Flüchtlingsanerkennung wegen exponierter exilpolitischer Betätigung, insbesondere Veröffentlichungen im Internet; Anforderungen an Folgeantrag; Ausschluss von subjektiven Nachfluchtgründen nicht mit der Qualifikationsrichtlinie vereinbar.
Flüchtlingsanerkennung wegen exponierter exilpolitischer Betätigung, insbesondere Veröffentlichungen im Internet; Anforderungen an Folgeantrag; Ausschluss von subjektiven Nachfluchtgründen nicht mit der Qualifikationsrichtlinie vereinbar.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid verletzt den Kläger in seinen Rechten und war deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO); die Beklagte war entsprechend dem Begehren des Klägers zu verpflichten.
Die Beklagte hätte auf Grund des Asylfolgeantrages ein neues Asylverfahren durchführen müssen. Nach § 71 Abs. 1 AsylVfG ist ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG aber vor.
Hinsichtlich der Berechnung der Drei-Monats-Frist (§ 51 Abs. 3 VwVfG) ist dabei zu beachten, dass die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen erfahren hat.
Exilpolitische Tätigkeiten sind bei der Berechnung der Frist jeweils gesondert und unabhängig von den bereits zu diesem Zeitpunkt andauernden Aktivitäten zu sehen. Zieht sich der relevante Sachverhalt, auf den sich ein Kläger beruft, über einen längeren Zeitraum hin und werden eine Reihe von verschiedenen einzelnen Aktivitäten zur Begründung des Folgeantrages herangezogen, so ist für jede einzelne dieser Tätigkeiten eine eigene Frist zu berechnen. Bei jeder dieser Tätigkeiten handelt es sich um einen eigenen Wiederaufnahmegrund, da auch jede einzelne dieser Tätigkeiten zu der befürchteten Verfolgung führen kann (ThürOVG, Urt. v. 02.08.2001, Az.: 3 KO 279/99; ThürOVG, Urt. v. 06.03.2002, Az.: 3 KO 428/99; VG Meiningen, B. v. 05.03.1997, 5 E 20048/97.Me; vgl. auch BVerwG, B. v. 11.12.1989, NVwZ 1990, 359). Echte Dauersachverhalte, wie etwa die Mitgliedschaft in einer Organisation oder die Übernahme einer Funktion u.ä., müssen innerhalb von drei Monaten nach deren Beginn, bei Mitgliedschaften nach dem Beitritt (Thür OVG, a.a.O.) geltend gemacht werden. Umstände, die erst eintreten, nachdem der Folgeantrag gestellt wurde, sind ebenfalls nur zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb der Frist ausdrücklich der Behörde bzw. dem Gericht mitgeteilt werden. Anderes gilt nur für solche Sachverhalte, bei denen es sich nur um die Fortsetzung von rechtzeitig geltend gemachten Grundsachverhalten handelt oder bei denen an solche angeknüpft wird, ohne dass ein "Qualitätssprung" eintritt (ThürOVG, Urt. v. 06.03.2002, Az.: 3 KO 428/99). Hier genügt es, wenn nur die zeitlich ersten Geschehnisse rechtzeitig in das Verfahren eingeführt werden.
Die geltend gemachten neuen Gründe sind auch grundsätzlich geeignet, die Sach- und Rechtslage anders zu beurteilen als im ersten Verfahren. Es ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass die genannten exilpolitischen Tätigkeiten zu der begehrten Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG oder eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG führen könnte. Hierbei ist, sofern möglich, § 60 Abs. 1 AufenthG im Sinne der nach Ablauf der Umsetzungsfrist in ihrem Art. 38 Abs. 1 unmittelbar anzuwendenden Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG) auszulegen; ggf. ist sie teilweise unanwendbar.
