FG Düsseldorf

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Zitieren als:
FG Düsseldorf, Urteil vom 23.01.2007 - 10 K 2661/04 Kg - asyl.net: M10207
https://www.asyl.net/rsdb/M10207
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Kindergeld, Einkommenssteuergesetz, Aufenthaltsbefugnis, Altfälle, Rückwirkung, Aufenthaltserlaubnis, Verfassungsmäßigkeit
Normen: EStG § 62 Abs. 2; EStG § 52 Abs. 61a S. 2; AuslG § 30 Abs. 3; AufenthG § 23 Abs. 1; AufenthG § 23a; AufenthG § 24; AufenthG § 25 Abs. 3; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 25 Abs. 4
Auszüge:

II. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat auch für die Zeit von Januar 2003 bis Juni 2003 Anspruch auf Kindergeld für seine Kinder "A", "B" und "C".

Die Anspruchsberechtigung von Ausländern bezüglich des Kindergeldes beurteilt sich seit dem 1. Januar 2006 nicht mehr nach § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996 bzw. der geänderten Fassung aufgrund des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004, sondern nach § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2915). In dieser Fassung ist § 62 Abs. 2 EStG auch in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kindergeld - wie im Streitfall - noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist (§ 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG i. d. F. des Gesetzes vom 13. Dezember 2006).

1. § 62 Abs. 2 EStG in der nunmehr gültigen Fassung stellt sowohl in Nr. 1 als auch in Nr. 2 und Nr. 3 darauf ab, ob der Ausländer eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis "besitzt". Nach dem BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 696 ist diese Voraussetzung nur und erst dann erfüllt, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung der gesetzlich vorgeschriebenen Art tatsächlich in Händen hält, ihm also das Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik durch entsprechenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Bezugszeit des Kindergeldes zugebilligt worden ist (ebenso Felix in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 62 Rdnr. C 9). Der Senat hält diese Auslegung für zutreffend und folgt ihr deshalb.

Danach kann für den Streitzeitraum nur auf den Aufenthaltstitel abgestellt werden, über den der Kläger in dieser Zeit verfügte. Dies war die erstmals am 20. Dezember 1994 erteilte und bis zum 17. Juli 2003 stets verlängerte Aufenthaltsbefugnis, deren Rechtsgrundlage der Senat in § 30 Abs. 3 AuslG sieht.

Die Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 AuslG ist - wie auch andere nach dem AuslG erteilte Aufenthaltstitel - in § 62 Abs. 2 EStG nicht aufgeführt. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass eine nach dem AuslG erteilte Aufenthaltsgenehmigung schon allein deshalb keine anspruchsbegründende Wirkung für einen Zeitraum vor In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) haben kann. Durch § 62 Abs. 2 i. V. m. § 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss sollte ein vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für verfassungswidrig erkannter Rechtszustand beseitigt werden. Das BVerfG hat durch Beschluss vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160) entschieden, dass § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) i. d. F. des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993, der mit § 62 EStG i. d. F. des JStG 1996 nahezu wörtlich übereinstimmte, mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar war, und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung bezüglich des BKGG aufgefordert. Diesem Auftrag wollte der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss nachkommen (vgl. BR-Drucks. 68/06 und BT-Drucks. 16/1368, S. 8).

Die abschließende Fassung, die § 62 Abs. 2 EStG im Gesetzgebungsverfahren gefunden hat, geht auf eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zurück (BT-Drucks. 16/2940). Sie soll im Einklang mit dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 111, 160 gewährleisten, dass ausländische Staatsangehörige, die sich voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten, Familienleistungen - u. a. Kindergeld - erhalten. Bei Aufenthaltstiteln nach den §§ 23 Abs. 1, 23 a, 24 und 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG bedarf es dagegen, um von einem voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt im Inland ausgehen zu können, eines weiteren Indizes, nämlich eines mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts im Bundesgebiet und einer berechtigten Erwerbstätigkeit oder eines einer solchen gleichgestellten Tatbestandes (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG). Diese Erwägungen waren auch Gegenstand der Beratung des Gesetzentwurfs in der vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagenen Fassung im Bundestag (Stenografischer Bericht 57. Sitzung, Plenarprotokoll 16/57, S. 5590 ff.).

Das Ziel des Gesetzgebers, diese Regelung auch auf alle Fälle anzuwenden, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist (§ 52 Abs. 61 a EStG), würde nicht erreicht, wenn die Neuregelung auf Altfälle, in denen Aufenthaltstitel nach dem AuslG und nicht nach dem AufenthG vorliegen, allein deshalb nicht angewendet würde, weil der Antragsteller nicht über einen Aufenthaltstitel nach dem AufenthG verfügt. Der Gesetzgeber hat es nach Auffassung des Senats lediglich versehentlich versäumt, in § 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG eine Regelung aufzunehmen, die für Aufenthaltstitel nach dem AuslG der Neuregelung entspricht. Diese Lücke ist in verfassungskonformer Auslegung der Neuregelung in der Weise zu schließen, dass § 62 Abs. 2 EStG auch auf Aufenthaltstitel nach dem AuslG anzuwenden ist, wenn der Titel zum Zweck der Erwerbstätigkeit erteilt wurde und sowohl er als auch die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung unmittelbar verlängert werden konnten (vgl. BT-Drucks. 16/2940, S. 12). Nur so ist sichergestellt, dass bei Familien wie der des Klägers, die nicht oder nicht in vollem Umfang vom steuerrechtlichen Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 6 EStG) profitieren, aber auch nicht (ausschließlich) von Sozialhilfe leben, die verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit berücksichtigt wird. Gerade für diese Personengruppe hat das BVerfG im Beschluss in BVerfGE 111, 160 (unter B. III. 2. der Gründe) die inhaltlich gleichlautende Vorschrift des § 1 Abs. 3 BKGG in der ab 1994 geltenden Fassung als verfassungswidrig beurteilt.