VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 06.03.2007 - AN 1 K 06.30018 - asyl.net: M10771
https://www.asyl.net/rsdb/M10771
Leitsatz:

Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung wegen Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen widersprechen (§ 60 Abs. 8 S. 2 AufenthG).

 

Schlagwörter: Türkei, Terrorismusvorbehalt, Grundsätze der Vereinten Nationen, Wiederholungsgefahr, Genfer Flüchtlingskonvention, DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front, Anerkennungsrichtlinie, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Folter, Reformen, politische Entwicklung, menschenrechtswidrige Behandlung, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Unterzeichnerstaat, EGMR, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; GFK Art. 1 F; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2 Bst. c; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung wegen Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen widersprechen (§ 60 Abs. 8 S. 2 AufenthG).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten und die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG scheiden aus, da in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 3. Alt. AufenthG erfüllt sind.

Bei der Auslegung der hier maßgeblichen dritten Alternative des § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG a. F. (§ 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG) hinsichtlich Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 21.9.2005 - T-306/01) aus völkerrechtlicher Sicht die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der UNO aufgrund der Charta der Vereinten Nationen unbestreitbar Vorrang vor allen anderen Verpflichtungen des innerstaatlichen Rechts oder des Vertragsrechts haben. Dies gilt, soweit sie Mitglieder des Europarats sind, auch für ihre Verpflichtungen aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und, so weit sie auch Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft sind, für ihre Verpflichtungen aufgrund des EG-Vertrages. Die Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen haben nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs somit bindende Wirkung für alte Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft, die daher in dieser Eigenschaft alle erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um ihre Umsetzung zu gewährleisten. Aus dem Vorstehenden folgt nach der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ferner, dass die Mitgliedsstaaten sowohl nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechts als auch nach den spezifischen Bestimmungen des Vertrages berechtigt und verpflichtet sind, die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts - und wäre es eine Bestimmung des Primärrechts oder ein allgemeiner Grundsatz dieses Rechts - unangewendet zu lassen, die der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Verpflichtungen aufgrund der Charta der Vereinten Nationen entgegenstehen würden.

Hiervon ausgehend erweist sich die vom UNHCR vorgenommene Auslegung des Art. 1 F (c) GFK als deutlich zu eng. Der UNHCR vertritt in Ziffer 50 seiner Richtlinien zur Auslegung von Artikel 1 GFK die Auffassung, dass diese Bestimmung nur für Personen gelte, die in einem Staat eine Machtposition innehaben oder Einfluss ausüben und maßgeblich für Verstöße dieses Staates gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verantwortlich zu machen sind. Eine derartig restriktive Auslegung des Art. 1 F (c) GFK steht in eindeutigem Widerspruch zu den Zielsetzungen der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Nr. 1269, 1373 und 1377 und würde die rechtlich zwingend gebotene konsequente Umsetzung der Vorgaben aus den bezeichneten Resolutionen im Bundesgebiet wesentlich erschweren, wenn nicht sogar ausschließen. Die Rechtsauffassung des UNHCR lässt sich nach Auffassung des Einzelrichters deshalb nicht mit der oben zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vereinbaren. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 2 3. Alt. AuslG a. F. (§ 60 Abs. 8 Satz 2 3. Alt. AufenthG) sind vielmehr bereits dann erfüllt und schließen die Gewährung des Flüchtlingsstatus aus, wenn der Ausländer terroristische Handlungen finanziert, geplant, unterstützt, erleichtert oder selbst begangen hat.

Liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG vor, ist auch eine Anerkennung als Asylberechtigter ausgeschlossen (vgl. BVerwG vom 10.3.1999 - 9 C 31/98, NVwZ 1999, 1346, zu §51 Abs. 3AuslG a. F.).

Hiervon ausgehend sind Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 3. Alt. AufenthG im Falle des Klägers erfüllt.

Bereits bei der Einvernahme durch das Bundespolizeiamt des Flughafens Frankfurt am Main trug der Kläger vor, seit 1995 Mitglied der Organisation "DHKP-C", der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front, gewesen zu sein. Er habe an vielen Aktionen teilgenommen. So hätte er mit anderen z. B. in Istanbul in Geschäften und anderen Räumen Bomben zur Detonation gebracht. Es habe Verletzte bei diesen Aktionen gegeben. Manchmal habe er auch den Geschäftsführer aus dem Laden geholt und anschließend den Laden angezündet.

Bei der DHKP-C handelt es sich um eine Organisation, die wegen Unterstützung des Terrorismus innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Restriktionen unterliegt (Verordnung Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifisch gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, ABl. Nr. L 344 v. 28.12.2001, S. 70 bis 75, i.V.m. dem Beschluss des Rates vom 2. Mai 2002 (2002/334/EG), - ABl. Nr. L 116 vom 3.5.2002, S. 33 ff. und vom 29. Mai 2006 (2006/349/EG), ABl. L 144 vom 31.5.2006, S. 21 ff.).

