VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 22.02.2007 - 5 A 752/05 - asyl.net: M10118
https://www.asyl.net/rsdb/M10118
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Kurden, PKK, Verdacht der Unterstützung, Reformen, Menschenrechtslage, Änderung der Sachlage
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 13.12.2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der angefochtenen Widerrufsverfügung ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (mit dem Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 - BGBl I, 1950 - ist § 73 Abs. 1 nur insoweit geändert worden, als die Bezugnahme auf § 51 Abs. 1 AuslG in die Bezugnahme auf § 60 Abs. 1 AufenthG geändert worden ist).

Ausgehend davon, dass der Kläger nach der Formulierung im rechtskräftigen Urteil des erkennenden Gerichts vom 20.01.1998 - 5 A 5532/95 - ("nachdem sie ebenfalls als Terroristen angesehen wurden und als solche wiederholt misshandelt worden sind") im Verdacht der Unterstützung der PKK stand und schon vor seiner Ausreise aus der Türkei Verfolgungsmaßnahmen erlitten hatte, kann angesichts der aktuellen Situation in der Türkei nicht mit der hinreichenden Sicherheit davon ausgegangen werden, dass ihm bei einer Rückkehr keine erneute Verfolgung droht.

Zur aktuellen Situation von Kurden, die in der Türkei im Verdacht der Unterstützung der PKK stehen und zur aktuellen Menschenrechtslage hat das Niedersächsische OVG (U. v. 18.07.2006 - 11 LB 75/06 und 11 LB 264/05 -, Rechtsprechungsdatenbank des Niedersächsischen OVG im Internet) umfassend ausgeführt, dass kurdische Volkszugehörige, die einer Zusammenarbeit mit der PKK oder sonstiger herausgehobener separatistischer bzw. terroristischer Aktivitäten konkret verdächtigt werden, trotz des Reformprozesses in der Türkei nach wie vor einer individuellen politischen Verfolgung ausgesetzt sein können.

Zwecks Vermeidung von Wiederholungen nimmt das erkennende Gericht auf diese Feststellungen Bezug und schließt sich ihnen auch unter Würdigung der ihm vorliegenden und in seiner Erkenntnismittelliste aufgeführten Unterlagen an. Es bestehen danach bereits erhebliche Zweifel daran, ob in der Türkei generell eine grundlegende dauerhafte Veränderung des politischen Systems stattgefunden hat, wie sie nach dem oben Gesagten Voraussetzung für den Widerruf der Asylanerkennung nach § 73 AsylVfG i. V. m. Art 1 C Ziff. 5 GFK ist. Insbesondere hinsichtlich der Verfolgung von kurdischen Volkszugehörigen, die in den Verdacht der Unterstützung der PKK geraten sind, liegen diese Voraussetzungen jedenfalls nicht vor. So hat das Niedersächsische OVG in einem der genannten Verfahren (11 LB 75/06) eine Verfolgungsgefahr wegen des Verdachts der Unterstützung der PKK sogar angenommen, obgleich es nur den normalen Prognosemaßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden hatte. Da der normale Prognosemaßstab im Asylwiderrufsverfahren - wie hier - nicht genügt, sondern die drohende Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden muss, ist für den Kläger erst recht von einer Verfolgungsgefahr auszugehen.