Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung für Yeziden in der Türkei.
Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung für Yeziden in der Türkei.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage des Klägers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. März 2006, mit dem die Feststellung, dass er die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (heute: § 60 Abs. 1 AufenthG) hinsichtlich der Türkei erfüllt, widerrufen wurde, zu Recht stattgegeben. Denn dieser Widerrufsbescheid ist rechtswidrig.
Es haben sich nämlich seit dem Erlass des Bescheides vom 6. Oktober 1997 die maßgeblichen Verhältnisse nachträglich nicht so erheblich verändert, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland nunmehr vor einer Verfolgung wegen seines Yezide-Seins hinreichend sicher wäre. Erforderlich ist für diese Beurteilung ein Vergleich der Situation, wie sie für den Kläger zum Zeitpunkt seiner Anerkennung als politischer Flüchtling im Oktober 1997 bestand und wie sie sich nunmehr zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) im Juni 2007 darstellt.
Dabei teilt das Gericht nicht den vom Bundesamt und ihm folgend auch vom Verwaltungsgericht der Prüfung zugrunde gelegten Ausgangspunkt, maßgeblich für die nachträgliche erhebliche Änderung der Verhältnisse sei das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer Gruppenverfolgung der Yeziden in der Südosttürkei. Diesen Ansatz, der allerdings von der dem Senat bekannten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte geteilt wird (vgl. dazu insbesondere: VG Osnabrück, Urteil vom 12. Dezember 2006 - 5 A 311/06 -, weniger deutlich: VG Freiburg, Urteil vom 25. Juli 2006 - A 6 K 11023/05, AuAS 2006, S. 224 = AuAS 2007, S. 70 sowie VG Darmstadt, Urteil vom 19. April 2007 - 7 E 2413/05.A -, Asylmagazin 2007, Heft 6, S. 23), hält der Senat für unzutreffend. Diese Rechtsmeinung beruft sich nicht nur zu Unrecht auf die beiden Entscheidungen des OVG Schleswig vom 29. September 2005 (1 LB 41/04, aufgehoben durch Beschluss des BVerwG vom 24. Mai 2006 - BVerwG 1 B 130.05) und des OVG NRW vom 14. Februar 2006 (15 A 2119/02.A), in denen - anders als im vorliegenden Verfahren - erstmals um die Anerkennung als politischer Flüchtling gestritten wurde und nicht um den Widerruf einer seinerzeit ausgesprochenen Anerkennung, sondern ist nach Auffassung des Senats auch aus zwei Gründen abzulehnen.
Zum einen gibt es hiergegen einen methodologischen Einwand. Dieser ergibt sich aus der Größe der in Rede stehenden Gruppe und der zu fordernden Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. Aus der früheren Rechtsprechungspraxis des Senats wie auch aus einschlägigen Gutachten (vgl. etwa die Auflistung yezidischer Dörfer in Türkisch-Kurdistan, in: Schneider [Hg.]: Die kurdischen Yezidi. Ein Volk auf dem Weg in den Untergang, 1984, S. 100 sowie: Sternberg-Spohr: Bestandaufnahme der Restbevölkerung der Volksgruppen der kurdischen Ezidi [Yezidi, Jesiden] & und der christlichen Assyrer in der Süd-Ost-Türkei [Kurdistan-Türkei] im März 1993 [Teil 1 - Ezidi], März 1993 [update Sommer 1993]) ist von drei bis vier - früheren - Siedlungsgebieten der Yeziden in der Südost-Türkei auszugehen: Vom Tur’Abdin-Gebiet in der Provinz Mardin, vom Besiri/Kurtalan-Gebiet in der Provinz Siirt (sowie in der erst vor einigen Jahren geschaffenen Provinz Batman) und vom Viransehir-Gebiet in der Provinz Urfa sowie von dem kleineren Gebiet bei Diyarbakir/Bismil in der Provinz Diyarbakir. In diesen drei bzw. vier Gebieten leben zum gegenwärtigen Zeitpunkt offensichtlich kaum mehr als ca. 500 Yeziden. Die Zahl ergibt sich aus einer sehr ins Detail gehenden Zählung des Yezidischen Forums von Ende März 2006 (vgl. dazu die schriftliche Stellungnahme des Yezidischen Forums vom 4. Juli 2006, S. 11). Diese Größenordnung ist hier auch zugrunde zu legen. Zwar geht das Auswärtige Amt aufgrund von Angaben von Yeziden aus dem Viransehir-Gebiet von ca. 2.000 Yeziden aus (vgl. dazu die Auskunft vom 20. Januar 2006, den "Lagebericht" vom 11. Januar 2007 [Stand: Dezember 2006], S. 26 sowie die Auskunft vom 26. Januar 2007), jedoch ist diese Zahl - trotz ihrer Wiederholung - nicht näher spezifiziert und nachvollziehbar gemacht. Im Übrigen nennt das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 26. Januar 2007 (S. 7) selbst eine Zahl von 500 verbliebenen Yeziden, die das türkische Kultus- und Tourismusministerium für das Jahr 2000 ermittelt hat.
