 20 W 245/04 -, veröffentl. in juris) die Ausländerbehörde im Falle Minderjähriger als verpflichtet ansieht, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als milderes Mittel zur Vermeidung von Abschiebungshaft die Unterbringung in geeigneten Jugendeinrichtungen in Erwägung zu ziehen, handelt es sich ersichtlich um Fallgestaltungen, in denen die Ausländerbehörde beabsichtigte, Maßnahmen zur Sicherung der Abschiebung allein gegen einen Minderjährigen zu ergreifen. Es ist nachvollziehbar, dass bei Minderjährigen, die allein, also ohne Eltern oder andere Verwandte, abgeschoben bzw. in Abschiebungshaft genommen werden sollen, die Vollziehung einer Haftanordnung zu dauerhaften psychischen Schäden führen kann (OLG Köln, Beschl. v. 11.9.2002 - 16 Wx 164/02 -, a.a.O.). Hier lag der Fall aber anders, weil die Tochter des Klägers zu 2) nicht allein, sondern gemeinsam mit ihren Eltern abgeschoben werden sollte.

Außerdem war die Gefahr, dass die Tochter des Klägers zu 2) in der Abschiebungshaft psychisch erkrankt, erheblich herabgesetzt, weil gewährleistet war, dass sie gemeinsam mit ihrer Mutter in der Abschiebungshaft untergebracht wird.

Dagegen wendet der Kläger zu 2) vergeblich ein, es wäre ausreichend gewesen, ihn allein in Abschiebungshaft zu nehmen, um die gemeinsame Ausreise der gesamten Familie zu sichern. Ein solches Vorgehen kam nicht in Betracht. Es bestand die Gefahr, dass sich die Klägerin zu 1) und ihre Tochter gemeinsam oder getrennt einer Abschiebung entziehen würden. Sämtliche Familienmitglieder sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten in das Bundesgebiet eingereist. Angesichts der darin zum Ausdruck kommenden Mobilität und Selbständigkeit der einzelnen Familienmitglieder, auch der Tochter des Klägers zu 2), durfte die Ausländerbehörde davon ausgehen, dass die Anordnung von Abschiebungshaft gegen den Kläger zu 2) nicht ausreichen würde, um auch die Ausreise der Klägerin zu 1) und der gemeinsamen Tochter zu veranlassen.