OVG Mecklenburg-Vorpommern

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Zitieren als:
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 10.01.2007 - 2 L 318/05 - asyl.net: M10260
https://www.asyl.net/rsdb/M10260
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, Abschiebungsandrohung, Ausreisepflicht, Flüchtlingsanerkennung, bona-fide-Flüchtlinge, Aufenthaltsgestattung, Erlaubnisfiktion, Rechtsschutzbedürfnis
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 2; AsylVfG § 34; AufenthG § 59; AsylVfG § 67 Abs. 1; AufenthG § 50 Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 1 S. 3; AufenthG § 81 Abs. 3 S. 1; AsylVfG § 43 Abs. 2
Auszüge:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Abschiebungsandrohung zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger wendet sich gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 14.02.2005. Darin wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen; für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung in die Republik Benin angedroht. Da es sich bei der Aufforderung zur Ausreise lediglich um einen Hinweis ohne eigenständigen Regelungscharakter handelt, ist Streitgegenstand nur die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung.

Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung ist zulässig. Insbesondere fehlt es dem Kläger nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Bei der Abschiebungsandrohung handelt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt, von dem jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, dass er sich für den Kläger auch nachteilig auswirkt. Zwar steht dem Kläger auf Grund der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu; mit deren Erteilung wird die Abschiebungsandrohung sich erledigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1999 - 9 C 12.99 -, NVwZ-Beil. 2000, 25, 27). Dies steht der Bejahung des Rechtsschutzbedürfnisses jedoch nicht entgegen, so lange die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt worden ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Ausländerbehörde hat die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gerade mit Blick auf die erlassene Abschiebungsandrohung verweigert; die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht wegen des hiesigen Verfahrens zurückgestellt.

Die Klage ist auch begründet, weil die Abschiebungsandrohung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der Abschiebungsandrohung ist § 34 AsylVfG. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird und keinen Aufenthaltstitel besitzt.

Allerdings sind die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG hier dem Wortlaut nach erfüllt. Der Kläger ist nicht als Asylberechtigter anerkannt worden und besitzt keinen Aufenthaltstitel. Der Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels steht dessen Besitz grundsätzlich nicht gleich und schließt deshalb den Erlass einer Abschiebungsandrohung gemäß §34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht aus (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 04.03.1999 - 13 S 742/98 -, NVwZ-Beil. 1999, 84; Funke-Kaiser, GK AsylVfG, Stand: 10/06, § 34 Rn. 35; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 10/06, § 34 AsylVfG Rn. 19; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34 Rn. 8). Entsprechendes gilt für das Vorliegen einer Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand: 11/06, § 59 Rn. 12; Hailbronner a.a.O.; Renner a.a.O.).

§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist jedoch dahingehend einschränkend auszulegen, dass eine Abschiebungsandrohung zu unterbleiben hat, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festgestellt wird, d.h. eine Flüchtlingsanerkennung erfolgt (evtl. mit anderer Tendenz BVerwG, Urt. v. 08.02.2005 - 1 C 29/03 -, DVBl. 2005, 982, 986; anderer Ansicht: Renner, a.a.O. § 60 AufenthG Rn. 64 u. §34 AsylVfG Rn. 10; Hailbronner, a.a.O. § 60 AufenthG Rn. 229 u. § 34 AsylVfG Rn. 16; Funke-Kaiser, GK-AufenthG § 59 Rn. 100 u. GK-AsylVfG, § 34 Rn. 84 - wenn auch mit dem Zusatz, die Abschiebungsandrohung mache in diesen Fällen "eigentlich keinen Sinn" -; wie hier im Ergebnis Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, §34 Rn. 2 f. u. 14 f.). Seit In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes am 01.01.2005 (BGBl. I 2004 S. 1950) sind anerkannte Flüchtlinge mit anerkannten Asylbewerbern aufenthaltsrechtlich gleichgestellt.

Begründet damit die Flüchtlingsanerkennung seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes aufenthaltsrechtlich die selbe Rechtsstellung wie die Anerkennung als Asylberechtigter (vgl. Renner, a.a.O. § 25 AufenthG Rn. 18), so besteht kein Anlass zu einer unterschiedlichen Behandlung hinsichtlich des Erlasses einer Abschiebungsandrohung. Wenn § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gleichwohl lediglich für anerkannte Asylbewerber den Erlass einer Abschiebungsandrohung - ebenso wie daran anknüpfend in § 38 Abs. 1 AsylVfG die Setzung einer Ausreisefrist von einem Monat - ausdrücklich ausschließt, nicht aber für anerkannte Flüchtlinge, so erscheint dies als ein gesetzgeberisches Versehen, das im Wege einschränkender Auslegung der Vorschrift zu beheben ist. Allerdings hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 34 AsylVfG bei Erlass des Zuwanderungsgesetzes "in die Hand genommen", indem er die Verweisung auf die §§ 50 und 51 Abs. 4 AuslG durch die Verweisung auf die §§ 59, 60 Abs. 10 AufenthG ersetzt hat (Art. 3 Nr. 24 des Zuwanderungsgesetzes, BGBl. I 2004 S. 1950, 1992), und über § 60 Abs. 10 AufenthG auch die Verbindung zu § 60 Abs. 1 AufenthG hergestellt hat. Dieser Umstand steht der einschränkenden Auslegung aber nicht entgegen (so aber Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn.100). Denn nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 15/420 S. 100, zu Art. 3 Nr. 24 ZuwanderungsG) hat insoweit lediglich eine redaktionelle Anpassung stattgefunden. Dass dabei auch die Folgen der veränderten aufenthaltsrechtlichen Stellung des anerkannten Flüchtlings und seiner aufenthaltsrechtlichen Gleichstellung mit dem anerkannten Asylbewerber bedacht worden wären, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung nicht.

