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OLG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.03.2007 - 2 W 54/07 - asyl.net: M10135
https://www.asyl.net/rsdb/M10135
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Anhörung, Prozessbevollmächtigte, Landgericht, Verfahrensmangel, Sachaufklärungspflicht
Normen: FEVG § 5 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 104
Auszüge:

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG; 564 ZPO). Amts- und Landgericht haben gegen ihre Pflicht verstoßen, den Betroffenen ordnungsgemäß anzuhören.

1. Nach § 5 Abs. 1 FEVG; Art. 103 Abs. 1, 104 GG hat das Amtsgericht den Betroffenen zu einem Antrag der Ausländerbehörde auf Verlängerung der Sicherungshaft grundsätzlich persönlich anzuhören. Die Anhörung bildet das Kernstück der Amtsermittlungspflicht (§ 3 Satz 2 FEVG; 12 FGG). Wird der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten, so ist diesem Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen. Unterbleibt dies, so ist die Anhörung nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung fehlerhaft, weil nicht auszuschließen ist, dass der Betroffene im Beisein seines Anwalts Angaben macht, die für die Entscheidung des Gerichts bedeutsam sein können (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 27.03.2006, 3 W 16/06, bei Melchior; OLG Celle, Beschluss vom 3.03.1999, 17 W 16/99, bei Juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 7.04.2003, 20 W 117/03, bei Juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8.11.2005, 11 Wx 32/05, LS bei Juris). Vorliegend war aus den Akten, die dem Amtsgericht seit dem 1.02.2007 vorlagen, ersichtlich, dass der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten wurde. Der Mitteilung des Amtsgerichts an den Betroffenen gemäß Protokoll, "die Benachrichtigung sei wegen der Kürze der Zeit unterblieben", entnimmt der Senat, dass der Amtsrichter nicht einmal den Versuch unternommen hat, mit dem Verfahrensbevollmächtigten telefonisch oder per Fax in Verbindung zu treten. Der Hinweis auf die "Kürze der Zeit" ist unerheblich. Er würde in allen Fällen vorliegender Art in verfassungswidriger Weise anwaltlichen Beistand praktisch unmöglich machen, weil typischerweise die vor der Anhörung zur Verfügung stehende Zeit wegen der Pflicht zur unverzüglichen Vorführung des Betroffenen nach Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG (vgl. auch §§ 204 Abs. 5 und 6, 181 Abs. 4 LVwG S-H) stets kurz bemessen sein wird. Sollte der Verfahrensbevollmächtigte nicht gänzlich verhindert oder unerreichbar sein (was seine Beiziehung entbehrlich machen würde) wird in den meisten Fällen auch angesichts der Eilbedürftigkeit eine zeitliche Absprache zwischen Gericht, Ausländerbehörde bzw. Polizei und Anwalt zumutbar und möglich sein. Der Umstand, dass dem Verfahrensbevollmächtigten keine Gelegenheit gegeben worden ist, an der Anhörung teilzunehmen, reicht nach allem aus, einen Verfahrensfehler zu begründen. Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht ohne weiteres darauf, denn dieses hat mit der Weigerung des Betroffenen, das Protokoll zu unterzeichnen und den Namen des Verfahrensbevollmächtigten mitzuteilen, ausdrücklich seine Überzeugung begründet, dieser werde künftig nicht freiwillig ausreisen.

2. Auf Grund der genannten Vorschriften besteht auch für das Beschwerdegericht grundsätzlich die Pflicht, den Betroffenen erneut anzuhören. Hiervon kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn gegenüber der Anhörung durch das Amtsgericht offensichtlich keine neuen Erkenntnisse für die Sachverhaltsaufklärung zu erwarten sind und auch ein persönlicher Eindruck nicht erforderlich ist. Eine Ausnahme scheidet indessen von vornherein aus, wenn eine Anhörung vor dem Amtsgericht nicht stattgefunden hat oder fehlerhaft war, und der Betroffene dies in der Erstbeschwerde ausdrücklich rügt (vgl. OLG Rostock a.a.O. m.w.Nw.; OLG Celle a.a.O.). In diesem Fall geht es nicht um die Frage einer erneuten Anhörung, sondern einer ordnungsgemäßen Erstanhörung, die nicht mit der vom Landgericht verwendeten Floskel, entscheidungserhebliche Erkenntnisse seien nicht zu erwarten gewesen, entbehrlich gemacht werden kann. Würde diese formelhafte vorweggenommene Sachverhaltswürdigung akzeptiert, würde praktisch die verfassungsrechtlich geschützte Anhörungspflicht zur beliebigen Disposition gestellt.

3. Nach allem kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Da der Verfahrensfehler in der vorliegenden Form einer nur fehlerhaften Anhörung nach Auffassung des Senats heilbar ist, war die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, um die Anhörung in ordnungsgemäßer Weise nachzuholen (vgl. OLG Celle a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.).