OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.08.2006 - 8 S 63.06 - asyl.net: M10781
https://www.asyl.net/rsdb/M10781
Leitsatz:

Ein vietnamesischer Staatsangehöriger kann grundsätzlich zur Vorsprache bei einer Delegation zwecks Feststellung seiner Staatsangehörigkeit aufgefordert werden.

 

Schlagwörter: D (A), Mitwirkungspflichten, Vietnam, Vietnamesen, Rückübernahmeabkommen, Delegation, Vorführung, Passbeschaffung, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Prozessbevollmächtigte, Anwesenheit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: AufenthG § 82 Abs. 4; VwVfG § 14 Abs. 1; VwVfG § 14 Abs. 4; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Ein vietnamesischer Staatsangehöriger kann grundsätzlich zur Vorsprache bei einer Delegation zwecks Feststellung seiner Staatsangehörigkeit aufgefordert werden.

(Leitsatz der Redaktion)

Die Beschwerde ist auch begründet.

Der angegriffene Bescheid des Antragsgegners vom 4. April 2006 unterliegt nicht den vom Verwaltungsgericht angenommenen Ermessensfehlern, sondern erweist sich nach Maßgabe der bei Verfahren nach § 80 Abs. 5, Satz 1 VwGO gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig.

Die hier in Rede stehende Anhörung vietnamesischer Staatsangehöriger durch Vertreter ihres Heimatstaates unterliegt nicht dem deutschen Verwaltungsverfahrensrecht mit der Folge, dass der die Vertretung durch Rechtsanwälte regelnde § 14 Abs. 1 und 4 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfGBln) auf die Anhörung keine Anwendung findet (Beschluss des Senats vom 15. Juni 2006 - OVG 8 S 39.06 -). Dagegen spricht namentlich Art. 6 Abs. 1 des deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommens vom 21. Juli 1995 (BGBl. II 1995, S. 744; i.F. Abkommen). Danach dient die Anhörung rückzuführender Personen, deren vietnamesische Staatsangehörigkeit nicht durch die in Art. 5 Abs. 1 des Abkommens genannten Dokumente nachgewiesen oder durch die in Absatz 2 dieser Vorschrift aufgezählten Urkunden glaubhaft gemacht werden kann, der Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit der betroffenen Person. Als Anhaltspunkte bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit können Zeugenaussagen, eigene Angaben des Betroffenen und dessen Sprache in Betracht kommen (Art. 6 Abs. 3 S. 1 des Abkommens). Auf Grund dieser Angaben werden die vietnamesischen Behörden das Vorliegen der vietnamesischen Staatsangehörigkeit überprüfen und den zuständigen Behörden das Ergebnis mitteilen (Art. 6 Abs. 3 S. 2 des Abkommens). Es fehlt an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass die vietnamesischen Behörden bei der Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit sich deutschen, ihnen unbekannten verfahrensrechtlichen Vorschriften unterwerfen wollten, auch wenn sie Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips sind.

Diese Wertung wird - wie der Senat bereits im Beschluss vom 20. Juli 2006 (OVG 8 S 46.00) entschieden hat - nicht dadurch in Frage gestellt, dass die der Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit dienende Anhörung aus organisatorischen Zweckmäßigkeitserwägungen nicht in einer diplomatischen Vertretung, sondern in den Räumen einer deutschen Behörde stattfindet. Auch in diesen Fällen handelt es sich, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck u.a. ausgeführt hat (BT-Drs. 16/339 vom 4. Januar 2006, S. 4 unter Nr. 12), um ein ausländisches Verwaltungsverfahren, das naturgemäß nicht deutschem Verwaltungsverfahrensrecht unterliegen kann. Die Anwesenheit eines Beamten der Bundespolizei, der einen Dolmetscher zu Rate ziehen kann, gewährleistet nach der zitierten Antwort der Bundesregierung (BT-Drs., a.a.O., S. 3 unter Nr. 13), dass bei solchen Anhörungen die nach deutschem Recht gebotenen Mindeststandards eingehalten werden. Nach den Ausführungen des Antragsgegners im in das Verfahren eingeführten Schriftsatz vom 13. Juli 2006 dient die Anwesenheit des Beamten der Sicherheit der Delegationsmitglieder und der Verhinderung der Flucht von aus der Haft vorgeführten Personen. Unabhängig von den genannten Zwecken wird das von den vietnamesischen Delegationsmitgliedern durchgeführte Verfahren allein durch die Anwesenheit eines Beamten der Bundespolizei nicht zu einem inländischen Verwaltungsverfahren.

