VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 11.04.2007 - AN 11 K 07.30096 - asyl.net: M10628
https://www.asyl.net/rsdb/M10628
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Widerruf, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Kommunisten, Gebietsgewalt, Karzai, Kabul, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, Situation bei Rückkehr
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 1
Auszüge:

1. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter ist § 73 AsylVfG in der Fassung von Art. 3 Nr. 46 des Zuwanderungsgesetzes (ZuwanderungsG) vom 30. Juli 2004, BGBl I S. 1950 (BVerwG vom 1.11.2005 InfAuslR 2006, 244).

a) Als derartig grundlegende Veränderungen der Sachlage gegenüber der früheren Asylanerkennung sind nämlich zunächst die politischen Verhältnisse nach dem Sturz des kommunistischen Regimes in Afghanistan anzusehen, die zum Wegfall dieser früheren afghanischen Regierung als Verfolgersubjekt geführt haben.

Kommunisten spielen daher im heutigen politischen Leben Afghanistans keine Rolle mehr. Eine Rückkehr eines derartigen Regimes kann vielmehr heute und absehbar mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

b) Soweit eine politische Verfolgung durch die aktuelle Interimsregierung in Afghanistan befürchtet würde, was im Übrigen schon nicht substantiiert wurde, hält das Gericht nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln bereits das Tatbestandsmerkmal der Staatlichkeit bzw. Quasistaatlichkeit im Sinne der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts für nicht gegeben, weil auch derzeit eine effektive Staatsgewalt als Subjekt der Verfolgung in Afghanistan (noch) nicht vorliegt.

Im Ergebnis kann daher derzeit und auf absehbare Zeit nicht davon ausgegangen werden, dass in Afghanistan landesweit die zur Bejahung einer politischen Verfolgung im Rechtssinn notwendige effektive, stabile und dauerhafte Staatsgewalt existiert. Allenfalls für den Bereich Kabuls kann derzeit und absehbar davon ausgegangen werden, dass die Übergangsregierung bzw. der Präsident mit Unterstützung der ISAF und den US-Einheiten eine Ordnungsmacht darstellen, denen mit Abstrichen Staatlichkeit im vorgenannten Sinne zugesprochen werden kann. Außerhalb Kabuls erfüllt auch keines der anderen Herrschaftsgebiete im Übrigen die hierfür erforderlichen Kriterien, insbesondere konnte auch die Nordallianz bzw. die betreffenden lokalen Machthaber in diesen Gebieten allenfalls ihre militärischen Strukturen festigen; von verwaltungsmäßigen oder gar staatsähnlichen Strukturen kann dagegen grundsätzlich keine Rede sein.

Zwar kommen auch Verfolgungsmaßnahmen Dritter als politische Verfolgung im Sinne des Asylgrundrechts in Betracht. Dies setzt allerdings voraus, dass sie dem jeweiligen Staat zuzurechnen sind. Hierfür kommt es darauf an, ob der Staat den Betroffenen mit dem ihm an sich zur Verfügung stehenden Mitteln Schutz gewährt.

Nach diesen Grundsätzen ist nach Auswertung und Würdigung vorstehender Auskunftslage auch keine mittelbar staatliche Verfolgung darin zu erblicken, dass sie insbesondere Warlords oder früheren Mudjaheddin frei Hand ließe. Denn nach vorstehenden Ausführungen fehlt es schon an Staatlichkeit in Afghanistan, die als Anknüpfungspunkt auch für eine mittelbare Verfolgung vorliegen muss, und im Übrigen entspricht dies erkennbar auch nicht dem Eigenverständnis von Präsident Karzai. Ursache für ein möglicherweise nicht erfolgendes Einschreiten der Regierung gegen diese ist weiter ausschließlich eine insoweit fehlende Machtposition.

Aber auch falls von einer Staatsgewalt der Regierung Karzai jedenfalls in der Stadt und Provinz Kabul ausgegangen wird, ist das Gericht nach den vorliegenden Erkenntnissen der Auffassung, dass von der derzeitigen Regierung in Afghanistan unter Präsident Karzai politisch Andersdenkenden jedenfalls nicht mit der hier maßgeblichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit droht.

2. Schließlich kann auch die vom Bundesamt getroffene negative Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG - in Betracht kommt hier allenfalls eine nichtstaatliche Verfolgung nach Satz 4 c) - rechtlich nicht beanstandet werden, da dem Kläger ein entsprechender Anspruch nicht zusteht.

Nach diesen Grundsätzen ist hier eine nichtstaatliche Verfolgung weder substantiiert behauptet worden noch ersichtlich. Soweit befürchtet wird, dass Rückkehrer nach Afghanistan deshalb drangsaliert würden, weil bei ihnen Geld vermutet würde, das weggenommen werden könnte, erscheint dies schon als nicht beachtlich wahrscheinlich (Lageberichterstattung des Auswärtigen Amts, zuletzt vom 17.3.2007) und weiter in diesem Zusammenhang auch rechtlich irrelevant.