FG Köln

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Zitieren als:
FG Köln, Beschluss vom 09.05.2007 - 10 K 1690/07 - asyl.net: M10465
https://www.asyl.net/rsdb/M10465
Leitsatz:

§ 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, S. 2915, 2916) insoweit mit dem GG vereinbar ist, als die Gewährung von Kindergeld im Falle eines gestatteten oder geduldeten Aufenthalts aus humanitären Gründen von über drei Jahren noch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht wird.

 

Schlagwörter: D (A), Kindergeld, Aufenthaltsbefugnis, Duldung, Aufenthaltserlaubnis, Erwerbstätigkeit, Verfassungsmäßigkeit, Gleichheitsgrundsatz, Verhältnismäßigkeit, Bestimmtheitsgebot, Schutz von Ehe und Familie, Völkerrecht, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, EGMR, Altfälle, Rückwirkung
Normen: EStG § 62 Abs. 2; GG Art. 3; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 20; GG Art. 25; GG Art. 100 Abs. 1; EStG § 52 Abs. 61a S. 2
Auszüge:

§ 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, S. 2915, 2916) insoweit mit dem GG vereinbar ist, als die Gewährung von Kindergeld im Falle eines gestatteten oder geduldeten Aufenthalts aus humanitären Gründen von über drei Jahren noch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Verfahren wird gemäß Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt.

Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, S. 2915, 2916) insoweit mit dem GG vereinbar ist, als die Gewährung von Kindergeld im Falle eines gestatteten oder geduldeten Aufenthalts aus humanitären Gründen von über drei Jahren noch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht wird (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c und Nr. 3 EStG).

IV. Der III. Senat des BFH (BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, zur Veröffentlichung bestimmt, Homepage des BFH vom 9. Mai 2007) und auch das FG Düsseldorf, Urteil vom 23. Januar 2007 10 K 5107/05 Kg (EFG 2007, 600) halten sowohl die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des AuslAnsprG vom 13. Dezember 2006 als auch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG über die rückwirkende Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Altfälle für verfassungsrechtlich unbedenklich.

V. Im Gegensatz dazu hält der vorlegende Senat sowohl die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des AuslAnsprG vom 13. Dezember 2006 als auch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG für verfassungswidrig.

1. Die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des AuslAnsprG vom 13. Dezember 2006 ist zunächst unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG.

c) Durch die Neuregelung werden nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, die lediglich im Besitz eines Aufenthaltstitels gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG sind, sowie langjährig geduldete Ausländer, die von der Neuregelung nach den Ausführungen in der Gesetzesbegründung gar nicht erfasst werden (BT-Drucks. 16/1368 S. 8), schlechter gestellt als Deutsche und Ausländer mit einem gemäß § 62 Abs. 2 EStG hinreichendem Aufenthaltstitel.

d) Die Vereinbarkeit der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG hängt daher davon ab, ob für die getroffene Differenzierung Gründe von solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114). Dies ist jedoch auch hinsichtlich der Neuregelung nicht der Fall.

aa) Die Gesetzesbegründung sowie der III. Senat BFH (BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, zur Veröffentlichung bestimmt, Homepage des BFH vom 9. Mai 2007) und ebenso das FG Düsseldorf, Urteil vom 23. Januar 2007 10 K 5107/05 Kg (EFG 2007, 600) stellen darauf ab, dass das BVerfG im Beschluss vom 6. Juli 2004 das gesetzgeberische Ziel, Kindergeld nur noch solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben, nicht beanstandet habe. Dieser Grundsatz wurde dementsprechend ausdrücklich auch als Zielsetzung der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG formuliert. Das BVerfG a.a.O. hat allerdings an keiner Stelle seines Beschlusses ausgeführt, dass diese Zielsetzung derart außer Frage steht, dass sie auch durch die Anknüpfung an Kriterien wie die des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG verfolgt werden darf; vor allem hat es nicht bestätigt, dass Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.

bb) Nach Ansicht des vorlegenden Senats hat das BVerfG gerade auch die Verhältnismäßigkeit von Ungleichbehandlung und rechtfertigendem Grund in Frage gestellt. So habe der Gesetzgeber zwar im Rahmen seines Gestaltungsspielraums neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Er dürfe jedoch bei der Bestimmung der Art und Weise des Familienleistungsausgleichs nicht allein aus fiskalischen Erwägungen eine Gruppe von Personen, gegenüber denen der Staat aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich zu einem Ausgleich verpflichtet sei, von einer bestimmten Leistung ausschließen, die anderen gewährt werde. Der Ausschluss müsse vielmehr durch Gründe von besonderem Gewicht sachlich gerechtfertigt sein (BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114).