Die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung auf Grund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe genügt (ThürOVG, Urt. v. 02.08.2001, Az.: 3 KO 279/99; ThürOVG, Urt. v. 06.03.2002, Az.: 3 KO 428/99). Nicht erforderlich ist es, dass bei der Prüfung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, bereits der materielle Anspruch selbst festgestellt wird (VGH Mannheim, Urt. v. 16.03.2000, AuAS 2000, 152). Das Gericht folgt nicht der Auffassung des Bundesamts, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ziff. 1 VwVfG nur dann vorliegen, wenn feststeht, dass die Sach- und Rechtslage anders zu beurteilen ist als im ursprünglichen Verfahren. Diese Auffassung verkennt, dass im Falle des Vorliegens von Wiederaufgreifensgründen nach § 51 Abs. 1 VwVfG und bei Erfüllung der formellen Voraussetzungen von § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG die Behörde darüber zu entscheiden hat, ob sie das Verfahren erneut aufgreift, und, wenn sie dies tut, in einem weiteren Schritt eine neue Entscheidung in der Sache zu treffen hat. Aus dieser Systematik kann nicht entnommen werden, dass ein Wiederaufgreifen des Verfahrens voraussetzt, dass tatsächlich eine andere Entscheidung als bisher zu treffen ist, dies muss lediglich möglich erscheinen. Das Bundesverwaltungsgericht (U. v. 10.02.1998, NVwZ 1998, 861) hat diese Frage zwar ausdrücklich offen gelassen, macht aber in der gleichen Entscheidung Ausführungen dazu, wie mit der einwöchigen Ausreisepflicht zu verfahren ist, wenn das Gericht im Gegensatz zum Bundesamt Gründe des § 51 Abs. 1 VwVfG für gegeben hält, die Klage aber dennoch als (einfach) unbegründet abweist. Es muss also den Fall geben, in dem ein weiteres Verfahren durchzuführen ist, auch wenn sich später herausstellen sollte, dass weder der Asylantrag noch der Antrag auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG begründet sind.
Ein weiteres Asylverfahren ist lediglich in den Fällen nicht durchzuführen, wo bezogen auf den betreffenden Zeitraum entweder keine neue Sachlage vorgetragen wird oder aber der Sachvortrag zwar eine neue Sachlage darstellt, diese aber von vorneherein ganz offensichtlich nicht geeignet ist, die Rechtslage zu Gunsten des Asylbewerbers zu verändern.
Das ist beim Kläger aber nicht der Fall, wie im Folgenden im Einzelnen darzustellen sein wird.
Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ein weiteres Asylverfahren durchzuführen gewesen wäre, muss es in der Sache selbst entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil v.10.02.1998, Az.: 9 C 28/97, NVwZ 1998, 861 = DVBl. 1998, 725).
Diese Entscheidung in der Sache ergibt den Erfolg der Klage, da hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bezogen auf Vietnam vorliegen.
Das illegale Verbleiben im Ausland stellt einen Verstoß gegen Art. 274 des vietnamesischen Strafgesetzbuches (VStGB) dar. Danach macht sich strafbar, wer illegal in die Sozialistische Republik Vietnam einreist, aus ihr ausreist oder im Ausland verbleibt. An Strafen werden eine Verwarnung, Umerziehung bis zu einem Jahr oder Haft von drei Monaten bis zu zwei Jahren angedroht.
Es ist aber nicht "beachtlich wahrscheinlich" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwGE 91, 150), dass gegen aus Deutschland zurückkehrende Asylbewerber tatsächlich wegen des Verstoßes gegen Art. 274 VStGB vorgegangen wird (ständige Rechtsprechung des Gerichts unter Bezug auf die Rechtsprechung des Thür OVG [z.B. Urteil vom 14.02.1995, Az.: 3 KO 138/94; Urteil vom 22.10.1996, Az.: 3 KO 143/94] und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts [Urteil vom 15.03.1994, DVBl. 1994, S. 927], jeweils zur gleichen Vorschrift des Art. 89 des früheren VStGB).
