OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.04.2007 - 7 A 11437/06.OVG - asyl.net: M10414
https://www.asyl.net/rsdb/M10414
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Einreiseverweigerung, Mun-Bewegung, Vereinigungskirche, Pastoralbesuch, Religionsfreiheit, Schengener Durchführungsübereinkommen, Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Gefahr für die nationale Sicherheit, Ausschreibung, Schengener Grenzkodex, Zurückweisung, Positivstaater, Visumspflicht, Befreiung, Ermessen
Normen: GG Art. 4 Abs. 1; GG Art. 4 Abs. 2; SDÜ Art. 96 Abs. 2; SDÜ Art. 5; AufenthG § 15 Abs. 3; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 3; SDÜ Art. 96 Abs. 1; SDÜ Art. 9 Abs. 1; AuslG § 60 Abs. 3; AuslG § 7 Abs. 2 Nr. 3
Auszüge:

Die Ausschreibung im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung setzt das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit voraus; eine Beeinträchtigung oder Gefährdung der Interessen der Bundesrepublik genügt nicht; die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG vermittelt zwar keinen Anspruch auf Einreise, ist aber bei der Anwendung der einfach-rechtlichen Vorschriften zu beachten (hier: Einreise des Ehepaars Mun).

(Leitsätze der Redaktion)

 

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

Die Feststellungsklage ist - wie aufgrund der Rechtskraft des Zwischenurteils vom 13. September 2000 feststeht - zulässig; sie ist auch in der Sache begründet.

Die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung der Eheleute Mun ist rechtswidrig und verletzt den Kläger als Religionsgemeinschaft in seinen Rechten (§ 43 i.V.m. § 42 Abs. 2 VwGO analog). Durch die Ausschreibung wird das grundrechtlich geschützte Recht auf Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletzt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vorliegenden Rechtsstreit (Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 1908/03 -, InfAuslR 2007, 99) kann die Verletzung von Rechten des Klägers nicht mit der Begründung in Abrede gestellt werden, ein wie 1995 von den Eheleuten Mun in der Bundesrepublik Deutschland geplanter Pastoralbesuch habe keine besondere Bedeutung für die gemeinschaftliche Religionsausübung der Mitglieder des Klägers und keinen spezifisch-religiösen Gehalt für sie. Entsprechende Besuchsvorhaben gehören zu der vom Kläger vertretenen Religion der Vereinigungskirche, deren Gründer und Religionsoberhaupt Sun Myung Mun ist. Dessen zusammen mit seiner Ehefrau geplante Einreise zum Zweck eines Pastoralbesuchs mit Ansprachen vor Gläubigen dient - jedenfalls auch - dem Kontakt der Gläubigen mit dem Religionsstifter, dem nach dem religiösen Selbstverständnis der Vereinigungskirche eine zentrale religiöse Bedeutung zukommt. Auch wenn bei der Betrachtung von außen ein Zusammenhang mit der Religionsausübung nicht zwingend erscheint, kann im Hinblick auf die persönliche Begegnung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft mit ihrem Oberhaupt - von offensichtlich außerreligiösen Begegnungszusammenhängen abgesehen -, nur das jeweilige Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft maßgeblich sein, da insoweit nicht Betätigungen betroffen sind, mit denen die Religionsgemeinschaft über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus in die Gesellschaft hineinwirkt, sondern Kernfragen der Pflege und Förderung ihres Glaubens betroffen sind, die mangels "Einsicht und geeigneter Kriterien" (BVerfGE 102, 370, 394) der Bewertung durch staatliche Stellen entzogen sind. Vor dem Hintergrund des geltend gemachten Selbstverständnisses der Vereinigungskirche bestehen deshalb hier im Blick auf die Berührung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit keine Zweifel.

