OLG Brandenburg

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Zitieren als:
OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.02.2007 - 1 Ss 96/06 - asyl.net: M10848
https://www.asyl.net/rsdb/M10848
Leitsatz:

Eine Verurteilung wegen wiederholten Verstoßes gegen die räumliche Beschränkung einer Duldung setzt die Feststellung des Aufenthaltsstatus durch das Gericht voraus; ferner muss mindestens ein früherer Verstoß gegen die räumliche Beschränkung der Duldung festgestellt werden; ein Verstoß gegen die räumliche Beschränkung einer Aufenthaltsgestattung genügt ebenso wenig wie ein Verstoß vor dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes.

 

Schlagwörter: D (A), Strafrecht, räumliche Beschränkung, wiederholter Verstoß gegen räumliche Beschränkung, Duldung, Zuwanderungsgesetz, Rückwirkung, Anwendungszeitpunkt, Aufenthaltsgestattung
Normen: AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 7; AufenthG § 61 Abs. 1
Auszüge:

Eine Verurteilung wegen wiederholten Verstoßes gegen die räumliche Beschränkung einer Duldung setzt die Feststellung des Aufenthaltsstatus durch das Gericht voraus; ferner muss mindestens ein früherer Verstoß gegen die räumliche Beschränkung der Duldung festgestellt werden; ein Verstoß gegen die räumliche Beschränkung einer Aufenthaltsgestattung genügt ebenso wenig wie ein Verstoß vor dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Amtsgericht Brandenburg a. d. Havel verhängte gegen den Angeklagten mit Urteil vom 3. April 2006 wegen wiederholten Zuwiderhandelns gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufenthG eine nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von vier Monaten.

Den Gründen des erstinstanzlichen Urteils ist lediglich zu entnehmen, dass der u.a. wegen wiederholter Verstöße gegen das Asylverfahrensgesetz vorbestrafte Angeklagte am 20. Oktober 2005 gegen 16.00 Uhr auf dem Hardenbergplatz in Berlin angetroffen wurde, "obwohl seitens der Ausländerbehörde der Stadt Brandenburg an der Havel der Aufenthalt auf die Stadt Brandenburg an der Havel und den Landkreis Potsdam-Mittelmark beschränkt war" und obwohl er sich bereits an diversen, im einzelnen genannten Tagen in den Jahren 1998 bis 2003 "unerlaubt außerhalb des ihm zugewiesenen Aufenthaltsbereiches" aufgehalten habe.

Diese Feststellungen stützen aus mehreren Gründen nicht den Vorwurf der nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG strafbaren wiederholten Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufenthG.

1. Den Ausführungen lässt sich bereits nichts Näheres über den ausländerrechtlichen Status des Angeklagten und die Grundlage für seine Aufenthaltsbeschränkung entnehmen. Der Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG unterliegt allein der Verstoß gegen die in § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG geregelte, gesetzlich angeordnete räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers - bei dem die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt ist (§ 60 a AufenthG) - auf das Gebiet des betreffenden Bundeslandes. Aus den Urteilsgründen geht jedoch nicht hervor, dass dem Angeklagten eine entsprechende Duldung nach § 60 a AufenthG mit der sich daraus kraft Gesetzes gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ergebenden Aufenthaltsbeschränkung erteilt worden ist.

2. Darüber hinaus fehlt es gleichermaßen auch an ausreichenden Feststellungen für ein wiederholtes Zuwiderhandeln. Da ein nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG strafbarer Verstoß gegen die räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers ein mehrfaches Zuwiderhandeln voraussetzt und erstmalige Verstöße lediglich als Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG geahndet werden, bedarf es genauerer Angaben über weitere Gesetzesverletzungen. Die vom Amtsgericht getroffene Feststellung, der Angeklagte habe sich auch an weiteren, konkret benannten Tagen außerhalb des ihm zugewiesenen Aufenthaltsbereichs aufgehalten, genügt hierfür nicht, denn dem lässt sich nichts über die Art der zugrunde liegenden Aufenthaltsbeschränkungen entnehmen. Auf dieser Grundlage kann nicht beurteilt werden, ob auch insoweit ein für die Verwirklichung des Tatbestandes von § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG allein maßgeblicher Verstoß gegen die sich aus einer erteilten Duldung gemäß § 61 Abs. 1 AufenthG ergebende räumliche Beschränkung anzunehmen ist oder ob (lediglich) Verstöße gegen aus anderen Gründen bestehende Aufenthaltsbeschränkungen vorliegen. Zudem deuten die vom Amtsgericht zu den Vorstrafen getroffenen Feststellungen darauf hin, dass der Angeklagte seinerzeit nicht gegen die sich aus einer Duldung ergebende Aufenthaltsbeschränkung (vgl. zum damals geltenden Recht § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG, der inhaltlich dem § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entspricht), sondern gegen im Asylverfahren bestehende räumliche Beschränkungen nach § 56 AsylVfG verstoßen hat (im Wiederholungsfalle strafbar gemäß § 85 Abs. 2 AsylVfG). Ein solches Zuwiderhandeln erfüllt den Tatbestand von § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG jedoch nicht.

