VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 30.03.2007 - AN 4 K 06.30761 - asyl.net: M10639
https://www.asyl.net/rsdb/M10639
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Machtwechsel, Baath, Änderung der Sachlage, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, alleinstehende Frauen, Existenzminimum, Krankheit, medizinische Versorgung
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 3. August 2006 ist, soweit es sich nicht um ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus individuellen gesundheitlichen Gründen und wegen insoweit fehlender ausreichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten im Irak hinsichtlich des Irak handelt (vgl. insoweit die Ausführungen unter II.), nicht rechtswidrig, er verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 VwGO).

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG (auch in der seit 1.1.2005 geltenden Neufassung durch das Zuwanderungsgesetz, die hier gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG anzuwenden ist) muss bzw. - im Falle des § 73 Abs. 2a AsylVfG - kann das Bundesamt die etwaige vorangegangene Asylanerkennung eines Ausländers sowie eine etwaige vorangegangene Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des so genannten "kleinen Asyls" (früher § 51 Abs. 1 AuslG, jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) widerrufen, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen.

Der als historische Tatsache allgemeinkundige, im Übrigen sich auch aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen (vgl. insbesondere den in das Verfahren eingeführten aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes) ergebende Sturz des Regimes von Saddam Hussein stellt genau einen solchen politischen Systemwechsel dar, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in seinen vorgenannten Entscheidung angesprochen hat. Durch diesen politischen Systemwechsel im Irak ist jedenfalls die früher vom Regime Saddam Hussein ausgehende Gefahr unmittelbarer oder mittelbarer politischer Verfolgung nunmehr eindeutig landesweit entfallen (so auch etwa BVerwG, Urteil vom 25. August 2004, Az. 1 C 22/03, juris-Nr. WBRE 410011104; BayVGH, Beschluss vom 24.11.2004, Az. 13a 04.30969).

Die Klage ist hingegen begründet, soweit die Klägerin im Hinblick auf die von ihr genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak geltend macht. Das Gericht geht zum maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage der letzten mündlichen Verhandlung im Sinne des § 77 Abs. 1 AsylVfG davon aus, dass bei der Klägerin die von ihr im Einzelnen näher dargelegten und belegten gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich bestehen. Die hiergegen von der Beklagtenseite erhobenen Einwendungen vermögen das Gericht letztlich nicht ausreichend zu überzeugen. Eine amtsärztliche Begutachtung der Klägerin drängte sich - angesichts des von der Klägerin im Termin gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks und im Hinblick auf die bereits vorliegenden ärztlichen Atteste - nicht auf und wurde dort auch nicht beantragt.

Weiterhin geht das erkennende Gericht auf Grund der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen (vgl. etwa den Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 11.01.2007, Seite 36) davon aus, dass bei der gegenwärtig sehr angespannten medizinischen Versorgungssituation im Irak eine hinreichende Versorgung der Klägerin mit Medikamenten und Behandlungen nicht zu erwarten ist, so dass der Klägerin bei Rückkehr in den Irak gegenwärtig und auf absehbare Zukunft eine gravierende Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Situation drohen würde bzw. sogar Lebensgefahr bestehen würde. Unter diesen Umständen verengt sich das dem Bundesamt in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eingeräumte Ermessen, das grundsätzlich gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist, ausnahmsweise dahin, dass nur eine einzige denkbare Ermessensentscheidung pflichtgemäß ist, nämlich die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak.

Im Übrigen spricht nach den in der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2007 zusätzlich zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen auch viel dafür, dass die Klägerin auch als Frau ohne Ehemann und ohne (Groß-)Familie, allenfalls unterstützt von ihrer 1987 geborenen Tochter ..., der Klägerin im Verfahren AN 4 K 07.30126, im Irak keine ausreichende Existenzgrundlage finden könnte (vgl. etwa Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.1.2007, S. 1, 20, 22, 25, 28; Deutsches Orient-Institut an VG Ansbach vom 22.12.2000; UNHCR Deutschland, Bericht vom November 2005). Letztlich kommt es hierauf jedoch nach dem oben Ausgeführten nicht mehr an.