Diese grundrechtliche Position des Klägers nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Gestalt der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wie auch der Religionsausübungsfreiheit wird durch die Ausschreibung des religiösen Oberhaupts und seiner Ehefrau zur Einreiseverweigerung nicht nur berührt, sondern unter den hier gegebenen Umständen auch verletzt.

Der grundrechtliche Schutz der Religionsgemeinschaft des Klägers führt zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O., Umdruck S. 12) nicht dazu, dass diese von den Regelungen des für alle geltenden Rechts von vornherein ausgenommen wäre. Auch kann danach unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG weder für die Einreisewilligen selbst noch für die an ihrer Einreise interessierte Religionsgemeinschaft ein "Anspruch auf Einreise" abgeleitet werden, weil insoweit nicht etwas anderes gelten kann als für sonstige grundrechtlich geschützte Positionen, wie zum Beispiel solche aus Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfGE 76, 1, 47, 49 ff.). Es ist jedoch geboten, bei der Auslegung und Handhabung der einfach-rechtlichen Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, die hier eine visumfreie Einreise vorsehen und den vorübergehenden Aufenthalt damit grundsätzlich "gestatten", das Eigenverständnis der Religionsgemeinschaft, soweit es in dem Bereich der durch Art. 4 Abs. 1 GG gewährleisteten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung verwirklicht, soweit wie möglich zu berücksichtigen (BVerfG, a.a.O., S. 13 unter Bezugnahme auf BVerfGE 83, 341, 346).

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O., S. 13) ist bei der vorzunehmenden Abwägung zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990 (BGBl. II 1993, S. 1013) - SDÜ - über § 60 Abs. 3 i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AuslG (jetzt § 15 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) hinaus insoweit gebunden hat, als die für alle Schengen-Staaten grundsätzlich verbindliche Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ das Vorliegen von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit voraussetzt. Danach folgt aus den in Art. 96 Abs. 2 Satz 2 SDÜ aufgeführten Beispielen für die Annahme derartiger Gefahren, die auf begangene oder zu befürchtende Straftaten des Ausländers Bezug nehmen, zugleich, dass die mit der Anwesenheit des Ausländers verbundenen Gefahren eine gewisse Erheblichkeit haben müssen.

Der Senat verkennt nicht, dass mit der Ausschreibung selbst noch nicht eine unmittelbare Regelung der Einreise verbunden ist, sondern es sich um die von den einzelnen Staaten veranlasste Einstellung von Daten des Drittausländers in eine zentrale Datenbank handelt, die Grundlage für anschließende grenzpolizeiliche Einreiseverweigerungsmaßnahmen auf national-rechtlicher Grundlage ist, im deutschen Recht demnach auf der Grundlage der von der Beklagten genannten ausländerrechtlichen Bestimmungen. Ungeachtet der Frage, ob daher die Anordnung der Ausschreibung als Verwaltungsakt zu qualifizieren wäre, stellt sie eine gezielte Eingriffshandlung dar, die nicht lediglich den dem Gesetzesvorbehalt nicht unterliegenden "faktisch mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen" zugerechnet werden kann, bei denen Beeinträchtigungen erst von staatlich veranlasstem Verhalten dritter Personen abhängt (vgl. BVerfGE 105, 279 - Osho -, NJW 2002, 2626, 2629); sie zielt staatlicherseits bereits unmittelbar auf das Einreiseverhalten betroffener Personen ab. Die Wirkung der Einreiseverweigerung durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) ist auch nicht durch die staatlichen Bestimmungen des Ausländerrechts über die Einreiseverweigerung vollständig abgedeckt, weil die Wirkungen und Beeinträchtigungen ersichtlich weitergehend sind: Nach Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. d SDÜ (nunmehr inhaltlich gleichlautend geregelt in dem so genannten Schengener Grenzkodex, Verordnung-EG-562/2006) ist einem Drittausländer grundsätzlich die Einreise zu verweigern, wenn er im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist. Die Ausschreibung führt daher regelmäßig zur Einreiseverweigerung im Bereich sämtlicher dem Durchführungsübereinkommen angeschlossener Staaten (derzeit 26 Staaten - vgl. dazu Westphal, InfAuslR 1999, 361). Art. 96 Abs. 2 SDÜ stellt bei dieser Sachlage nicht lediglich eine die einzelnen Staaten bindende völkerrechtliche Norm dar, sondern aufgrund der Transformationsgesetzgebung zugleich die dem Gesetzesvorbehalt entsprechende innerstaatlich wirkende Rechtsvorschrift, an dem der "Informationseingriff" zu messen ist. Während bei so genannten Positivstaatern eine Zurückweisung an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland nach §§ 15 Abs. 3, 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erfolgen kann, wenn bloß "Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet" sind, setzt die Ausschreibung nach Art. 96 Abs. 2 mit ihrer auf sämtliche Außengrenzen der Schengen-Staaten bezogenen Wirkung voraus, dass die Entscheidung auf "die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit" gestützt wird. Bei Überschreitung der Ermächtigungsgrenzen dieses Tatbestandes ergibt sich daher von selbst eine Verletzung des geschützten grundrechtlichen Freiheitsraumes, hier der Religionsfreiheit des Klägers, der von der Einreiseverweigerung in seinem Interesse an der Begegnung mit dem Religionsoberhaupt betroffen ist.