So sei das Kindergeld seit seiner Einführung zum teilweisen Ausgleich der wirtschaftlichen Belastung bestimmt gewesen, die Eltern durch die Sorge für ihre Kinder entsteht. Neben der steuerlichen Entlastungsfunktion habe es immer den Charakter einer allgemeinen Sozialleistung behalten, und zwar auch nach der Systemänderung durch das JStG 1996. Es behalte seine Funktion als Sozialleistung insbesondere dann, wenn - wie im Vorlagefall - keine oder nur eine geringe Einkommensteuer zu zahlen sei. Das Kindergeld als Sozialleistung sei für Eltern umso wichtiger, je niedriger ihr Einkommen und je höher ihre Kinderzahl sei. Zweck der Kindergeldzahlungen für die Gruppe der nicht steuerlich Begünstigten bleibe der Ausgleich der (im Vergleich zu Kinderlosen) verminderten finanziellen Leistungsfähigkeit der Familie. Deutsche, Ausländer mit einem gemäß § 62 Abs. 2 EStG hinreichendem Aufenthaltstitel und Ausländer ohne diese Aufenthaltstitel, die aber in Deutschland legal lebten, seien in gleicher Weise durch die persönlichen und finanziellen Aufwendungen bei der Kindererziehung belastet. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Möglichkeit zur ergänzenden Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt, weil dies einerseits die entstehende Ungleichbehandlung nicht ausgleiche und andererseits die Chance verschlechtern könne, einen verbesserten Aufenthaltsstatus zu erhalten. Deshalb bedürfe es im Lichte des sich für den Gesetzgeber aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden sozialstaatlichen Schutzauftrages besonders gewichtiger Gründe zur Rechtfertigung der entstehenden Ungleichbehandlung (BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114). Im Anschluss daran folgen die Ausführungen zur Ungeeignetheit der ausschließlichen Anknüpfung an den Aufenthaltstitel, um das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, Kindergeld nur noch solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben.