Maßgeblich ist, dass die Ermächtigung des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG an die Ausreisepflicht anknüpft, die sich aus der Erfolglosigkeit eines Asylantrags ergibt, und voraussetzt, dass es einen Aufenthalt in Deutschland gegebenenfalls im Wege der Verwaltungsvollstreckung zu beenden gilt (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.08.2005 - 1 C 29.04 -, NVwZ 2006, 96). Die Ausreisepflicht ist Grundlage der Abschiebungsandrohung; mit ihrem Wegfall erledigt sich die Abschiebungsandrohung (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1999 - 9 C 12.99 - NVwZ-Beil. 2000, 25, 27). Die Abschiebungsandrohung setzt damit eine Ausreisepflicht voraus (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 34 Rn. 72). Entsteht eine Ausreisepflicht nicht, so ist auch keine Abschiebungsandrohung zu erlassen. Eine gleichwohl erlassene Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig und auf eine Anfechtungsklage hin aufzuheben (zu § 59 AufenthG vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 59 Rn. 137; zu § 50 AuslG vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 04.03.1999 - 13 S 742/98 -, NVwZ-Beil. I 1999, 84).

Seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 01.01.2005 ist der anerkannte Flüchtling regelmäßig zu keinem Zeitpunkt ausreisepflichtig. Die Entstehung der Ausreisepflicht wird im AsylVfG nur mittelbar über die Vorschrift des § 67 Abs. 1 AsylVfG betreffend das Erlöschen der Aufenthaltsgestattung geregelt. Hieran knüpft die Vorschrift des § 50 Abs. 1 AufenthG an (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 34 Rn. 72.2).

Insbesondere entsteht eine Ausreisepflicht nicht durch die Entscheidung des Bundesamtes. Die während der Dauer des Asylverfahrens geltende Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, die mit der Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Bundesamtes endet (§ 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG), wird sogleich von der Erlaubnisfiktion gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG abgelöst. Erst recht besteht keine Ausreisepflicht, wenn dem anerkannten Flüchtling gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist.

Auch während der Geltung der Erlaubnisfiktion gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist der anerkannte Flüchtling nicht ausreisepflichtig. Allerdings gilt für die in § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG geregelte Erlaubnisfiktion, dass sie zwar die Ausreisepflicht gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausschließt, aber - wie bereits ausgeführt - gleichwohl nicht die Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs.1 Satz 1 AsylVfG hindert. Folgerungen für die Wirkung der Erlaubnisfiktion gemäß § 25 Abs.2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG können daraus jedoch nicht gezogen werden (so aber wohl Funke-Kaiser, GK-AufenthG § 59 Rn. 100). Dies gilt zunächst im Hinblick auf die besondere Regelung des § 43 Abs. 2 AsylVfG, aus der sich ergibt, dass die Erlaubnisfiktion gemäß § 81 Abs.3 Satz 1 AufenthG der Abschiebung nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens nicht entgegen stehen soll (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG § 59 Rn. 12). Hingegen soll der anerkannte Flüchtling - wie § 25 Abs. 2 AufenthG zu entnehmen ist - gerade nicht abgeschoben werden. Im übrigen wird das Vorliegen einer Erlaubnisfiktion gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bereits mit Wirksamwerden der Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs.1 Satz 1 AsylVfG regelmäßig ohnehin nicht in Betracht kommen. Ein vor rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vermag die Fiktionswirkung nicht auszulösen, weil sie nach § 55 Abs. 2 AsylVfG mit der Aufenthaltsgestattung nicht vereinbar ist; im Falle der aufenthaltsrechtlichen Antragstellung nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens werden bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 81 Abs. 3 AufenthG regelmäßig nicht vorliegen (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG § 43 Rn. 11). Hingegen schließt sich die Fiktionswirkung des § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG an den rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens nahtlos an. Ferner ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Erlaubnisfiktion gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG um die Vorwirkung einer zu erteilenden Aufenthaltserlaubnis und die Ausprägung einer materiellrechtlichen Rechtsstellung handelt, die deshalb ein stärkeres Gewicht besitzt als das bloß verfahrensbegleitende vorläufige Aufenthaltsrecht gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Diese unterschiedliche Bedeutung der Regelungen kommt auch in ihrer unterschiedlichen Reichweite zum Ausdruck: Während § 81 Abs.3 Satz 1, Abs. 4 AufenthG eine Erlaubnisfiktion (nur) "bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde" vorsieht, regelt § 25 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine solche "bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis".

Durch die einschränkende Auslegung des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG dahingehend, dass im Falle der Flüchtlingsanerkennung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG eine Abschiebungsandrohung zu unterbleiben hat, verlieren die Sätze 1 und 3 des § 59 Abs. 3 AufenthG nicht ihre Bedeutung. Sie bleiben jedenfalls für alle Fälle der Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG anwendbar.