Die vorliegend zu beurteilende Ausschreibung der Eheleute Mun ist rechtswidrig, weil sie bereits von den Ausschreibungsvoraussetzungen nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ nicht gedeckt ist.

a) Der Senat folgt nicht der Auffassung der Beklagten, dass in diesem Sinne eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eines der beteiligten Nationalstaaten schon dann angenommen werden könnte, wenn der Schutz seiner nationalstaatlichen Hoheit hinsichtlich der von ihm vorgesehenen ausländerrechtlichen Zurückweisungsnormen dies gebieten würde. Vielmehr ist im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) anzunehmen, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen der völkerrechtlichen Zusammenarbeit zum Schutz der Außengrenzen des gemeinsamen Binnenraumes dazu verstanden hat, sich an strengere Eingriffsvoraussetzungen für die Ausschreibung zu binden. Mit Blick auf die Zurückweisungsbestimmungen nach nationalem Ausländerrecht (§ 15 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) mag es so liegen, dass für Drittausländer eine Verhinderung der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland - selbst bei so genannten Positivstaatern, die für einen Kurzaufenthalt kein Visum benötigen - bereits auf der Grundlage einer Beeinträchtigung der bloßen "Interessen" des Staates möglich ist. Der Schutz der Interessen der einzelnen Staaten bei Wegfall der Binnengrenzen in einem gemeinsamen Raum des ohne Grenzkontrollen stattfindenden Personenverkehrs fordert zwar an sich die Verlagerung der entsprechenden Instrumente an die Außengrenzen des betroffenen gemeinsamen Raumes; indessen kann angesichts der Interessenvielfalt im Rahmen einer Politik des visumfreien Verkehrs mit Drittstaaten nicht angenommen werden, dass gegenseitig jegliches nationalstaatliche Interesse an der Abweisung von Personen Anerkennung finden kann; vielmehr richtet sich das gemeinsame Interesse nach Sinn und Zweck der Verlagerung der Kontrollen an die Außengrenzen darauf, jedem Mitgliedsstaat ein Mindestmaß an Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Nur dies kann bei sachgerechter Auslegung Inhalt der gemeinsamen Politik der Schengen-Staaten sein. Ob dies auch Rückwirkungen für die Ermessensbetätigung im Rahmen einer bloßen nationalstaatlichen Einreiseverweigerung haben musste, kann hier offen bleiben (vgl. zu diesem Zusammenhang einer gemeinsamen Freizügigkeitspolitik im Schengenraum auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 6 Rdnr. 9 ff.). Für die hier bevorzugte Auslegung spricht auch, dass die Schengen-Staaten sich nach Art. 9 Abs. 1 SDÜ zu einer gemeinsamen Politik hinsichtlich des Personenverkehrs verpflichtet haben.

