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LSG Niedersachsen-Bremen

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Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12.06.2007 - L 11 AY 84/06 ER - asyl.net: M10840
https://www.asyl.net/rsdb/M10840
Leitsatz:

Zeiten des Bezugs von Sozialhilfe oder Leistungen nach dem SGB II zählen bei der 36-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG mit, wenn der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 36-Monats-Frist, Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Sozialhilfe, Sozialhilfebezug, Grundsicherung für Arbeitssuchende, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; SGG § 86b
Auszüge:

Zeiten des Bezugs von Sozialhilfe oder Leistungen nach dem SGB II zählen bei der 36-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG mit, wenn der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist.

(Leitsatz der Redaktion)

Das SG Hildesheim hat dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht stattgegeben.

Die Antragstellerin hat, wie dies bereits das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ihr steht nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit dem Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu. Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Bezüglich der Leistungsberechtigung der Antragstellerin besteht kein Zweifel. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG sind leistungsberechtigt Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 5 AufenthG besitzen.

Allein nach dem Wortlaut des § 2 AsylbLG, der einen 36-Monatszeitraum des Bezuges von Leistungen nach dem AsylbLG voraussetzt, hätte die Antragstellerin die Voraussetzungen des Geldleistungsbezuges nicht erfüllt und müsste weiterhin auf Sachleistungen verwiesen werden. Sie hat im Zeitraum vom 17. Juni 2002 bis 31. Mai 2003 insgesamt 11 Monate und 16 Tage Leistungen nach dem AsylbLG bezogen. Anschließend erhielt sie Leistungen nach dem BSHG und ab dem 01. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II. Erst ab dem 01. Mai 2006 wurden ihr erneut Leistungen nach den §§ 1, 3 AsylbLG gewährt.

Die Beschränkung des Handlungsspielraumes durch den Bezug von Sachleistungen bei Personen, die langjährig Grundsicherungsleistungen nach dem BSHG und dem SGB II bezogen haben und die durch die Änderungen des AsylbLG zum 01. Januar 2005 erstmals in den Kreis der nach § 1 AsylbLG Leistungsberechtigten aufgenommen wurden, steht allerdings nicht im Einklang mit den insgesamt bei den Änderungen des AufenthG und des AsylbLG verfolgten gesetzgeberischen Zielen. In Zusammenschau der durch das "Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern" (Zuwanderungsgesetz 2004) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I 2004, S. 1950) zum 01. Januar 2005 vorgenommenen Rechtsänderungen wird eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung für eine Analogiebildung erkennbar.

Die durch Art. 8 des "Zuwanderungsgesetzes 2004" bewirkten Änderungen des AsylbLG betreffen den Übergang zu den höheren Sozialhilfeleistungen und die Leistungeberechtigung. Bei der Änderung des § 2 AsylbLG, der die "Leistungen in besonderen Fällen" regelt, spielten verschiedene Kriterien eine Rolle: Der auch in § 1a AsylbLG deutlich werdende "Paradigmenwechsel" im deutschen Sozialhilferecht, nämlich die Frage nach der eigenen Verantwortung für eine Notlage und ihre Überwindung, spiegelt sich in der ab dem 01. Januar 2005 geänderten Fassung des § 2 AsylbLG wider. Es kommt entscheidend darauf an, ob der Ausländer die Dauer seines Aufenthaltes "rechtsmissbräuchlich" beeinflusst hat. Mit der Änderung dieser Vorschrift, die eine entsprechende Anwendung des BSHG/jetzt SGB XII und damit einen Wechsel vom Sachleistungs- ins Geldleistungsprinzip anordnet, wollte der Gesetzgeber die Absenkung des Existenzminimums für die in § 1 AsylbLG genannten Ausländer nicht unbegrenzt aufrechterhalten. Die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII soll nach Erfüllung der 36-monatigen Wartezeit zur Regel werden. Die entsprechende Anwendung des SGB XII wurde mit dem Ziel eingefügt, dass bei einem längeren Zeitraum des Aufenthaltes und noch nicht absehbarer weiterer Dauer nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden kann, der bei einem in der Regel nur kurzen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entsteht. Insbesondere sollen nach 36 Monaten Bedürfnisse anerkannt werden, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und bessere soziale Integration gerichtet sind (vgl. Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Auflage (2005), § 2 AsylbLG, Anm. 1). Gesetzgeberischer Grundgedanke, der die Änderung des § 2 Abs. 1 AsylbLG trägt, ist das nach einem längeren Aufenthalt im Bundesgebiet gestiegene Integrationsbedürfnis der betroffenen Ausländer (vgl. dazu auch Hohm, NVWZ 2007, S. 421).

Die Anhebung der Leistungen auf das Sozialhilfeniveau muss wegen einer identischen Interessenlage auch für Ausländer greifen, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verfügen.

Bei einem Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG handelt es sich gerade um einen der typischen Fälle eines Betroffenen, bei dem ein gesteigertes Integrationsinteresse anzunehmen ist. Nach dem vom Gesetzgeber mit den "Leistungen in besonderen Fällen" nach § 2 Abs. 1 AsylbLG verfolgten Zielen ist es nicht gerechtfertigt, diese Gruppe von Asylbewerbern, bei denen die grundsätzlich zwischen Sozialhilfeempfängern und Leistungsempfängern nach dem AsylbLG existierenden Unterschiede nicht mehr so schwerwiegend sind, auf abgesenkte Leistungen zu verweisen. Durch die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entfällt die durch den negativen Abschluss des Asylverfahrens eingetretene Ausreiseverpflichtung und der nur vorübergehende Aufenthalt entwickelt sich zu einem dauerhaften Aufenthaltsrecht (vgl. dazu auch Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen zur Änderung des AsylbLG, BR-Drucks. 36/07). Eine Einbeziehung dieser Personengruppe in den Anwendungsbereich des § 2 Asy1bLG auf dem Wege der Analogiebildung ist unter Beachtung der gesetzgeberischen Intention geboten.