Ist danach aber von einer Population von gegenwärtig nur 500 bis 600 Yeziden in der gesamten Südost-Türkei auszugehen und berücksichtigt man noch, dass sich diese auf drei bis vier (frühere) Siedlungsgebiete verteilen, so kann man nach Auffassung des Senats schwerlich noch von einer wirklichen "Gruppe" sprechen, die Opfer einer Gruppenverfolgung sein kann.
Zum anderen steht bei dem hier in Rede stehenden Widerruf der Flüchtlingsanerkennung des Klägers inmitten die Frage, ob es gerade dem Kläger wegen der nachträglichen Änderung der Verhältnisse zumutbar ist, in die Türkei zurückzukehren. Geboten ist daher keine generalisierende Betrachtungsweise und Erörterung einer Gruppenverfolgung, sondern es ist stattdessen zu fragen, ob der als politisch Verfolgter anerkannte Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mehr wie bei seiner Flucht aus seinem Heimatland einer politischen Verfolgung ausgesetzt, sondern vielmehr hiervor hinreichend sicher ist. Diese Frage kann nur konkret für die Person des Klägers und für seine Lebensverhältnisse beantwortet werden. Dabei spielen naturgemäß auch Referenzfälle eine Rolle. Sie sind aber hier nur insoweit relevant, als sie für die auf den Kläger bezogene Prognose der künftigen Verfolgungsgefahr bedeutsam sind.
Um beurteilen zu können, was den Kläger bei einer Rückkehr zum heutigen Zeitpunkt erwartet, ist es zunächst geboten, sich zu vergegenwärtigen, in welcher Situation er seinerzeit im Sommer 1994 seinen Heimatort und sein Heimatland verlassen hat. Hierbei ist vom damaligen Vorbringen des Klägers auszugehen. Danach und nach gutachterlichen Stellungnahmen, die der Senat in das Verfahren eingeführt hat, stellte sich die Situation für den Kläger wie folgt dar:
Der Kläger stammt aus dem Dorf .... Das Dorf liegt ca. sieben Kilometer südöstlich von der Kreisstadt in der Provinz Mardin und gehört damit zum Tur’Abdin, so die christliche Bezeichnung dieses Gebietes.
Entscheidenden Einfluss hatte eine kurdische Großgrundbesitzerfamilie, die häufig Abgeordnete und auch Bürgermeister stellte. Schon immer pflegte der Deskurti-Stamm und insbesondere auch die Familie ... sehr gute Beziehungen zur türkischen Regierung und unterstützte die türkischen Sicherheitskräfte in ihrem bewaffneten Kampf gegen die kurdische Guerilla. Dabei war es gerade die Familie die sich in den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und der PKK seit Sommer 1984 hervortat und in großem Umfang der Regierung Dorfschützer zur Verfügung stellte, die dann zusammen mit den türkischen Sicherheitskräften gegen die bewaffnete PKK kämpften. Das Engagement der von der Familie ... gestellten Dorfschützer war so groß, dass sie einen besonders schlechten Ruf genossen und bekannt waren für die meisten schwerwiegenden Straftaten wie Usurpation, Raub, Vergewaltigung, Körperverletzungen und Mord. Von staatlichen Stellen wurden weder die Dorfschützer noch die Familie für diese Verbrechen zur Verantwortung gezogen. Sie waren dem türkischen Staat im seinem Kampf gegen die PKK nützlich und deshalb ließ man sie schalten und walten. Die vom Staat gebilligte Dorfschützerarmee - sie soll aus bis zu 3.000 wehrfähigen Männern bestanden haben - war naturgemäß auch ein Machtfaktor in der Region Midyat und hat den Einfluss und die Macht der Familie ... noch weiter gesteigert. Wie der Gutacher Aydin 1999 feststellte (a.a.O., S. 9) besaß die Familie ... in der Region Midyat die uneingeschränkte Überlegenheit und unterdrückte die Bevölkerung durch ihre bewaffneten Kräfte, die Dorfschützer.
