VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.05.2007 - 27 L 297/07 - asyl.net: M10464
https://www.asyl.net/rsdb/M10464
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, abgelehnte Asylbewerber, Ablehnungsbescheid, Ausländerbehörde, Bindungswirkung, Ausreisehindernis, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Privatleben, Aufenthaltsdauer, Integration, Straftaten, Strafurteil, Kindergartenbesuch, Lebensunterhalt, Bleiberechtsregelung 2006, Abschiebungsstopp, Erlasslage, Altfallregelung, Vorgriffsregelung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 25 Abs. 3; AsylVfG § 42 S. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8; AufenthG § 23 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 1; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

Als Abschiebungsschutzantrag ist der Antrag unbegründet, weil die Antragsteller keinen nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht haben.

c) Die Antragsteller haben ebenfalls keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AuslG. Danach soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Hieran fehlt es angesichts des bestandskräftigen Bescheide, in denen das Bundesamt festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG und damit auch nach der hier allein in Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich aller Antragsteller nicht vorliegen. Solange diese negative(n) Feststellung(en) des Bundesamts Bestand hat/haben, ist die Ausländerbehörde daran gebunden (§ 42 Satz 1 AsylVfG). Eine eigene Prüfungskompetenz der Ausländerbehörde, gegebenenfalls unter Beteiligung des Bundesamts gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG, kommt vielmehr nur bei Ausländern in Betracht, die zuvor kein Asylverfahren betrieben haben (zuletzt BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 -, www.BVerwG.de).

e) Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG für eine Aufenthaltserlaubnis liegen ebenso wenig vor.

Abschiebungsverbote bestehen aber auch nicht im Hinblick auf Art. 8 EMRK (Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, Gesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II 685, 953)) geschützte Rechte. Das hier allein in Betracht zu ziehende Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln, und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen (OVG NRW Beschluss vom 7. Februar 2006 - 18 E 1534/05 -, NVwZ-RR 2006, 576 = AuAS 2006, 110).

Insoweit ist zum einen in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Dabei sind als Gesichtspunkte seine wirtschaftliche und soziale Integration, sein rechtlicher Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer seines Aufenthaltes in Deutschland, seine Kenntnisse der deutschen Sprache und seine persönliche Befähigung von Bedeutung. Auf der anderen Seite ist erneut zu fragen, inwieweit der Ausländer - wiederum unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland - von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist (OVG NRW, Beschluss vom 21.12.2006, a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen kann die Unverhältnismäßigkeit einer Abschiebung der Antragsteller nicht festgestellt werden. Die Antragsteller zu 1. und 2. sind im Alter von nahezu 23 bzw. 24 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland aus dem Kosovo kommend eingereist. Sie haben ihre prägende Sozialisation im Heimatstaat erhalten und dort auch Verwandte zurückgelassen. Es ist nichts dafür vorgetragen, dass diese Bindungen in persönlicher, sprachlicher, kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht irreversibel abgerissen sein könnten. Für den im Bundesgebiet am 8. Februar 2003 geborenen und jetzt vier Jahre alten Antragsteller zu 3. ist nicht ersichtlich, dass seine Integration in den Kosovo auf unüberwindbare Schwierigkeiten stoßen könnte. Darüber hinaus ist aus dem Vorbringen der Antragsteller aber auch keine im Lichte des Art. 8 Abs. 1 EMRK Rechtsfolgen auslösende Verwurzelung in Deutschland feststellbar. Die Aufenthaltsdauer der Antragsteller in Deutschland von 15 Jahren ist zwar beachtlich und für sich genommen geeignet, Grundlage einer verfestigten Integration zu sein. Die Aufenthaltsdauer allein vermag sie aber nicht zu begründen. Insoweit ist in Blick zu nehmen, dass die Antragsteller zu 1. und 2. es in dieser enormen Zeitspanne nicht vermochten, eine dauerhafte wirtschaftliche Integration zu erreichen, auch wenn die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hier nicht mit der Frage nach einer gelungenen wirtschaftlichen Integration gleichzusetzen ist (vgl. einerseits OVG NRW Beschluss vom 6.10.2006 - 18 B 1768/06 - wonach gegebenenfalls von einem Schüler der Verzicht auf das Abitur zugunsten einer Erwerbstätigkeit zur Verhinderung der Sozialhilfebedürftigkeit verlangt werden können soll; andererseits VG Stuttgart Urteil vom 20.7.2006 - 4 K 921/06 -, in InfAuslR 2006, 409 412 wonach ein höherer Schulabschluss gerade langfristig auf eine bessere Integration führt, weil das wirtschaftliche Fundament bei besserer Ausbildung solider sein kann).

Nach der Bleiberechtsanordnung des IM NRW vom 11.12.2006 - 15 - 39.08.01-3- in Verbindung mit dem Erlass vom 9.2.2007 (zum selben Az. = Anwendungshinweis) zu Ziffer 1.1.1 ist der Kindergartenbesuch Indiz weitergehender Integration.