Unterliegt - wie vorliegend - eine Gruppierung nach EU-Recht wegen Unterstützung des Terrorismus Restriktionen, rechtfertigt allein dies die Annahme, dass ein exponiertes Mitglied dieser Organisation die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG erfüllt. Der Kläger hat selbst zugestanden, in der Türkei terroristische Handlungen für die DHKP-C begangen zu haben. Das damals noch jugendliche Alter des Klägers spielt im Vollzug des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG und der Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Nr. 1269 und 1373 keine Rolle.

Im Anwendungsbereich des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG ist es nicht erforderlich, zu überprüfen, ob vom Kläger eine hinreichende Wiederholungsgefahr im Sinne einer fortbestehenden Gefahr ausgeht, da diese Norm - wie auch Art. 1 F c) GFK - ausdrücklich an ein in Vergangenheit liegendes Verhaltes des Ausländers anknüpft (VG Ansbach vom 14.12.2006 - AN 1 K 06.30883 und vom 6.2.2006 - AN 1 K 05.30351; VG Hamburg vom 8.11.2006 - 7 A 653/06 und vom 18.9.2006 -15 A 732/05; VG Schleswig vom 19.10.2006 - 2 A 221/05; a. A. VG Bremen vom 30.6.2005 - 2 K 1611/04.A; OVG Koblenz vom 6.12.2002 - 10 A 10089/02, NVwZ-RR 2003, 596).

Die Richtigkeit dieser Auslegung wird auch durch die Qualifikations- oder Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG (ABl. 2004 L Nr. 304, S. 12) bestätigt. Nach deren Art. 12 Abs. 2 Nr. c reicht es für den Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung aus, dass sich ein Ausländer Handlungen zu Schulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen. Auch hiernach wird eindeutig (nur) an Handlungen in der Vergangenheit angeknüpft.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG sind in der Person des Klägers nicht erfüllt.

Nach dieser Bestimmung darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für den Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden.

Dem Bevollmächtigten des Klägers ist allerdings zuzugeben, dass es in der Türkei weiterhin zu Fällen von Folter kommt.

Im Falle des Klägers bestehen Besonderheiten, die es ausschließen, anzunehmen, der Kläger werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Folter unterworfen. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Februar 2007 liegt gegen den Kläger ein Haftbefehl vor. Er wird deshalb nach seiner Festnahme unverzüglich dem Oberstaatsanwalt zugeführt und nicht längere Zeit im Gewahrsam der Polizei oder der Sicherheitsbehörden verbleiben. Foltervorwürfe im Zusammenhang mit richterlichen Vernehmungen einschließlich der entsprechenden Gefängnisaufenthalte sind in repräsentativer Art und Weise jedenfalls in jüngerer Zeit nicht mehr bekannt geworden.

Der Kläger kann sich auch nicht auf § 60 Abs. 5 AufenthG berufen.

Hierbei kann offen bleiben, ob sich der Kläger nach der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 21.9.2005 - T-306/01) schon deshalb nicht auf die Europäische Menschenrechtskonvention berufen kann, da anderenfalls die in der Resolution Nr. 1269 des UN-Sicherheitsrates geforderte Auslieferung von Personen, die terroristische Handlungen begangen haben (Nr. 4 der genannten Resolution), in Frage gestellt würde. Denn der Kläger muss sich jedenfalls darauf verweisen lassen, seine Rechte gegenüber möglichen Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus wahrzunehmen. Die Türkei ist Mitglied des Europarates und Unterzeichner der EMRK. Dem Kläger drohen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schwere und irreparable Nachteile, gegen die ein Rechtsschutz von der Türkei aus zu spät käme. Die Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen geben - wie bereits dargelegt - keine Anhaltspunkte für menschenunwürdige Zustände. Sollten sie sich entgegen dieser Einschätzung als konventionswidrig erweisen, steht es dem Kläger frei, Rechtsschutz in der Türkei und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Anspruch zu nehmen.

Nach dem Gesagten besteht für den Kläger im Falle der Abschiebung oder freiwilligen Rückkehr keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 60 Abs. 7 AufenthG). Dies gilt auch hinsichtlich der befürchteten Übergriffe durch Organe der DHKP-C. Zwar sind solche Übergriffe nicht generell ausgeschlossen (Lagebericht vom 11.1.2007, S. 35). Der Kläger wird jedoch bei einer Ausreise oder Abschiebung in die Türkei sofort inhaftiert und kann deshalb keinen Übergriffen durch die DHKP-C ausgesetzt sein. Unabhängig hiervon ist auch nicht ersichtlich, welches Interesse die DHKP-C derzeit noch an dem Kläger haben sollte.