VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2007 - 13 K 5114/05.A - asyl.net: M10485
https://www.asyl.net/rsdb/M10485
Leitsatz:
Schlagwörter: Somalia, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage, Kriminalität, warlords, Shiidle, Bantu, Clans, interne Fluchtalternative
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Somalias vorliegen.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind im Fall des Klägers mit Blick auf die allgemeinen Verhältnisse in Somalia erfüllt.

Es ist weiterhin davon auszugehen, dass die Sicherheitslage in Zentral- und Südsomalia einschließlich der Hauptstadt Mogadischu aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Clans, Milizen und Banden sowie durch die allgemeine Kriminalität mangels effektiver Sicherheitsstrukturen äußerst prekär ist (so bereits Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsschutzrelevante Lage in Somalia vom 7. Februar 2006, S. 8; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Die aktuelle Situation und Trendanalyse, 20. September 2004, S. 6, 9 f.; amnesty international, Jahresberichte 2005 und 2006, Somalia).

Die jüngsten Entwicklungen in Somalia haben nicht zu einer Verbesserung der Situation geführt; vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die Sicherheitslage in Zentral- und Südsomalia noch weiter verschlechtert hat.

So wurde sowohl aus Mogadischu als auch Kismayo berichtet, dass es zu einem Aufflammen von Gewalt und Verbrechen gekommen sei. Die vormaligen Kriegsherren ("warlords") sind bestrebt, die unter der Herrschaft der UIC verlorenen Machtpositionen wieder einzunehmen. Ein von der Übergangsregierung eingeleitetes Programm zum Einsammeln von Waffen wurde wegen Erfolglosigkeit eingestellt (United Kingdom Home Office, Country of Origin Information Report Somalia vom 15. Januar 2007, Rdn. 4.02, 8.03).

Hinzu kommen ständige gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Truppen der Übergangsregierung sowie äthiopischen Truppen einerseits und unbekannten Angreifern andererseits, vermutlich UIC-Kämpfern, die aus dem Untergrund operieren.

Bei der Bewertung der Sicherheitslage für Rückkehrer ist überdies zu berücksichtigen, dass die Sicherheit einer Person aufgrund des in Somalia stark ausgeprägten Clansystems, auf dem seit 1991 das Machtgefüge Somalias im Wesentlichen beruht, allenfalls dann gewährleistet ist, wenn sie in den Gebieten ihres Clans lebt, der ihr Schutz gewähren kann. Für Angehörige kleiner Subclans und ethnischer Minderheiten, die diesen Schutz nicht genießen, ist eine entsprechende Sicherheit deshalb in der Regel nicht zu erlangen. Für Angehörige größerer Clans folgt hieraus, dass für diese eine Rückkehr in Gebiete gewährleistet sein muss, in denen ihr Clan beheimatet ist. Voraussetzung ist, dass der direkte Zugang zu den entsprechenden Gebieten gewährleistet ist. Ein Durchqueren von Regionen, die von anderen Clans kontrolliert werden, ist aus Sicherheitsgründen nicht zumutbar (UNHCR, Stellungnahme "Rückkehrgefährdung somalischer Staatsangehöriger", September 2001; amnesty international, Jahresbericht 2005, Kapitel "Rechtsstaatlichkeit").

Rückkehrer, die bezogen auf ihre Clanzugehörigkeit in ein "falsches" Gebiet zurückgeführt werden, können einer lebensbedrohlichen Gefahr ausgesetzt sein (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsschutzrelevante Lage in Somalia vom 7. Februar 2006, S. 17).

Nach diesen Maßstäben gilt hier Folgendes: Der Kläger ist nach seinem glaubhaften Vorbringen Angehöriger der Gruppe der Shiidle (auch als Shidle bezeichnet). Hierbei handelt es sich um eine Untergruppe der Volksgruppe der Bantu (United Kingdom Home Office, Country of Origin Information Report Somalia vom 15. Januar 2007, Rdn. 20.19).

Die Bantu zählen deshalb zu den Minderheiten ohne eigene Clanstruktur (Fischer-Weltalmanach 2007, Somalia, Stichwort "Landesstruktur/Bevölkerung"), denen wegen ihrer kulturellen und ethnischen Unterschiede in der somalischen Gesellschaft nur eine Außenseiterposition zukommt (Médecins sans frontières: Médecins sans frontières in the forgotten crisis of Somalia, Mai 2006, S. 16, United Kingdom Home Office, Country of Origin Information Report Somalia vom 15. Januar 2007, Rdn. 20.22), und die deshalb in erhöhtem Maße unter Armut und Diskriminierung leiden (U.S. Department of State, Bericht vom 8. März 2006 "Country Reports on Human Rights Practices 2005 - Somalia", Section 5, Abschnitt e).

Sie können deshalb auch keinen Schutz durch eigene Clanstrukturen und/oder andere Clans in Anspruch nehmen (United Kingdom Home Office, Country of Origin Information Report Somalia vom 15. Januar 2007, Rdn. 20.22).

Angesichts dieses Hintergrundes und angesichts der aktuellen Situation in Zentral- und Südsomalia würde eine Rückkehr in diese Gebiete den Kläger sehenden Auges einer im Sinne der Rechtsprechung extremen Gefahr für Leib und Leben aussetzen. Zwar kann naturgemäß nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass sich eine solche Gefahr realisieren würde. Bei der Gefahrenbewertung ist aber auch der Rang der gefährdeten Verfassungsrechtsgüter zu berücksichtigen. Angesichts der oben beschriebenen aktuellen Situation in Zentral- und Südsomalia, in der jeder Rückkehrer jederzeit Gefahr läuft, Opfer krimineller Übergriffe, Opfer von Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Clans und/oder Opfer der Kämpfe zwischen den Regierungstruppen nebst ihren Verbündeten und der UIC zu werden, wiegt die dem Kläger für Leib und Leben drohende Gefahr nach Auffassung des Gerichts so schwer, dass ihm eine Rückkehr in sein Heimatland derzeit nicht zugemutet werden kann. Im Hinblick auf die Gefährdung durch Übergriffe anderer Clans oder kriminellen Übergriffe ist überdies zu berücksichtigen, dass der Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur Minderheitengruppe der Shiidle nicht darauf verwiesen werden kann, den Schutz eines (anderen) Clans vor derartigen Übergriffen in Anspruch nehmen zu können. Demgemäß würde ihn eine Rückführung nach Somalia sehenden Auges den o.g. Gefahren aussetzen und damit der Gefahr schwerster Verletzungen oder gar des Todes.

Der Kläger kann schließlich auch nicht darauf verwiesen werden, in den sichereren nördlichen Landesteilen Schutz zu suchen. Insoweit fehlt ihm der notwendige Rückhalt durch Angehörige oder jedenfalls Clanmitglieder, der ihm dort ein Überleben ermöglichen würde.