Allerdings bleibt dieses Indiz singulär. Insoweit muss in Bezug auf die Antragstellerin zu 2. noch in Blick genommen werden, dass sie mit der geltenden Rechtsordnung gravierend in Konflikt geraten ist. Auch wenn vereinzelte Rechtsverstöße nicht in jedem Fall der Feststellung einer Verwurzelung zwingend entgegenstehen müssen (so etwa: VG Lüneburg Urteil vom 21. Juli 2006, - 3 A 263/05 - in InfAuslR 2006, 407 "keine Straftaten von Gewicht"; a.A. OVG NRW Beschluss vom 8.12.2006 - 18 A 2644/06 - Verstoß gegen deutsche Rechtsvorschriften spricht immer gegen Integration, hier: Falsche Angaben im Asylverfahren (!)) kann aus der Verurteilung durch das AG L1 vom 2. März 2001 wegen gemeinschaftlichem Diebstahl zu 6 Monaten auf Bewährung schon ein Indiz von einigem Gewicht abgeleitet werden.

Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote liegen ebenfalls nicht vor. Da im Falle der Antragsteller, wie ausgeführt, bestandskräftig entschieden ist, dass Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, ist diese Bewertung auch im vorliegenden Zusammenhang zu Grunde zulegen. Ob ausnahmsweise auch bei der Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG eine eigene Prüfungszuständigkeit der Ausländerbehörde hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG im Falle einer extremen allgemeinen Gefahrenlage bei Bestehen eines Abschiebestopp-Erlasses oder eines vergleichbaren Schutzes in Betracht zu ziehen ist (auch zu § 25 Abs. 5 AufenthG offengelassen durch das BVerwG im Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 - (juris)) bedarf mangels Vorliegens einer solchen Extremgefahr keiner abschließenden Erörterung.

f) Ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen auf der Grundlage der Anordnungen des Innenministeriums des Landes Nordrhein- Westfalen nach § 23 Abs. 1 und § 60 a Abs. 1 AufenthG vom 11. Dezember 2006 - 15-39.08.01-3- i.V.m. § 23 Abs. 1 AufenthG besteht ebenfalls nicht. Ungeachtet der den Voraussetzungen entsprechenden Mindestaufenthaltszeiten (Ziffer 1.1.1) steht einem Anspruch der Antragsteller der Ausschlussgrund der Ziffer 1.4.6 entgegen. Danach sind Ausländer von der Regelung ausgeschlossen, die wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurden, wenn das Strafmaß eine Geldstrafe von bis zu 50 Tagessätzen übersteigt. Der (weitgehende) Ausschluss von Straftätern von der Bleiberechtsanordnung ist rechtlich auch nicht zu beanstanden. Ungeachtet der Frage welche Rechtsqualität (Rechtssatz oder Verwaltungsvorschrift) dieser Anordnung zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000, - 1 C 19/99 -, BVerwGE 112, 63; InfAuslR 2001, 70 zur Altfallregelung 1996 und die Ermächtigungsgrundlage aus § 32 AuslG 1990; zur Anordnung 2006: OVG NRW, Beschlüsse vom 13.11.2006 - 18 A 984/06 - und 5.4.2007 - 19 B 117/07 im Ergebnis offenlassend), sind keine rechtlichen Vorgaben (etwa in § 23 AufenthG) ersichtlich, die eine solche Regelung ausschlössen. Auch die Tatbestände des Aufenthaltsgesetzes knüpfen die Erteilung von Aufenthaltstiteln, bzw. deren Versagung und deren Bestand, an strafrechtlich relevantes Verhalten (vgl. etwa: §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 9 Abs. 2 Nr. 4, 53 - 55 AufenthG) ohne dass hieraus ein Verstoß gegen höherrangiges Recht folgte. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) scheidet schon aus, weil die aufenthaltsrechtlich damit verbundene Sanktion nur präventive Ziele verfolgt. Die im Ausschlussgrund grundsätzlich angelegte "Sippenhaft" verstößt auch nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG, weil es die darin geschützten familiären Beziehungen vor staatlichen Eingriffen im Sinne der Trennung als Ganzes schützt. Auch das Institut der Ehe ist nicht gegenüber der nichtehelichen Lebensgemeinschaft durch die Ausschlussregelung benachteiligt, weil die nichteheliche Lebensgemeinschaft schon nicht zum einzubeziehenden Personenkreis der Anordnung nach Ziffer 1.3.1 gehört und damit nicht gegenüber Ehegatten besser gestellt sein kann.

g) Die Antragsteller können auch keine Duldung nach dem Erlass des IM NRW vom 3. April 2007 (15-39.08.02-1-Gesetzliches Bleiberecht) i.V.m. § 60a Abs. 1 AufenthG beanspruchen.