OVG Hamburg

Merkliste
Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 12.04.2007 - 1 So 26/07 - asyl.net: M10552
https://www.asyl.net/rsdb/M10552
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Wirkungen der Ausweisung, Befristung, Fristbeginn, Ausreise, Schutz von Ehe und Familie, deutsche Kinder, Kleinkinder
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 4; AufenthG § 25 Abs. 5; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Es besteht für Drittstaatsangehörige kein Anspruch, die Wirkungen einer Ausweisung auf einen Zeitpunkt vor der erstmaligen Ausreise zu befristen.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

2. Weiter begehrt die Klägerin, unter Aufhebung der Bescheide vom 30. März 2006 und vom 16. Mai 2006 die Wirkungen der Ausweisung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts auf sofort ohne Verpflichtung zur Ausreise und Durchführung des Visumsverfahrens zu befristen. Ein solcher Anspruch der Klägerin auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung ohne die Verpflichtung zur Ausreise oder auf eine diesbezügliche ermessensfehlerfreie Bescheidung ist nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin unter ausführlicher Darstellung der Rechtsprechung des BVerfG, des BVerwG und der Obergerichte sowie der Kommentierung ausführt, wegen der beiden deutschen Kleinkinder sei ihre Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu befristen, weil ein Regelfall im Sinne der Vorschrift vorliege, ist die Beklagte diesem Begehren bereits im Oktober 2003 nachgekommen. Denn sie hat unter Berücksichtigung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Ehemann die Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auf einen sehr kurzen, kaum noch zu reduzierenden Zeitraum von einer Woche ab Ausreise befristet. Eine Befristung mit dem Ziel, nicht ausreisen zu müssen, kann die Klägerin nicht verlangen. Diesem Begehren stehen Wortlaut und systematische Funktion des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG entgegen. Danach beginnt bei einer Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung und Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AuslG die Frist mit der Ausreise des Ausländers aus dem Bundesgebiet (vgl. auch § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Diese gesetzliche Bestimmung findet nach ihrem eindeutigen Wortlaut grundsätzlich auch dann Anwendung, wenn einer zwangsweisen Abschiebung oder freiwilligen Ausreise des ausgewiesenen Ausländers - wie im Falle der Klägerin - rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegenstehen.

Auch in den Fällen, in denen gegenwärtig weder eine Abschiebung noch eine freiwillige Ausreise des Ausländers in Betracht kommt, besteht für eine - in der Rechtsprechung vereinzelt für notwendig gehaltene (vgl. ohne nähere Begründung: OVG Bremen, Urteil vom 30.10.2001, InfAuslR 2002, 119) - einschränkende Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dahingehend, dass die Befristungswirkungen ohne Anknüpfung an eine vorherige Ausreise einzutreten hätten, keine Veranlassung. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Fälle, in denen sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise des ausgewiesenen Ausländers nicht möglich sind, bei der Formulierung der Regelung nicht bedacht hat und daher eine Regelungslücke besteht. Dagegen spricht bereits die Entstehungsgeschichte der Vorgängerregelung des § 8 Abs. 2 AuslG, die mit der Neuregelung in § 11 Abs. 1 AufenthG vom 30. Juni 2004 (BGBl. I, S. 1950) nicht geändert wurde.

Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift mit dem von der Klägerin begehrten Ziel, im Falle eines Abschiebungshindernisses aus Art. 6 Abs.1 AufenthG wegen der Unzumutbarkeit der Trennung von den beiden Kleinkindern auf die Ausreise zu verzichten, ist nicht veranlasst. Denn der Gesetzgeber hat neben § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG mit der Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG eine Regelung geschaffen hat, die gerade die hier vorliegende Fallgestaltung eines rechtlichen Abschiebungshindernisses erfasst und zur Vermeidung grundrechtsbeeinträchtigender und unverhältnismäßiger Anforderungen an die Ausreise eine Ausnahme von § 11 Abs. 1 AuslG zulässt.

Zwar mag, wie sich aus der Befristung auf eine Woche ab Ausreise ergibt, der mit der Ausweisung verfolgte Zweck des Fernhaltens wegen der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Falle der Klägerin nicht mehr vorliegen. Gleichwohl erfordert der Status der Klägerin als Drittstaatsangehörige keine Gleichstellung mit EU-Ausländern (a.A. OVG Bremen, a.a.O.).

Auch die Entscheidung des BVerwG vom 13. Dezember 2005 (BVerwGE 125, 1) steht dem so verstandenen Verständnis der Vorschrift nicht entgegen. Danach kann ein anerkannter Flüchtling, dessen Aufenthalt nach einer Ausweisung geduldet ist, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GFK die Ausstellung eines Flüchtlingsausweises verlangen; § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG steht dem nicht entgegen. Das Gericht betont ausdrücklich, dass Ausnahmen von der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur aufgrund spezialgesetzlicher Vorschriften bestehen (vgl. auch Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 10) und sieht Art. 28 GFK als eine solche Sonderregelung an, die neben den Ausnahmen nach §§ 25 Abs. 5, 37 Abs. 3 Nr. 1, 11 Abs. 2 AufenthG Geltung beansprucht.