OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 25.05.2007 - 34 Wx 42/07 - asyl.net: M10597
https://www.asyl.net/rsdb/M10597
Leitsatz:

Die Verhängung von Abschiebungshaft setzt grundsätzlich die Anhörung des nichtehelichen Lebenspartners bzw. Verlobten voraus, wenn es auf die Art und die Intensität der familiären Bindungen ankommt.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Entziehungsabsicht, Anhörung, Prozessbevollmächtigte, Strafverteidiger, Verlobte, religiöse Eheschließung, nichteheliche Lebensgemeinschaft, Sachaufklärungspflicht
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; FreihEntzG § 5 Abs. 3 S. 2; FGG § 12
Auszüge:

Die Verhängung von Abschiebungshaft setzt grundsätzlich die Anhörung des nichtehelichen Lebenspartners bzw. Verlobten voraus, wenn es auf die Art und die Intensität der familiären Bindungen ankommt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Rechtsmittel erweist sich im Feststellungsbegehren als erfolgreich.

1. Durch die Entlassung des Betroffenen aus der Abschiebungshaft ist im Lauf des

Rechtsbeschwerdeverfahrens Erledigung der Hauptsache eingetreten.

b) Jedoch begründet die unterbliebene Anhörung der Verlobten hier die Rechtswidrigkeit der Haft.

(1) Das folgt allerdings nicht bereits aus § 5 Abs. 3 Satz 2 FreihEntzG. Die Bestimmung erfasst nur Personen, die in der vorgeschriebenen Form die Ehe geschlossen haben (vgl. § 1310 BGB, Art. 13 EGBGB). Eine derartige Verbindung ist nicht feststellbar. Eine analoge Heranziehung scheitert schon daran, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt (dazu z.B. BGH NJW 2007, 992/993 m.w.N.; offen gelassen von OLG Brandenburg, InfAuslR 2002, 138), zumal der Gesetzgeber mit § 5 Abs. 3 Satz 3 FreihEntzG erst 2001 eine entsprechende Regelung für Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes geschaffen hat (Gesetz vom 16.2.2001 BGBl I S. 266), dabei aber keine Notwendigkeit erkannte, die Bestimmung auf weitere Formen des Zusammenlebens wie etwa Verlöbnisse oder nichteheliche Gemeinschaften auszudehnen.

(2) Eine Rechtsverletzung ergibt sich hier jedoch aus § 12 FGG. Wenn es in einem Abschiebungshaftverfahren auf die Art und die Intensität von familiären Bindungen ankommt, bedarf es grundsätzlich der (persönlichen) Anhörung des Partners (vgl. OLG Celle InfAuslR 2005, 423; OLG Köln OLG-Report 2005, 408). Davon wird in der Regel nur nach den in § 5 Abs. 3 Satz 4 FreihEntzG aufgeführten Maßstäben abgesehen werden können, also etwa dann, wenn die Person im Ausland lebt oder ihre alsbaldige Erreichbarkeit erkennbar nicht gewährleistet ist. Hingegen kann es nicht davon abhängen, ob die Verlobte bei der richterlichen Anhörung des Betroffenen, mehr oder minder zufällig, bereits anwesend ist (so aber wohl OLG Brandenburg InfAuslR 2002, 138). Auf die strittige Frage, ob die Verlobte gemäß dem Vorbringen des anwaltlichen Vertreters des Betroffenen beim Anhörungstermin vor dem Landgericht zugegen war und nur aus Zeitmangel nicht mehr hatte angehört werden können, kommt es deshalb nicht an.

Dass zwischen dem Betroffenen und Frau A. eine enge eheähnliche Beziehung bestand, wird vom Landgericht nicht in Zweifel gezogen und ergibt sich aus folgenden Umständen:

aa) Der Betroffene gibt unwidersprochen an, mit Frau A. in der gemeinsamen Heimat Armenien kirchlich getraut worden zu sein, weshalb er sie als seine Ehefrau betrachtet. Er hat mit ihr einen 1996 geborenen Sohn.

bb) Der Betroffene und seine Verlobte haben konkrete Heiratspläne in Deutschland, was durch entsprechende Kontaktaufnahme mit dem Standesamt und die Beschaffung notwendiger Papiere wie etwa von Ehefähigkeitszeugnissen auch nach außen hin dokumentiert ist.

cc) Der Betroffene verfügt nach seiner Einlassung in der Bundesrepublik Deutschland über soziale Bindungen. So will er zunächst (seit 2002) bei der Mutter seiner Verlobten und die letzten sieben Monate vor seiner Festnahme bei seiner Verlobten, freilich unangemeldet, gewohnt haben.

dd) Der gegen den Betroffenen ergangene Haftbefehl wegen Verdachts des Kaufhausdiebstahls und des unerlaubten Aufenthalts wurde am 6.3.2007 gegen Wohnsitz- und Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt. Auch dort wurde, trotz Bejahung einer fortbestehenden Fluchtgefahr, von sozialen Bindungen des Betroffenen im Inland ausgegangen.

Demnach bestanden aufgrund der Anhörung des Betroffenen hinreichende Anhaltspunkte, die mit Blick auf Art und Tiefe der Beziehung zu Frau A. für die Beurteilung einer Entziehungsabsicht (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG) von Bedeutung sein können (vgl. auch OLG Köln OLGR 2005, 408; ferner BayObLG InfAuslR 2001, 174). Im Rahmen der gerichtlichen Sachaufklärung gemäß § 12 FGG hätte das Zeugnis der im Gerichtsbezirk wohnhaften, ohne Schwierigkeiten erreichbaren Frau A. zur Verfügung gestanden.