OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 23.05.2007 - 9 LA 229/06 - asyl.net: M10500
https://www.asyl.net/rsdb/M10500
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Jesiden, Gruppenverfolgung, religiös motivierte Verfolgung, Sheik, religiöse Würdenträger, Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) und der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

Die vom Kläger zunächst als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Fragen, ob yezidischen Würdenträgern (Sheikhs) außerhalb des kurdisch kontrollierten Teils des Iraks auf Grund der Zugehörigkeit zur Gruppe der Yeziden politische Verfolgung drohe, ob die Gefahr von Übergriffen in den yezidischen Dörfern oder sonst in kleinen Dörfern in der Region Sinjar, aus der der Kläger stammt, nicht existiere, und ob Sheikhs als religiöse Würdenträger von Übergriffen betroffen seien, rechtfertigt die begehrte Zulassung nicht. Die Frage, ob Yeziden aus dem ehemaligen Zentralirak einer Gruppenverfolgung wegen ihrer Religionsgemeinschaft unterliegen, ist seit den Urteilen des Senats vom 19. März 2007 (9 LB 373/06 und 9 LB 380/06) geklärt. Darin hat der Senat entschieden, dass bei Irakern yezidischer Glaubenszugehörigkeit im Allgemeinen die Voraussetzungen für einen Widerruf des Abschiebungsschutzes nach § 73 AsylVfG erfüllt sind und dass Yeziden aus dem Irak weder einer Gruppenverfolgung noch - im Regelfall - einer individuellen Verfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit ausgesetzt sind. Die vom Kläger aufgeworfene - weitergehende - Fragestellung einer Verfolgung der Sheikhs als religiöse Würdenträger erweist sich weder als grundsätzlich klärungsbedürftig noch im vorliegenden Fall als entscheidungserheblich. Der Senat hat in dem Urteil vom 19. März 2007 - 9 LB 380/06 - ausgeführt, dass sich die Gefahr einer Verfolgung yezidischer Würdenträger nicht allgemein und grundsätzlich beantworten lässt, sondern eine Frage der konkreten Umstände des Einzelfalls ist. Die vom Kläger seiner Fragestellung zugrunde gelegte Annahme, dass es nicht darauf ankomme, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Irak religiöse Funktionen tatsächlich ausgeübt habe, und vielmehr entscheidend sei, ob er als Mitglied einer Sheikh-Familie als solcher im Irak wahrgenommen würde, teilt der Senat nicht. Bei einer in Betracht zu ziehenden Gefährdungslage aufgrund individueller Merkmale wie etwa bei yezidischen Würdenträgern (vgl. Europäisches Zentrum für Kurdische Studien an VG München vom 26.10.2005) ist entscheidend darauf abzustellen, dass die yezidischen Würdenträger in religiöser Funktion als solche in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Allein die Eigenschaft als Angehöriger einer Sheikh-Familie, auf die der Kläger abstellt, reicht, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht aus. Das Europäische Zentrum für Kurdische Studien hat in seiner Stellungnahme vom 19. März 2007 zur Gefährdung yezidischer Würdenträger ausgeführt, dass sich die spezifische Gefährdung yezidischer Würdenträger, d. h. was gezielte Attentate auf diese anbelange, in erster Linie auf die höchsten Würdenträger - Mir und Baba-Sheikh bzw. deren familiäres Umfeld - beziehe. Darüber hinaus müsse davon ausgegangen werden, dass diejenigen Mitglieder von Sheikh- bzw. Pirfamilien aus der Provinz Niniveh, die religiöse Aufgaben gegenüber der Muriden wahrnähmen, aufgrund der damit verbundenen notwendigen Mobilität einem erhöhten Anschlagsrisiko ausgesetzt seien. Da die ihnen zugeordneten einfachen Yeziden oft in unterschiedlichen Dörfern und Städten verstreut lebten, müssten die Sheikhs respektive Pirs aus Anlass von Geburten, Totenfeiern und anderen Festen zu diesen reisen, was aufgrund der extrem unsicheren Lage auf den Straßen insbesondere im Sindjar mit einem erheblichen Risiko verbunden sei - zumal dann, wenn sie aufgrund traditioneller Bekleidung als yezidische Würdenträger erkennbar seien. Das gelte auch, sofern sie sich als yezidische Würdenträger erkennbar in Städten wie Mossul oder Bagdad aufhielten. Weiter führt das Europäische Zentrum für Kurdische Studien aus, dass nicht alle männlichen Angehörigen einer Sheikh- bzw. Pirfamilie auch religiöse Aufgaben wahrnähmen. In aller Regel übernehme der älteste Sohn diese Aufgaben vom Vater.