Die in Art. 5 Abs. 2 SDÜ (nunmehr im so genannten Schengener Grenzkodex) vorgesehenen Ausnahmevorbehalte für die Einreisegewährung durch einzelne Nationalstaaten vermögen an dieser Auslegung nichts zu ändern. Danach muss bei Vorliegen etwa einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung durch jeden der Staaten die Einreise verweigert werden, es sei denn, eine Vertragspartei hielte es aus humanitären Gründen oder aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen für erforderlich, von diesem Grundsatz abzuweichen. Die Abweichung ist mit der Unterrichtungspflicht gegenüber den übrigen Vertragsparteien verbunden. Abgesehen von den erheblichen materiell-rechtlichen Erschwernissen für die ausgeschriebene Person, zu einer Einreise in einzelne Staaten zu gelangen, ergibt sich für sie trotz des Ausnahmevorbehalts faktisch aus der Ausschreibung weiterhin eine so gut wie umfassende Ausschlusswirkung im Hinblick auf den gesamten Schengenraum. Der Ausnahmevorbehalt kann es mit anderen Worten nicht erübrigen, die Schwelle der Ausschreibungsermächtigung in Art. 96 Abs. 2 SDÜ in gewisser Weise als erhöht gegenüber bloßen nationalstaatlichen ausländerrechtlichen "Interessen" anzusehen.

b) Die Verletzung solch gewichtiger öffentlicher Belange infolge der Gewährung der Einreise für die Eheleute Mun hat die Beklagte nicht darzulegen vermocht. Die im Verlaufe des gesamten Verfahrens von der Beklagten geltend gemachten Gründe für die Einreiseverweigerung vermögen die Ausschreibung in diesem Sinne des Tatbestands des Art. 96 Abs. 2 SDÜ nicht zu rechtfertigen.

2. Die Verletzung der genannten grundrechtlichen Normen gegenüber dem Kläger ergibt sich aber unabhängig davon auch daraus, dass bei rechtmäßiger Abwägung der Belange und Interessen der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage der für die Einreiseverweigerung (Zurückweisung) einschlägigen nationalrechtlichen Normen des §§ 15 Abs. 3, 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG (früher § 60 Abs. 3 i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AuslG) mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit des Klägers dem Letzteren der Vorrang zukommt, jedenfalls eine auf dieser Grundlage erforderlich werdende Abwägung von der Beklagten nicht in rechtmäßiger Weise vorgenommen worden ist.

Der Senat kann es in diesem Zusammenhang dahingestellt sein lassen, ob im Falle der Befreiung vom Visumzwang für Kurzaufenthalte, wie hier im Falle der Eheleute Mun als so genannte Positivstaater bei der Entscheidung im Rahmen der § 60 Abs. 3 i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AuslG zu berücksichtigen war, dass "der Aufenthalt damit grundsätzlich gestattet" sei (vgl. BVerfG, a.a.O., Umdruck S. 13). Zwar mag es so liegen - wie die Beklagte in diesem Zusammenhang geltend macht -, dass die Gestaltung des Visumverfahrens nicht zugleich grundsätzlich die materiell-rechtliche Rechtslage verändert, unter der über die Zulassung zum Aufenthalt entschieden werden kann. Indessen dürfte der Entscheidung über die visumfreie Einreise für Kurzaufenthalte wenigstens eine gewisse Bedeutung im Rahmen der Ermessensüberlegungen nicht abzusprechen sein. Die von der Beklagten angeführten Gründe konnten jedenfalls unter Berücksichtigung der erforderlichen Abwägung mit der Religionsfreiheit des Klägers eine ermessensgerechte Entscheidung zur Einreiseverweigerung nicht begründen.