cc) Mit seiner Neuregelung knüpft der Gesetzgeber ungeachtet dieser Ausführungen nach wie vor in erster Linie wieder an den Aufenthaltstitel an, wenn sich auch durch das AufenthG die Struktur der Aufenthaltstitel grundlegend geändert hat. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass die Gründe, die etwa für eine bloße Duldung oder für die Erteilung der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG genannten Aufenthaltstitel maßgeblich sind, nicht typischerweise von nur vorübergehender Natur sind. Nach wie vor ist es so, dass die Gründe, der Wegfall und der Zeitpunkt des Wegfalls des Aufenthaltszwecks ungewiss sind. Auch nach der Neuregelung können eine bloße Duldung oder die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG genannten Aufenthaltstitel ohne weiteres eine Vorstufe zum Daueraufenthalt darstellen, was gerade auch die tatsächliche Fallgestaltung des Vorlagefalls aufzeigt. Die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG genannten Aufenthaltstitel eignen sich deshalb nicht als Grundlage einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts in Deutschland und damit auch nicht als Abgrenzungskriterium bei der Gewährung von Kindergeld. Der Gesetzgeber stellt sich somit im Ergebnis nach wie vor nicht dem Phänomen, dass es eine große Anzahl von Ausländern gibt, die bereits seit vielen Jahren gestattet oder geduldet im Bundesgebiet leben. Deshalb wird die Ungleichbehandlung dieser Gruppe auch nicht durch die Privilegierung (Unterausnahme) der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG genannten Aufenthaltstitel unter den tatsächlichen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG gerechtfertigt, zumal einige der nach den §§ 22 bis 26 des AufenthG vorgesehenen Aufenthaltstitel, bei denen ein Daueraufenthalt nicht zwingend zu erwarten ist (etwa § 22 AufenthG, § 23 Abs. 1 in anderen als Kriegsfällen), sich ohne weiteres ebenfalls zu einem Daueraufenthaltsfall verfestigen können. Die Vorlagefälle zeigen, dass auch ein bloß geduldeter Aufenthalt ohne entsprechenden Aufenthaltstitel, ohne Erwerbstätigkeit und trotz des Bezugs von Hilfe zum Lebensunterhalt gerade beim Vorhandensein von Kindern aus tatsächlichen Gründen so sehr verfestigt sein kann, dass ohne weiteres von einem Daueraufenthalt gesprochen werden kann. Jedenfalls wenn sich der gestattete oder geduldete Aufenthalt im Inland auf einen Zeitraum von drei oder mehr Jahren erstreckt, muss gerade beim Vorhandensein von Kindern davon ausgegangen werden, dass der betreffende Ausländer faktisch auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden kann. Ein Ausschluss vom Kindergeld für Ausländer, die sich - zumindest faktisch - mehr als drei Jahre legal im Inland aufhalten, ist eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, weil aufgrund der miteinzubeziehenden Wertungen der Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG - unabhängig von der Art des Aufenthaltstitels - zu berücksichtigen ist, dass diese Ausländer in gleicher Weise wie Deutsche und wie Ausländer mit hinreichendem Aufenthaltstitel durch die persönlichen und finanziellen Aufwendungen bei der Kindererziehung belastet sind.

Wenn an dem ursprünglichen gesetzgeberischen Ziel fest gehalten werden soll Kindergeld nur noch solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten ist, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben, kann die Kindergeldberechtigung bei tatsächlich verfestigten Daueraufenthalten von drei und mehr Jahren weder davon abhängen, ob angesichts des Aufenthaltstitels ursprünglich ein Daueraufenthalt zu erwarten oder nicht zu erwarten war noch von zusätzlichen Kriterien wie etwa einer Erwerbstätigkeit abhängig gemacht werden. Im Übrigen ist das zusätzliche Kriterium einer Erwerbstätigkeit, das allenfalls begrenzt geeignet ist, die Erwartung eines Daueraufenthalts zu stützen, jedenfalls ungeeignet, einen Daueraufenthalt auszuschließen. So sind Daueraufenthalte nicht nur in der häufigen Konstellation der Vorlagefälle denkbar, in denen der Lebensunterhalt durch Sozialleistungen sichergestellt wird, sondern auch in Fällen, in denen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes einfach nicht erforderlich ist, weil der Unterhalt der Familie durch die Verwaltung eigenen Vermögens sichergestellt wird.

dd) Schließlich ist auch überhaupt nicht feststellbar, dass die Neuregelung Zuwanderungsanreize für - vermeintlich besonders kinderreiche - Ausländer vermindert. Denn es ist weder belegt noch nachvollziehbar, dass das Kindergeld Einfluss auf das Zuwanderungsverhalten der hier betroffenen Gruppe hat (BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114).

2. Über die Unvereinbarkeit der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des AuslAnsprG vom 13. Dezember 2006 mit Art. 3 Abs. 1 GG hält der vorlegende Senat die ergänzende Anknüpfung an "eine berechtigte Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet", die die nach wie vor ungeeignete Anknüpfung an den Aufenthaltstitel ergänzen soll, für zu unbestimmt, um den Anforderungen des Art. 20 GG zu genügen.