3. Die vom Amtsgericht festgestellten früheren Verstöße gegen bestehende Aufenthaltsbeschränkungen kommen ferner deshalb nicht für die Verwirklichung des nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG strafbaren Tatbestandes des wiederholtes Zuwiderhandeln gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufenthG in Betracht, weil die betreffenden Tatzeiträume (1998 bis 2003) vor dem 1. Januar 2005 liegen, an dem das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) in Kraft getreten ist (vgl. Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes; BGBl 2004 I 1950 v. 30. Juli 2004).

a) Bis zum 1. Januar 2005 war auch die wiederholte Überschreitung des räumlichen Geltungsbereichs einer Duldung gemäß den bis dahin geltenden - gemäß Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 des Zuwanderungsgesetzes seit dem außer Kraft getretenen - Vorschriften des Ausländergesetzes (vgl. §§ 55, 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG) nicht strafbar, weil sie den Tatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nicht erfüllte (BGHSt 42, 291). Entsprechende Verstöße waren - auch im Wiederholungsfalle - lediglich als Ordnungswidrigkeit sanktioniert (§ 93 Abs. 3 Nr. 1 AuslG). Der Gesetzgeber hat nunmehr mit Wirkung zum 1. Januar 2005 das wiederholte Zuwiderhandeln gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG als Straftat geregelt, während der erstmalige Verstoß gemäß § 98 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG weiterhin lediglich mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Neufassung des Gesetzes die für vollziehbar Ausreisepflichtige geltenden aufenthaltsrechtlichen Folgen, die es ermöglichen sollen, das Untertauchen des betreffenden Ausländers zu erschweren und die Erfüllung der Ausreisepflicht besser zu überwachen, an die für Asylbewerber gemäß § 85 Abs. 2, § 56 Abs. 1, 2 AsylVfG geltenden Sanktionen angleichen (vgl. BT-Drucksache 15/420, S. 92, 98).

b) Da der Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erst zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist und die Zuwiderhandlung vollziehbar Ausreisepflichtiger gegen die bestehende räumliche Beschränkung vor diesem Zeitpunkt - auch im Wiederholungsfalle - nur eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 AuslG darstellte, sind für die Beurteilung der Strafbarkeit nur Verstöße gegen die Aufenthaltsbeschränkung tatbestandsrelevant, die in die Zeit nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes fallen. Dies ergibt sich aus dem gemäß Art. 103 Abs. 2 GG geltenden Rückwirkungsverbot und entspricht der Regelung des § 2 Abs. 1 StGB. Danach bestimmt sich die Strafe nach dem zur Tatzeit geltenden Gesetz. Da § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG wiederholtes Zuwiderhandeln voraussetzt und damit auch der Erstverstoß eigenständiges Tatbestandsmerkmal ist, besteht bei einem lediglich vor Geltung der Norm begangenem (vgl. § 8 StGB) erstmaligem Zuwiderhandeln keine Strafbarkeitsgrundlage. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 2 StGB, wonach bei einer Änderung der Strafdrohung das bei Beendigung der Tat geltende Gesetz anzuwenden ist. Denn mit der Schaffung eines Straftatbestandes für Fälle bis dahin lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndeter wiederholter Verstöße hat der Gesetzgeber nicht lediglich die Höhe der Strafe oder den Deliktscharakter verändert, sondern den Wechsel von einer Ordnungswidrigkeit zu einer Straftat vollzogen, was strafbegründende Bedeutung hat; in diesem Fall sind nur solche Teilakte der Tatbestandsverwirklichung zu berücksichtigen, bei deren Begehung (§ 8 StGB) das neue Gesetz bereits in Kraft war (vgl. Schönke/Schröder-Eser, StGB 27. Aufl. § 2 Rdnr. 14, 15).