Asylfolgeantrag bei fortlaufender exilpolitischer Betätigung; Wiederaufgreifen des Verfahrens wegen Abschiebungshindernissen; keine Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran; zum Beginn der 3-Monatsfrist gem. § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG bei fortlaufender exilpolitischer Betätigung; fristungebundenes Wiederaufgreifen des Verfahrens durch das BAFl. wegen der Feststellung von Abschiebungshindernissen; Ermessensreduzierung auf Null; Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit bei §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG anhand einer Gesamtschau aller Umstände.
(Leitsatz der Redaktion)
Soweit der Folgeantrag auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 51 Abs. 1 AuslG zielt, hat das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Wie auch bereits das Bundesamt und das Verwaltungsgericht festgestellt haben, liegen die Voraussetzungen nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1-3 VwVfG nicht vor, da die geltend gemachten Gründe bereits im Erstverfahren hätten vorgebracht werden müssen bzw. nicht fristgerecht geltend gemacht wurden. Die Klägerin hat indessen unter teilweise Abänderung des entgegenstehenden Bundesamtbescheids Anspruch auf ein Wiederaufgreifen der Entscheidung zum Abschiebungsschutz - soweit es das Zielland Iran angeht. Wenn auch der Folgeantrag nicht förmlich den Bedarf nach einer Entscheidung im Rahmen des § 53 aufwarf (§ 71 Abs. 5 AsylVfG; siehe auch Bescheid des Bundesamtes vom 9. September 1999, Seite 3), so ist doch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zu berücksichtigen, dass das Bundesamt das Verfahren wegen der Feststellung von Abschiebungshindernissen im Sinne des § 53 AuslG außerhalb des Rahmens des § 51 Abs. 1-3 VwVfW nach Ermessen wiederaufgreifen kann (BVerwG, Urteil vom 7. September 1999 - 1 C 6/99 -, NVwZ 2000, Seite 204, 206; vgl. OVG Rh-Pfl, InfAuslR 1999, 293, 295).
Der Antrag auf Neubescheidung wegen eines Abschiebungshindernisses (§ 53 Abs. 4 AuslG) bezüglich der Abschiebung in den Iran greift hier durch.
Es droht ihr bei Rückkehr über den Flughafen eine Verhaftung durch Sicherheitskräfte und dabei das Erleiden von Folter und erniedrigender Behandlung. Zudem droht eine Bestrafung durch Gefängnisstrafe und Auspeitschung. Die Klägerin wird aufgrund ihres gesamten Verhaltens, wie es sich nach dem Kern ihrer Ausführungen darstellt, welches ihr geglaubt werden kann, als Regimegegnerin angesehen, insbesondere als eine Frau, die mit aller Macht und ihrem gesamten Wesen von dem islamischen System wegstrebt und westlichen Verhaltensweisen nachstrebt und damit die islamische Moral unterhöhlt. Daran, dass die Klägerin insoweit bei den iranischen Auslandsstellen auffällig geworden ist, hat der Senat keine Zweifel. So wird allgemein festgestellt, dass durch den iranischen Nachrichtendienst und andere staatliche und halbstaatliche Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland eine Beobachtung der Auslandsiraner feszustellen ist, deren Intensität und Ausmaß zwar im Einzelnen schwer zu bestimmen sein mag, die sich aber jedenfalls auf exponierte Personen bezieht. Dabei handelt es sich zwar in der Regel um exponierte oppositionelle Betätigung, die solchen Personen zuzurechnen ist, die Führungs- oder Funktionsaufgaben in einer Organisation wahrnehmen oder für solche Ämter kandidieren, an Veranstaltungen teilnehmen, die führenden Mitgliedern der Organisation vorbehalten sind, oder die Verantwortlichen für Presseerzeugnisse, öffentliche Veranstaltungen oder wirtschaftliche Belange der Organisation (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz vom 4. Januar 1999 an das VG Potsdam). Im vorliegenden Einzelfall ergibt sich die exponierte Stellung zwar nicht aus der politischen Funktion, die die Klägerin wahrnimmt, indessen aus den sonstigen Besonderheiten, welche für die Kenntnisnahme der iranischen Stellen spricht, nämlich das Auftreten der Klägerin als Person in der Öffentlichkeit. Dies folgt aus ihrer Funktion als Moderatorin bzw. Ansagerin einer iranischen Sendung des Herrn ... die monarchistisch geprägt ist, im Offenen Kanal Offenbach, der im Frankfurter Raum zu empfangen ist. Die Klägerin ist dort in westlicher Aufmachung aufgetreten und hat, wie sie im gesamten Verfahren sowie in ihrer Anhörung vor dem Senat glaubhaft versichert hat, Anstoß bei Kreisen des iranischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main erregt.