Es ist sehr plausibel, dass sein Vater als Yezide und zudem prokurdischer Aktivist und sogar Funktionär der prokurdischen HEP in das Fadenkreuz der aus dem Dorf stammenden und weiterhin dort sehr einflussreichen Familie, und ihrer Dorfschützer geraten war und von diesen und den türkischen Sicherheitskräften in einem rechtsfreien Raum immer wieder drangsaliert wurde. Nachvollziehbar ist für den Senat weiter, dass der Vater des Klägers in diesem ungesetzlichen Zustand nach verschiedenen Festnahmen im Jahre 1991 oder 1992 nicht mehr zu seiner Familie zurückgekehrt, sondern wahrscheinlich zu Tode gekommen ist und dass daraufhin die übrige Familie des Klägers weiter drangsaliert wurde. All dies und die schließlich in Etappen erfolgte Flucht der Familie, wobei der älteste Sohn mit den nächst jüngeren Geschwistern den Anfang machte, dann der Kläger folgte und schließlich die Mutter als letzte das Heimatdorf verließ, sind für den Senat vor dem Hintergrund seiner langjährigen Beschäftigung mit solchen Schicksalen typisch und runden das Bild der Verfolgung und Vertreibung einer yezidischen Familie aus dem Tur’Abdin ab.
Mit Blick auf den von der Beklagten verfügten Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nun zu fragen, ob sich diese Verhältnisse in dem Dorf ... im Kreis Midyat nachträglich inzwischen erheblich und nicht nur vorübergehend so geändert haben, dass der Kläger vor einer politischen Verfolgung hinreichend sicher ist. Diese Frage ist zu verneinen.
Ein Anhaltspunkt bildet für den Senat schon das bereits erwähnte Gutachten des Sachverständigen Aydin aus dem Jahr 1999. Denn darin heißt es, die Familie ... werde durch den Staat sowohl in der gesamten Türkei als auch in der Region Midyat besonders geschützt und unterstützt und der Einfluss der Familie ... werde - auch durch die Bedeutung der Dorfschützer - noch lange andauern. Nach Auffassung des Senats bedürfte es, um diesen Einfluss entscheidend zurückzudrängen, eines grundlegenden und nachhaltigen Wandels der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen vor Ort. Dafür hat aber die Beklagte nichts vorgetragen. Hierfür ist auch nichts ersichtlich. Im Gegenteil lässt sich schon aus den allgemeinen Verhältnissen in der Südosttürkei schlussfolgern, dass die alten, traditionellen und letztlich die Flucht des Klägers und seiner Familie auslösenden Strukturen und Machtverhältnisse bestehen geblieben sind.
Denn eine wirkliche Befriedung des kurdischen Südostens durch die Anerkennung der kulturellen und politischen Rechte der kurdischen Bevölkerung hat nicht stattgefunden. Nach einer kurzen Phase der Ruhe und Erschöpfung ist in den letzten Jahren der bewaffnete Kampf der PKK gegen die türkischen Sicherheitskräfte in der Südosttürkei sogar wieder aufgeflammt (vgl. den "Lagebericht" des AA vom 11. Januar 2007, S. 20 f.). Damit blieben und bleiben die traditionellen Machtzentren vor Ort, die Großgrundbesitzer, für den türkischen Staat weiterhin wichtig und sie erfahren grundsätzlich eine Anerkennung und Unterstützung wie bisher. Dementsprechend sind beispielsweise die Dorfschützerwehren, die nie vollständig entwaffnet wurden, inzwischen wieder erstarkt und nehmen ihre Funktion als paramilitärische regierungstreue Schutztruppe wahr (vgl. IMK - Menschenrechtsinformationsdienst Nr. 15/2007 vom 22. bis 7. Februar 2007 S. 1). Damit sind sie aber auch für die Großgrundbesitzer wiederum der regionale Machtfaktor, mit deren Hilfe sie ihre Macht erhalten und sogar ausbauen können.
