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VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 21.02.2005 - 8 K 2821/03 - asyl.net: M10470
https://www.asyl.net/rsdb/M10470
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Einbürgerungszusicherung, Klageänderung, Sachdienlichkeit, Straftat, Strafurteil, Ermessen, Nichtberücksichtigungsermessen, Wiederholungsgefahr, Integration
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5; BZRG § 51; StAG § 12a Abs. 1 S. 1 Nr. 3; StAG § 12a Abs. 1 S. 2; VwGO § 91 Abs. 1
Auszüge:

Soweit der Kläger abweichend von seinem bisherigen Klagebegehren (Einbürgerung) nunmehr die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung anstrebt (und insoweit klarstellend eine Neubescheidung des Antrages), handelt sich um eine nach § 91 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Klageänderung. Die Kammer hält diese Änderung für sachdienlich, weil der Streitstoff im wesentlichen derselbe bleibt und die Änderung die endgültige Beilegung des Rechtsstreites fördert.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat nach der hier maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf Neubescheidung, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Dies folgt aus § 10 Abs. 1 i.V.m. § 12 a Abs. 1 Satz 2 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S.1950, 1996).

Der Kläger erfüllt zunächst die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr.1 - 3 StAG.

Der Kläger erfüllt allerdings wegen seiner Verurteilung am 29. Oktober 1998 zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung nicht das sog. "Unbescholtenheitserfordernis" des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr.5 StAG. Diese Straftat unterliegt auch nicht dem Verwertungsverbot nach § 51 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG), weil sie noch nicht getilgt oder zu tilgen ist.

Ist der Ausländer zu einer höheren Freiheitsstrafe verurteilt worden, so wird gemäß § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG im Einzelfall entschieden, ob die Straftat außer Betracht bleiben kann. Diese Entscheidung ist in das Ermessen des Beklagten gestellt und der Kläger hat insoweit einen Anspruch auf fehlerfreie Betätigung des "Nichtberücksichtigungsermessens" (vgl. dazu auch Berlit in Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, Stand: Februar 2002, zu der Vorgängervorschrift § 88 AuslG, Rz. 34 ff.).

Den angefochtenen Bescheiden und der Klagerwiderung lässt sich zwar entnehmen, dass der Beklagte und auch die Widerspruchsbehörde das eingeräumte Ermessen erkannt und ausgeübt haben. Die angestellten Ermessenserwägungen sind jedoch unter Berücksichtigung des maßgeblichen Zeitpunktes für die gerichtliche Entscheidung fehlerhaft i.S. des § 114 Satz 1 VwGO, weil von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. dazu auch Gerhard in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: September 2004, § 114 Rz. 4 ff, 13ff, 15).

Die getroffenen Ermessenserwägungen sind unzureichend und berücksichtigen nicht ausreichend die für den Kläger günstigen Abwägungsbelange. Bei der Ausübung des "Nichtberücksichtigungsermessens" sind die öffentlichen und privaten Interessen umfassend zu ermitteln, würdigen und abzuwägen. Die Ermessensbetätigung und die hierbei zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalles haben sich daran zu orientieren, ob die strafrechtliche Verfehlung nach Art und Gewicht, den Umständen der Tatbegehung sowie der Person des Einbürgerungsbewerbers einer für die Einbürgerung hinreichenden Integration nicht entgegenstehen (vgl. dazu und zu den einzustellenden Ermessenserwägungen Berlit, in Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, Stand: Februar 2002, zu § 88 AuslG, Rz. 36 41 ff. und auch Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Auflg. 2001, § 88 Rz. 4).

Dabei darf sich die Behörde allerdings grundsätzlich auch von einem engen Verständnis des § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG leiten lassen und insoweit bei ihrer Ermessensentscheidung der Höhe der Verurteilung, der Art und Schwere der Straftat und der noch ausstehenden Tilgungsdauer eine starkes Gewicht beimessen. Dementsprechend sehen etwa die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 10. Dezember 2004 (Az.: M 7 - 124 005/13) unter Ziffer 12 a 1.2. vor, dass eine Verurteilung im Rahmen des § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG nur in begründeten Ausnahmefällen in Frage kommt, z.B. wenn eine Tilgung der Beurteilung in nächster Zeit zu erwarten ist oder wenn eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten nicht zur Bewährung ausgesetzt oder nach Ablauf der Bewährungszeit nicht erlassen worden ist (vgl. auch gleichlautend: Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsgesetz vom 13.12.2000 (StAR-VwV) unter Ziffer 88.1.2.).

Die systematische Stellung des § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG legt ein derart enges Verständnis nahe, weil es sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahme zu einer Ausnahmevorschrift handelt, da bereits Abs. 1 Satz 1 der Regelung eine Ausnahme von der Grundvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG vorsieht.

Dementsprechend hat der Beklagte auch zu Recht zu Lasten des Klägers berücksichtigt, dass eine Tilgung der Verurteilung (auch derzeit) noch nicht in naher Zukunft ansteht (erst in 3 ½ Jahren), die Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls (von Textilien) und Hehlerei in 10 Fällen in einem Tatzeitraum von zwei Monaten vor dem 10. September 1997 erfolgte und die Tat vorsätzlich begangen worden ist. Auch lassen sich der Strafakte keine Umstände entnehmen, die einen Rückschluss darauf zulassen, dass es sich bei der Verurteilung um einen Sonderfall handelte.

Jedoch hat der Beklagte zum einen zu Unrecht die Höhe der Verurteilung als eine erhebliche Überschreitung der Bagatellgrenze des § 12 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG angesehen. Diese Gewichtung ist nicht gerechtfertigt, da eine Überschreitung von drei Monaten noch als eine Überschreitung im unteren Bereich anzusehen ist. Nicht berücksichtigt hat der Beklagte zudem, dass der Kläger in der Strafverhandlung umfassend geständig war, die Tat schon damals bereut hat und die Bewährung ohne Bedenken gewährt worden ist. Ebenso hat der Beklagte nicht ausreichend berücksichtigt, dass es sich letztlich bis heute um eine einmalige Verfehlung des Klägers gehandelt hat - auch wenn sich die abgeurteilte Straftat aus mehreren Handlungen zusammensetzt -.

Die Eheleute verfügen derzeit über ein gesichertes gemeinsames Einkommen und haben Grundbesitz erworben. Diese Gesamtumstände lassen einen Rückschluss auf eine stabile persönliche und wirtschaftliche Lebenssituation zu, die gegen die Annahme einer (konkreten) Wiederholungsgefahr sprechen. Ausführungen zu einer Wiederholungsgefahr sind den Ermessenserwägungen des Beklagten im übrigen nicht zu entnehmen. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits als Kleinkind im Alter von 4 Jahren in das Bundesgebiet eingereist, hier aufgewachsen ist und die Schule besucht hat. Der Kläger gehört damit als langjährig im Bundesgebiet lebender Ausländer zu dem Personenkreis, an den sich gerade das Angebot der Einbürgerung nach § 10 ff. StAG richtet, da bei diesen Personen schon von einem hinreichenden Integrationsprozess ausgegangen wird.