Weil die Klägerin aufgrund solcher Besonderheiten in das Blickfeld von iranischen Auslandsvertretungen geraten ist, liegt es anders als in üblichen Fällen nahe, dass Kenntnis von dem persönlichen Umfeld der Klägerin genommen worden ist. Dabei geht der Senat zwar davon aus, das die ursprünglich genannten Gründe für die Verfolgungsfurcht der Klägerin nicht überzeugen vermögen, insbesondere weil sie sich insoweit auch in Unwahrheit und Widersprüche verstrickt hat. Im Kern nimmt der Senat der Klägerin indessen ab, dass sie - und sei es auch aus dem Motiv heraus, sich einer westlichen Lebensweise zuzuwenden und die Abkehr von den iranischen Verhältnissen zu dokumentieren - sich einer missionierenden christlich-protestantischen Kirche zugewandt hat.
Die entscheidende Frage beim Übertritt im kulturell völlig anders geprägten Ausland stellt sich dahingehend, ob anzunehmen ist, dass der einzelne Betroffene sich auch nach Rückkehr diesen Gefahren auszusetzen bereit ist. Es ist nämlich angesichts der Quellenlage nicht anzunehmen (vgl. insbesondere Orient-Institut a.a.O.), dass schon die Taufe im Ausland als solche einen verstärkten Verdacht erregen wird. Vielmehr kommt es auf die Annäherung an die beschriebenen kleinen Gemeinschaften nach einer Rückkehr in den Iran an. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zutreffend entscheidungserheblich darauf abgestellt, ob angesichts des Umstandes, dass die Klägerin vor ihrer Ausreise aus dem Iran insoweit ein "unbeschriebenes Blatt" war, an einer entsprechenden Hinwendung zu diesen Gruppen zu erwarten ist. ..."
Indessen kommt diesem Merkmal der Übernahme des christlichen Glaubens im vorliegenden Einzelfall keine isolierte ausschlaggebende Bedeutung bei, vielmehr stellt sich die Annäherung an christliche Gruppen nur als ein Merkmal im Gesamtzusammenhang dar, welches den Verdacht gegen die Klägerin als Abtrünnige und Regimegegnerin nährt. Ins Bild passt nämlich insoweit für die iranischen Tugendwächter, wie sie in den Innenbehörden und der Justiz die Herrschaft ausüben, zudem, dass die Klägerin in ihrem Privatleben erheblich gegen den islamischen Sittenkodex verstoßen hat, was bei den zu erwartenden Nachforschungen über ihre Person leicht auf der Hand lag. Der Senat hat insoweit aufgrund des glaubwürdigen Vorbringens zu der Feststellung gelangen können, dass sie in Deutschland in einer nichtehelichen Beziehung mit einem Mann gelebt hat.
Nach den Erkenntnissen des Senats, wie sie sich aus der Auskunftslage ergeben, kommt monarchistischen Gruppen zwar in den Augen der iranischen Auslandsvertretungen nicht die Stellung eines Hauptgegners zu, wenn auch insoweit die oppositionelle Haltung im Einzelfall durchaus in Verfolgung münden kann.
Etwas anderes ergibt sich im vorliegenden Gesamtzusammenhang indessen aus der persönlichen Exponiertheit der Klägerin.
Die Klägerin unterliegt der erheblichen Gefahr, dass sie bei Rückkehr in den Iran aufgegriffen und einer Bestrafung in Form von Haftstrafe und Auspeitschungen zugeführt wird. Unverheirateten Frauen, die der Unzucht verdächtigt werden, drohen, selbst wenn das strenge islamische Strafrecht - das häufig mit strengen Beweisvorschriften gekoppelt ist - nicht zur Anwendung gelangen sollte, wegen der unzüchtigen Verbindung Gefängnisstrafen.
Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Ausübung des Rücknahmeermessens geforderte Schwelle liegt vorliegend in der Wahrscheinlichkeit der Gefahr sowie der Schwere der Rechtsgutverletzungen vor, weil bei der willkürlichen Vorgehensweise der iranischen Verfolgungsorgane erniedrigende Behandlung und Folter zu erwarten sind. Auf das zu erwartende Strafmaß der Haftstrafe als solches, wie dies in Straftatbeständen abgebildet ist, kann nicht allein abgestellt werden, vielmehr kommt es maßgeblich auf die aus dem Gesamtcharakter des Systems zu erwartende Übergriffe an. Die Beklagte war daher zu einer Neubescheidung im Hinblick auf die Ausübung ihres Ermessens zu verpflichten, damit eine Entscheidung zur Einschränkung der Abschiebungszielstaaten, nämlich im Blick auf das Verfolgerland Iran, erfolgt.