Es ist auch zu bedenken, ob nicht eine Bestrafung nach den "Vorschriften über die administrative Haft" (Regierungsverordnung Nr. 31-CP vom 14. 4. 1997) - so genannte Verwaltungshaft - erfolgen könnte. Nach Auffassung des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Situation in der Sozialistischen Republik Vietnam vom 28.08.2005, Ziff. II.1.a) handelt es sich dabei um eine Maßnahme, die die verfassungsmäßig verbrieften Grundrechte unterminiert. Besonders bedenklich ist aus der Sicht des Auswärtigen Amtes, dass eine Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren und damit auch ohne rechtlichen Beistand möglich ist und die Beschreibung des Vergehens ("Verstoß gegen die nationale Sicherheit") so allgemein ist, dass die Behörden einen großen Ermessensspielraum haben. Die Verwaltungshaft wird auch nach Berichten in den letzten Jahren vermehrt angewandt (Auswärtiges Amt, a.a.O.; Amnesty International, Jahresbericht 2003; Länderkurzberichte Vietnam, Juni 2001 und August 2002). Auch eine solche Bestrafung wird aber von der bilateral garantierten Straffreiheit umfasst (ebenso OVG Münster, Beschluss v. 26.01.1999, Az.: 1 A 76/99.A; ThürOVG, Urt. v. 02.08.2001, Az.: 3 KO 279/99; Thür OVG, Urt. v. 06.03.2002, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 3, 19 = EzAR 212 Nr. 13).
In Anbetracht dieser Umstände ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass im Falle einer Rückkehr nach Vietnam tatsächlich eine Verfolgung wegen der Ausreise bzw. des Verbleibs im Ausland erfolgen könnte.
Verfolgung im genannten Sinne droht dem Kläger aber wegen seiner exilpolitischen Tätigkeiten.
Grundsätzlich kann eine exilpolitische Tätigkeit von vietnamesischen Staatsangehörigen in Deutschland dazu führen, dass im Falle der Rückkehr nach Vietnam eine Bestrafung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erfolgen wird.
Unter bestimmten Umständen ist auch damit zu rechnen, dass tatsächlich wegen dieser Vorschriften eine Strafverfolgung droht.
Insgesamt kommt das Gericht zu der Auffassung, dass in Vietnam weiterhin politische Verfolgung stattfindet und die genannten Strafvorschriften grundsätzlich in asylerheblicher Weise Anwendung finden (ThürOVG, Urt. v. 22.10.1996, Az.: 3 KO 143/94; Urt. v. 02.08.2001, Az.: 3 KO 279/99; ThürOVG, Urt. v. 06.03.2002, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 3, 19 = EzAR 212 Nr. 13). Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit kommt eine solche Bestrafung allerdings nur dann in Betracht, wenn sich der vietnamesische Staatsangehörige während seinen Aufenthalts öffentlich und nachhaltig und in besonders exponierter Weise politisch-oppositionell gegen das in Vietnam herrschende Regime betätigt bzw. geäußert hat (ThürOVG, Urt. v. 22.10.1996, Az.: 3 KO 143/94) und er damit besonders hervorgetreten ist (ThürOVG, Urt. v. 02.08.2001, Az.: 3 KO 279/99; ThürOVG, Urt. v. 06.03.2002, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 3, 19 = EzAR 212 Nr. 13). Denn nur dann ist damit zu rechnen, dass seine Betätigung vietnamesischen Behörden auf Grund deren Erkenntnismöglichkeiten überhaupt zur Kenntnis gelangt. Zu diesen Betätigungen können auch Veröffentlichungen in exilpolitischen Zeitschriften gehören (vgl. amnesty international, Schreiben vom 22.11.2003 an das VG Darmstadt).
Damit besteht dann die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung nicht, wenn nur eine einfache exilpolitische Betätigung in Form von Mitgliedschaft in Organisationen und Beteiligung an Demonstrationen festzustellen ist (ThürOVG, Urt. v. 02.08.2001, Az.: 3 KO 279/99; ThürOVG, Urt. v. 06.03.2002, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 3, 19 = EzAR 212 Nr. 13). Zu diesen einfachen Tätigkeiten gehört auch eine nur örtliche oder regionale nicht besonders hochrangige Funktion in exilpolitischen Organisationen sowie Tätigkeiten in "Organisationskomitees" für einzelne Diskussionsveranstaltungen, Demonstrationen, Infotische u.ä. Auch die bloße Teilnahme an einer Vielzahl von Veranstaltungen führt nicht zu einem "Qualitätssprung": Sie führt nicht im Sinne einer Kumulation zu einer Exponiertheit (ThürOVG, a.a.O.).