a) Das EStG selbst enthält keine Definition des Tatbestandsmerkmals der Erwerbstätigkeit, das außerdem noch in § 4f EStG im Rahmen der Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten (bzw. § 33c EStG bis zu dessen Aufhebung durch das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006, BGBl I, 1091) verwendet wird. Nach der Rechtsprechung des BFH ist unter einer Erwerbstätigkeit eine auf die Erzielung von Einkünften gerichtete Tätigkeit zu verstehen (BFH-Urteil vom 16. Mai 1975 VI R 143/73, BStBl II 1975, 537; ebenso die sozialrechtliche Rechtsprechung im Rahmen der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Erwerbstätigkeit, vgl. BSG-Urteil vom 30. März 2006 B 10 KR 2/04 R, SozR 4-5420 § 2 Nr 1, AUR 2006, 395). Bei Verwendung dieser Definition ist das Tatbestandsmerkmal der Erwerbstätigkeit allerdings vollständig ungeeignet, die Dauerhaftigkeit eines Aufenthalts im Inland zu bestätigen oder in Frage zu stellen.

Allerdings sieht das Bundessozialgericht - etwa soweit es um die Versicherungspflicht von Personen geht - rein vermögensverwaltende Tätigkeiten wie beispielsweise das Vermieten von Wohnungen grundsätzlich nicht als selbstständige Erwerbstätigkeit an.

b) § 2 Abs. 2 AufenthG greift für das Tatbestandsmerkmal der Erwerbstätigkeit auf die sozialrechtlichen Begriffsbestimmungen zurück. Danach ist unter dem Begriff der Erwerbstätigkeit die selbständige Tätigkeit des Ausländers bzw. seine Beschäftigung i.S. § 7 SGB IV zu verstehen. Als "Beschäftigung" in diesem Sinne ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbständige Tätigkeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis anzusehen. Das Sozialrecht unterscheidet dabei - wenn auch ohne einheitliche Terminologie - ferner zwischen ganztägiger und nicht ganztägiger Erwerbstätigkeit (etwa § 142 Abs. 1 Nr. 2 SGB III) bzw. zwischen voller und nicht voller Erwerbstätigkeit (§ 1 Abs. 1 BErzGG), die vorliegt, wenn die wöchentliche Arbeitszeit 30 Wochenstunden nicht übersteigt (§ 2 BErzGG). In den Begriffsbestimmungen des AufenthG heißt es in § 2 Abs. 3 weiter, dass der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert ist, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann, wobei allerdings Kindergeld Erziehungsgeld, Elterngeld oder solche öffentliche Mittel außer Betracht bleiben, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen.

