VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 29.05.2007 - 2 A 204/06 - asyl.net: M10493
https://www.asyl.net/rsdb/M10493
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Suizidgefahr, Folter, Retraumatisierung, Situation bei Rückkehr, fachärztliche Stellungnahme, Glaubwürdigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1. Dafür, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak politische Verfolgung drohen könnte, wurde nichts geltend gemacht und ist auch nach Aktenlage nichts ersichtlich.

Allerdings drohen dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak landesweit Gefahren, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG begründen.

Ein hiernach erhebliches zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne kann sich auch aus einer Krankheit im Sinne des ICD10 - zum Beispiel einer PTBS - eines Ausländers ergeben. Gleichwohl folgt aus der Feststellung des Vorliegens einer PTBS nicht - quasi automatisch - als Rechtsfolge die Verpflichtung des Bundesamtes zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes. Vielmehr muss es infolge der Erkrankung zu einer wesentlichen, lebensbedrohlichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Ausländers kommen (VGL: BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 -, AuAS 2003, 106 = DVBl. 2003, 463, siehe auch: Wolff, Krankheit als zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, Asylmagazin 2004, S. 16; BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58.96 - InfAuslR 1998, 189). Konkret ist eine solche Gefahr, wenn sie alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat drohen würde (BVerwG, Urt. v. 25.11.1997, a.a.O.).

Eine derartige konkrete, lebensbedrohliche Gefährdungssituation liegt bei dem Kläger vor.

Das Gericht ist zunächst davon überzeugt, dass der Kläger seinerzeit den Irak vorverfolgt verlassen hat, dass er nämlich von den Sicherheitsdiensten gefoltert wurde, wobei er unter anderem eine Trümmerfraktur am rechten Oberarm erlitten hatte. Diese Erkenntnis wird vom Bundesamt wohl auch nicht ernsthaft in Frage gestellt.

Ferner ist das Gericht der Auffassung, dass der Kläger aufgrund dieser Folterungen (noch immer) traumatisiert ist, diese Traumatisierungen erheblichen Krankheitswert im Sinne des ICD10 haben und sich im Falle der Rückkehr "reinszenieren" würden, so dass dem Kläger dadurch eine konkrete Lebensgefahr durch Selbsttötung droht. Für eine "kritische" Hinterfragung der Angaben des Kläger durch den Gutachter in Richtung auf andere traumatisierende Ereignisse gab und gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Die Diagnose PTBS ist nicht ohne Anhaltspunkte vergeben worden, so wurden die Erkenntnisse des Hausarztes K. und des Psychiaters G. mit verarbeitet und nicht unkritisch den Angaben des Klägers Glauben geschenkt. Die Beklagte muss sich fragen lassen, warum der Gutachter hier Skepsis an der Glaubwürdigkeit des Klägers hätte walten lassen sollen, wenn diese Bedenken nicht einmal der seinerzeit zuständige Einzelentscheider hatte. Ob die Traumatisierungen allein ursächlich für die psychische Erkrankung des Klägers und die - unzweifelhaft festgestellte konkrete Suizidgefahr - sind, oder ob eine Überlagerung durch eine depressive, asthenische Persönlichkeitsstruktur des Klägers gegeben ist, spielt keine (rechtliche) Rolle.