Veröffentlichungen exilpolitischer Art im Internet werden von vietnamesischen Sicherheitsorganen routinemäßig überwacht, wobei es gleich ist, auf welchem Server die jeweilige Website liegt (Auswärtiges Amt, Schreiben vom 06.01.2005 an das VG Meiningen und vom 17.04.2000 an das VG Frankfurt/Main; ähnlich: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation in der Sozialistischen Republik Vietnam vom 31.03.2006, II.1 b). An anderer Stelle spricht das Auswärtige Amt (Schreiben vom 09.02.2006 an das VG Meiningen) davon, dass Internetveröffentlichungen "stark kontrolliert" werden. Die Kontrolle wurde durch Erlass vom 14.07.2005 weiter verschärft (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation in der Sozialistischen Republik Vietnam vom 31.03.2006,, II.1 b).
Auch derartige Veröffentlichungen sind deshalb in die Betrachtungen einzubeziehen. Sie haben sogar besondere Bedeutung. Oppositionelle Äußerungen im Internet werden vom vietnamesischen Staat zunehmend verfolgt und teilweise mit hohen Haftstrafen geahndet (amnesty international, Jahresberichte 2003 und 2004 bezogen auf Täter in Vietnam; Gerhard Will, Gutachten vom 10.09.2002 ASYLIS/JURIS VIE00050115 zu allen Internetaktivitäten). Das ergibt sich auch daraus, dass Internet-Cafés neuerdings zunehmend unter Überwachungsdruck stehen (Gerhard Will, a.a.O.); nach einer Verordnung vom 14.07.2005 müssen Betreiber von Internet-Cafés sogar die Personalien der Nutzer und die von ihnen aufgesuchten Webpages registrieren (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation in der Sozialistischen Republik Vietnam vom 31.03.2006, II.1 b). Erstmals spricht das Auswärtige Amt in diesem Bericht von der Verfolgung von "Internetdissidenten". Prof. Dr. Oskar Weggel, der die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen wegen exilpolitischer Art im übrigen für nicht so wahrscheinlich hält wie amnesty international oder andere Beobachter, weist darauf hin, dass Aufrufe im Internet zum Ungehorsam oder zur Generalabrechnung mit den bestehenden Verhältnissen neben Schmuggel, Terrorismus und dem Versuch, Oppositionsparteien zu gründen, zu den Tatbeständen gehören, die nach Auffassung des Obersten Volksgerichts besonders bedenklich sind. Bei Vorliegen dieser "Erschwernisgründe" dürfte eine regimekritische exilpolitische Tätigkeit seiner Meinung nach den vietnamesischen Behörden verfolgungswürdig erscheinen (Schreiben vom 10.08.2003 an das VG Darmstadt). Das Gericht folgt nicht dem HessVGH, der in seinem Urteil vom 3. September 2003, Az: 11 UE 1011/01.A (Juris Nr. MWRE116210300) ausführt, diese Veröffentlichungen hätten schon deshalb keine Bedeutung, weil der Zugang "von den vietnamesischen Behörden durch Firewalls reglementiert wird und die Seiten deshalb in Vietnam überhaupt nicht aufrufbar" seien. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass derartige Firewalls mit durchaus verbreiteten Computerkenntnissen umgangen werden können. Außerdem gibt es im Internet Dienstleister, die kostenlos beliebige Internet-Seiten als verschlüsselte oder nicht verschlüsselte Anhänge zu Emails versenden, womit ebenfalls ein schneller Zugriff auf eigentlich gesperrte Seiten ohne jegliche technische Vorkenntnisse möglich ist. Auch das Auswärtige Amt (Schreiben vom 06.01.2005 an das VG Meiningen) geht davon aus, dass Internetseiten in Vietnam "häufig nicht zugänglich sind", dass aber, sofern sie bekannt werden, dem Verfasser Bestrafung droht. Dabei könne eine Zuordnung der Veröffentlichung zu einer bestimmten Person dann erfolgen, wenn Name und Bild des Verfassers auf der Internetseite veröffentlicht werden. Selbst wenn nur ein Foto des Verfassers einer Veröffentlichung vorhanden ist, der angegebene Name aber falsch sei, sei davon auszugehen, dass eine Identifizierung des Betreffenden möglich ist (Auswärtiges Amt, Schreiben vom 09.02.2006 an das VG Meiningen).