Die Auffassung, dass es sich bei der durch vietnamesische Staatsbedienstete durchgeführten Identitätsprüfung zur Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit nicht um ein den deutschen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften unterliegendes Verfahren handelt, wird ferner durch den völkerrechtlichen Status der vietnamesischen Beamten, die in Deutschland dieses Verfahren durchführen, bestätigt. Ihr Aufenthalt wird von der Bundesregierung (vgl. BT-Drs., a.a.O., S. 3 unter Nr. 8) als von der deutschen Seite (mit-)veranlasste zwischenstaatliche Sondermission mit zeitlich begrenztem Auftrag betrachtet, auf den die UN-Konvention für Sondermissionen (vgl. Art. 1 lit. a der Convention on Special Missions vom 8. Dezember 1969) anwendbar ist. Diese Konvention, die Deutschland bislang nicht unterzeichnet hat, wird ihrem wesentlichen Inhalt nach von der Bundesregierung als Völkergewohnheitsrecht anerkannt und angewendet (vgl. dazu Herdegen in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Stand August 2000, Rz. 23 ff. zu Art. 25; Rojahn in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, 5. Aufl. 2001, Rz. 6 ff. zu Art. 25). Als solches ist sie Bestandteil des Bundesrechts und geht den einfachen Gesetzen im Range vor. Den an der Sondermission beteiligten vietnamesischen Beamten steht danach zumindest Amtshandlungsimmunität und persönliche Unverletzlichkeit zu (Art. 29, 31 und 41 der Konvention). Dass sie die Gesetze des aufnehmenden Staats zu respektieren haben (Art. 47 der Konvention), bedeutet im vorliegenden Fall nicht, dass sie ihr Verfahren zur Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit nach den Vorschriften des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes durchführen müssen.

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht aus § 82 Abs. 4 S. 1 und 2 AufenthG. Die Vorschrift begründet in dem hier interessierenden Zusammenhang lediglich die Befugnis der Ausländerbehörde, zur Vorbereitung und Durchführung ausländerrechtlicher Maßnahmen das persönliche Erscheinen eines Ausländers bei der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, anzuordnen und ggf. zwangsweise durchzusetzen. Zu dem (anschließenden) Verfahren vor der Vertretung verhält sich die Vorschrift nicht. Sie "überlagert" deshalb - und aus den vorstehend dargestellten völkerrechtlichen Gesichtspunkten - nicht in rechtlich erheblicher Weise die Durchführung der Sondermission mit der Folge der Geltung deutschen Verwaltungsverfahrensrechts bei den durch die vietnamesische Delegation zu treffenden Feststellungen. An diesen Befragungen ist nach den klarstellenden Ausführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 13. Juli 2006 auch kein Angehöriger der Ausländerbehörde beteiligt, so dass sich auch unter diesem Aspekt keine Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt.

Zu Unrecht vermisst das Verwaltungsgericht für den Fall, dass § 14 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfGBln) - wie hier nach den vorstehenden Ausführungen - auf Fälle der vorliegenden Art unanwendbar ist, Abwägungen des Antragsgegners dazu, welche Interessen es rechtfertigen, dass eine Anordnung des persönlichen Erscheinens zu Anhörungen ausgesprochen wird, bei denen der Befragte keinen Bevollmächtigten hinzuziehen darf. Entsprechender Ermessenserwägungen bedarf es nicht. Den rechtsstaatlichen Erfordernissen wird der angegriffene Bescheid des Antragsgegners gerecht, indem er auf die unterbliebene Mitwirkung des Antragstellers und darauf abstellt, dass die seit längerem bestehende Ausreiseverpflichtung ohne seine persönliche Vorsprache bei Vertretern seines Heimatstaates nicht durchgesetzt werden kann. Auch ist ein Ausländer, dessen Identität nach Maßgabe des deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommens geprüft wird, keinem sein Persönlichkeitsrecht unmittelbar berührenden Zielkonflikt zwischen Aussage- und Wahrheitspflicht und der Gefahr eigener Belastung ausgesetzt, der zur Wahrung und Ausübung - nach deutschem Recht in Betracht kommender - prozessualer Rechte und Möglichkeiten einen Rechtsbeistand erfordern könnte (vgl. zur Frage der Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes für Zeugen im Strafprozess BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1974, BVerfGE 38, 105).