c) Die beklagte Familienkasse sieht das Tatbestandsmerkmal der Erwerbstätigkeit nur im Falle einer vollschichtigen Tätigkeit als gegeben an. Anders als das Sozialrecht sieht das EStG jedoch weder eine Unterscheidung zwischen ganztägiger und nicht ganztägiger Erwerbstätigkeit noch zwischen voller und nicht voller Erwerbstätigkeit vor. Bereits ein kleiner Ausschnitt aus dem Fallspektrum der beim vorlegenden Senat zur Entscheidung anstehenden Fälle verdeutlicht die mangelnde Bestimmtheit des Tatbestandsmerkmals der Erwerbstätigkeit ohne weitere Begriffsbestimmung. So erlaubt die Anknüpfung an den Begriff der Erwerbstätigkeit keine Entscheidung einer Fallkonstellation, in der etwa der Ausländer seit dem Zeitpunkt seiner Einreise in die BRD - etwa wegen Krankheit oder Behinderung - zu keinem Zeitpunkt erwerbsfähig war; der generelle Ausschluss dieser Gruppe vom Kindergeldbezug würde jedenfalls eine unzulässige Diskriminierung darstellen. Weiterhin fraglich ist die Beurteilung von Fällen, in denen der Lebensunterhalt der Familie ausschließlich durch vermögensverwaltende Tätigkeiten wie etwa die Erzielung von Kapital- oder Vermietungseinkünften sichergestellt wird. Des Weiteren bleibt unklar, ob es sich bei der Erwerbstätigkeit um eine Vollzeittätigkeit handeln muss oder ob eine Teilzeittätigkeit ausreicht. Ebenso ist unklar, ob eine Teilzeittätigkeit jedenfalls dann ausreichend ist, wenn sie geeignet ist, den Lebensunterhalt (etwa orientiert an den Sozialhilfesätzen) sicherzustellen, oder ob andersherum eine Vollzeittätigkeit dann nicht ausreichend ist, wenn - was bei minderqualifizierten Tätigkeiten häufig der Fall ist - der Lebensunterhalt mit dieser Tätigkeit nicht sichergestellt werden kann. Sollte eine Teilzeittätigkeit, die in der Lebenswirklichkeit in den allermeisten Fällen von Frauen ausgeübt wird, generell nicht ausreichend sein, würde dies wiederum die Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz in Frage stellen. Sollte eine Teilzeittätigkeit dagegen entweder grundsätzlich oder zumindest dann ausreichend sein, wenn das Entgelt zur Sicherstellung des Lebensunterhalts geeignet ist, drängt sich ferner die Frage auf, ob auch eine geringfügige Beschäftigung etwa im Rahmen von Minijobs ausreicht. Gerade hierbei sind häufig Fallkonstellationen zu beurteilen, in denen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der Familie mehrere Minijobs nebeneinander ausgeübt werden. Darüber hinaus erlaubt die Anknüpfung an den unbestimmten Begriff der Erwerbstätigkeit keine Beurteilung von Fällen, in denen die ausländischen Eltern selbst eine eine Ausbildung machen, um möglicherweise später ein Arbeitsverhältnis eingehen zu können. Entschieden ist lediglich, dass ein bloßes Studium die Voraussetzungen einer Erwerbstätigkeit auch dann nicht erfüllt, wenn es einer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit unmittelbar vorbereitend dient und den Tätigen überwiegend in Anspruch nimmt, weil das Studium selbst nicht auf die Erzielung von Einkünften gerichtet ist (BFH-Urteil vom 16. Mai 1975 VI R 143/73, BStBl II 1975, 537). Dies gilt allerdings nicht, wenn eine vollschichtige Ausbildung gegen Ausbildungsvergütung und damit gegen Entgelt ausgeübt wird.

d) Ungereimtheiten bei der Anknüpfung an den Begriff der Erwerbstätigkeit ergeben sich auch dann, wenn von ausländischen Eltern nur ein Elternteil in einem Arbeitsverhältnis steht und es zur Trennung der elterlichen Lebensgemeinschaft kommt.

e) Weitere Fragen ergeben sich für Fälle der Krankheit des Ausländers. Steht der Ausländer in einem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis, ist unstreitig, dass auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall weiterhin zum Bezug von Kindergeld berechtigt. Ebenso ist unstreitig, dass bei einem erkrankten Bezieher von Arbeitslosengeld die Kindergeldberechtigung fortbesteht, weil dieser analog den Regelungen zur Lohnfortzahlung ebenfalls sechs weitere Wochen Arbeitslosengeld erhält. Ungeklärt ist jedoch, ob die Neufassung des Gesetzes den Kindergeldbezug ausschließen will, wenn nach Ablauf der 6-Wochen-Frist nur noch Krankengeld gezahlt wird.

3. Darüber hinaus verletzt die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des AuslAnsprG vom 13. Dezember 2006 auch Art. 25 GG. Danach sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets. Daraus ergibt sich eine Pflicht des Gesetzgebers, sich völkerrechtskonform zu verhalten. Dies hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung nicht getan. Denn er knüpft wie bereits in der Vorgängerregelung in erster Linie an den Aufenthaltstitel an, ohne sich dem Phänomen zustellen, dass es eine große Anzahl von Ausländern gibt, die bereits seit vielen Jahren gestattet oder geduldet im Bundesgebiet leben, obwohl der EuGHMR mit Urteil vom 25. Oktober 2005 in der Sache 59140/00 (DStR 2006, 1404, BFH/NV 2006, Beilage 3, 357) entschieden hat, dass der Ausschluss von im Inland lebenden Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung vom deutschen Kindergeld gegen das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. Zur Begründung hat der EuGHMR ausdrücklich ausgeführt, dass keine hinreichenden Gründe zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Ausländern beim Kindergeldbezug in Abhängigkeit davon ersichtlich seien, ob sie über eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung verfügten oder nicht.