Die umfangreiche exilpolitische Tätigkeit des Klägers erfüllt, soweit sie innerhalb der Drei-Monats-Frist vorgetragen wurde, unzweifelhaft die Voraussetzungen einer sowohl nachhaltigen als auch öffentlichen exilpolitischen Tätigkeit und geschah auch in besonders exponierter Weise. Das gilt insbesondere für die höchst umfangreichen Veröffentlichungen des Klägers im Internet, die alle zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jederzeit abrufbar waren. Auf die Frage, ob die Tätigkeit des Klägers im Zentralrat der Regierung Freies Vietnam heranzuziehen ist, kommt es deshalb nicht an. Diese Tätigkeit hat zwar unmittelbar vor dem Drei-Monats-Zeitraum begonnen, hält aber als Dauertatbestand noch an.
§ 28 Abs. 2 AsylVfG steht dem Erfolg des klägerischen Begehrens insoweit nicht entgegen. Diese Vorschrift ist nämlich nicht mehr anwendbar, da sie mit der Qualifikationsrichtlinie nicht in Übereinstimmung zu bringen ist und deshalb mit dem Beginn ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit mit Ablauf des 10.10.2006 (Art. 38 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie) keine Rechtswirkungen mehr erfasst.
Das VG Lüneburg hat im Urteil vom 15.01.2007 (Az. 1 A 115/04) dazu ausgeführt: Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie legt uneingeschränkt fest, dass Verfolgungsfurcht auf solchen Aktivitäten des Antragstellers beruhen kann, die "seit" und nach Verlassen des Herkunftslandes unternommen wurden - vor allem in näher dargestellten Sonderfällen. Irgendwelche Einschränkungen enthält diese Bestimmung nicht. ... Die in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie für Folgeanträge - unbeschadet der GFK - den Mitgliedstaaten zugestandene Regelungskompetenz, eine Anerkennung als Flüchtling in der Regel auszuscheiden, wenn die Verfolgungsgefahr auf "Umständen" beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat, ist nach dem Sprachgebrauch der Richtlinie (vgl. Art. 4 Abs. 3 c) allein auf persönliche Umstände (familiärer und sozialer Hintergrund) zu beschränken (Ehe, Kinder, Arbeitslosigkeit usw.). Die in Abs. 2 genannten "Aktivitäten" sind von den in Abs. 3 genannten "Umständen" sprachlich wie sachlich zu unterscheiden, wie die Differenzierung in Art. 4 Abs. 3 c und d der Richtlinie aufzeigt: Zu den "Aktivitäten" ist eine Bewertung dahingehend vorzunehmen, ob ihretwegen im Falle einer Rückkehr Verfolgung (iSv Art. 9, etwa Abs. 2 b oder d der Richtlinie) stattfindet. Diese Bewertung unterliegt keinerlei Beschränkungen - etwa solcher Art, wie sie § 28 Abs. 2 AsylVfG enthält ... .
Exilpolitische Aktivitäten iSv Art. 4 Abs. 3 d Richtlinie gehören damit nicht zu den (persönlichen) "Umständen" im Sinne des Art. 5 Abs. 3. Sie sind von diesen abzuschichten. Sie werden nicht von der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten erfasst.
Wenn § 28 Abs. 2 AsylVfG dennoch solche Aktivitäten unter dem Gesichtspunkt selbst geschaffener Nachfluchtgründe (iSv § 28 Abs. 1 AsylVfG) zu erfassen sucht und sie - falls sie zeitlich nach Rücknahme oder Ablehnung des Erstantrages entstanden sind - vom Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG iVm der GFK regelmäßig ausschließt, ist diese Bestimmung hier wegen Widerspruchs zur Qualifikationsrichtlinie unbeachtlich und unanwendbar.
Dem schließt sich das erkennende Gericht an.