OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 05.03.2007 - 3 A 12/07 - asyl.net: M10138
https://www.asyl.net/rsdb/M10138
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak

 

Schlagwörter: Irak, Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Jesiden, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgungsdichte, Nordirak, religiös motivierte Verfolgung, Religion, religiöses Existenzminimum
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak

(Leitsatz der Redaktion)

 

Dem Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 12.12.2006 - 2 K 46/06.A -, mit dem das Verwaltungsgericht den Widerrufsbescheid der Beklagten vom 13.4.2005 bestätigt hat, kann nicht entsprochen werden.

Die Klägerin, die yezidischen Glaubens ist und ihren Glauben nach dem Ergebnis der Anhörung vor dem Verwaltungsgericht sowohl im Irak als auch in Deutschland mit Gebeten und Fasten zuhause praktiziert, stützt ihren Zulassungsantrag auf die von ihr vorgetragene grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 III Nr. 1 AsylVfG).

Als Grundsatzrüge stellt die Klägerin zur Entscheidung des Senats die Frage, ob Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Yezidinnen und Yeziden im Irak einer Gruppenverfolgung unterliegen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne nicht eine Gefährdungslage für Yeziden bejaht, eine Gruppenverfolgung mit Blick auf die Zahl der Übergriffe aber verneint werden.

Diese Unterscheidung entspricht indes der Rechtsprechung.

Die aufgeworfene Frage bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren; sie lässt sich anhand der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung zur religiösen Gruppenverfolgung im Irak und der im Wesentlichen übereinstimmenden Auskunftslage mit Blick auf die Zahl der Yeziden und die Zahl der Verfolgungsschläge im Erkenntnismaterial ohne Weiteres beantworten.

Staatliche Repressionen müssen die Yeziden zwar nicht mehr befürchten (UNHCR, Hintergrundinformation von Oktober 2005).

In der irakischen Verfassung wird die yezidische Religion geschützt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.1.2007, S. 20).

Indessen muss der gesellschaftliche Wandel im Irak seit Saddam Hussein gesehen werden. Aufgrund der Rückbesinnung der irakischen Mehrheitsbevölkerung auf traditionell-islamische Werte und der Radikalisierung konservativ-muslimischer Kreise sind die Yeziden im Irak als nicht-moslemische Minderheit gewalttätigen Übergriffen und Bedrohungen ausgesetzt (UNHCR, Hintergrundinformation von Oktober 2005).

Die Rückbesinnung der islamischen Gesellschaft auf islamische Werte wird auch in neuesten Einschätzungen aus 2007 übereinstimmend von UNHCR und dem Auswärtigen Amt festgestellt (UNHCR, Gutachten vom 9.1.2007 für VG Köln, Seite 8, dort für den Gesamtirak; ebenso Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.1.2007, Seite 23).

Mithin sind die Yezidinnen und Yeziden im Irak Übergriffen aus der Mitte der irakischen Gesellschaft ausgesetzt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.1.2007, Seite 23).

Zu einer religiösen Anerkennung der Yeziden kommt es - wenn auch aus nationalpolitischen Gründen - im Nordirak (Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Gutachten vom 27.11.2006, S. 7).

Maßgebend für die Frage der religiösen Gruppenverfolgung ist wie dargelegt die Verfolgungsdichte.

Ausgehend von den neuesten Zahlen von UNHCR mit 400.000 bis 550.000 Yezidinnen und Yeziden im Irak geht der Senat für die Verfolgungsdichte von einer Durchschnittszahl von 475.000 Menschen aus. 75 % der irakischen Yeziden leben gegenwärtig trotz der früheren Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen von Saddam Hussein in ihren ursprünglichen Wohnorten, in Modelldörfern im traditionellen Siedlungsgebiet Jebel Sinjar, einer Gebirgsregion westlich von Mossul (UNHCR, Gutachten vom 9.1.2007, Seite 1; ebenso amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, Seite 2; zur Sicherheitssituation in den traditionellen yezidischen Dörfern Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 12.9.2005, Seite 7).

Dieser Zahl der Yeziden als Religionsgruppe von rund 475.000 Menschen sind nunmehr die asylerheblichen Eingriffe gegenüberzustellen.

Aus dem vorliegenden Erkenntnismaterial, das den Beteiligten an Hand einer Liste zugänglich gemacht worden ist, ergeben sich landesweite Zahlen der Übergriffe auf Yeziden, die in der Größenordnung zwischen 60 und 137 Eingriffen relativ dicht beieinander liegen und deshalb keiner Ergänzung durch ein Gutachten bedürfen.

Der Senat geht für die Verfolgungsdichte von der höchsten Feststellung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von landesweit 137 Eingriffen aus. Bezogen auf die Gesamtzahl der im Irak lebenden Yeziden von 475.000 Menschen ergibt sich damit eine Anschlagsdichte von 1:3467. Damit sind die Anforderungen an eine Gruppenverfolgung im Sinne der dargelegten aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus 2006 und 2007 nicht erfüllt.

Auch bei einer ergänzenden qualitativen Betrachtung lässt sich nicht feststellen, dass die relativ große Gruppe der Yeziden im Irak durch die referierten asylerheblichen Anschläge in eine ausweglose Lage gebracht würde. Zum einen zwingt die geringe Verfolgungsdichte nicht zu einer landesweiten Geheimhaltung der Religion. Zum anderen erlaubt ihre Religion wie dargelegt keine öffentliche Ausübung vor den Augen Ungläubiger, führt sie also nicht ihrerseits in einen unausweichlichen Konflikt mit der Mehrheitsbevölkerung. Die Klägerin praktiziert ihren Glauben mit Beten und Fasten zu Hause. Im Nordirak wird ihre Religion sogar wie dargelegt anerkannt. Die asylrelevante Religionsfreiheit der Yeziden ist nach allem nicht landesweit verletzt, und zwar weder im Sinne eines religiösen Existenzminimums (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.2004 - 1 C 9/03 -) noch im Sinne einer schwerwiegenden Verletzung der Religionsfreiheit nach Art. 9, Art. 10 der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG (vgl. zur engen Fassung des Verfolgungsbegriffs nach Art. 9 der Qualifikationsrichtlinie Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 1 Rdnr. 100).