Die Richtigkeit dieser aus allgemeinen aktuellen Nachrichten abgeleiteten Einschätzung der aktuellen Lage im Südosten und gerade im Tur’Abdin und einer möglichen Rückkehr von Yeziden in den Tur’Abdin ergibt sich zudem aus den Einzelfällen, die in Auskünften, Gutachten und Stellungnahmen zur allgemeinen Frage einer Gruppenverfolgung der Yeziden in der Südosttürkei vorliegen. Dabei illustrieren für den Senat in anschaulicher Weise fünf Vorfälle aus den letzten Jahren die Situation yezidischer Rückkehrer in den Tur’Abdin:
Der 1. Fall betrifft den yezidischen Scheikh Sancar aus dem yezidischen Dorf Mizix. Er wurde am 12. März 2002 zusammen mit seiner Ehefrau verschleppt und anschließend in der Nähe von Midyat ermordet. Grund dafür war die geplante Rückkehr in das enteignete Dorf. Seit 2005 sind die Täter und Komplizen bekannt, eine strafrechtliche Verfolgung findet aber nicht statt (vgl. dazu: Gutachten Baris vom 17. April 2006, Anlage S. 5, bestätigt wird dieser Vorfall durch die Stellungnahme des Yezidischen Forums vom 4. Juli 2006, Fall "11"; vgl. dazu auch die Auskunft des AA vom 26. Januar 2007, S. 6 unten/7 oben).
Nicht ganz so spektakulär war der Fall eines in Deutschland lebenden Yeziden namens O. aus dem Dorf M. im Kreis Nusaybin. Als dieser im Juli 2002 in sein Heimatdorf fuhr und sich bemühte, seinen Landbesitz registrieren zu lassen sowie zu erproben, ob er in seinem Heimatdorf leben und sein Land bewirtschaften könne, erregte er die Aufmerksamkeit des Großgrundbesitzers C aus Midyat. Der Großgrundbesitzer C. forderte daraufhin O. auf, die Türkei zu verlassen. Für den Fall, dass O. nochmals in die Türkei zurückkehren werde, drohte er ihm, er werde das Land nicht mehr lebend verlassen. O. konnte nochmals nach Deutschland ausreisen und ist seitdem nicht mehr in die Türkei zurückgekehrt (vgl. Fall 10 in der Stellungnahme des Yezidischen Forums vom 4. Juli 2006).
Im 3. Fall ging es um Yeziden aus dem Dorf Bacin/Görenköy im Kreis Midyat. Als sie in ihr Heimatdorf zurückkehrten, um zu erkunden, ob für sie eine Rückkehrmöglichkeit bestand, wurden sie vehement bedrängt und regelrecht aus dem Bezirk hinausgejagt (vgl. dazu das Gutachten Baris vom 17. April 2006, Anlage S. 5).
Der 4. Fall betrifft den in Deutschland lebenden Yeziden K. Er reiste Anfang 2005 nach Midyat in der Absicht, sein leer stehendes Heimatdorf wieder aufzubauen, und hatte auch schon die ersten Schritte unternommen. Bei seinen Bemühungen wurde er von Moslems beobachtet und daraufhin massiv bedroht
Der 5. Fall schließlich betrifft wiederum einen in Deutschland lebenden Yeziden (vgl. den Fall 9 in der Stellungnahme des Yezidischen Forums vom 4. Juli 2006). Als dieser Ende Mai 2004 von seinem Grundbesitz mehr als 100 Tonnen seiner Ernte einbringen (lassen) wollte, haben ihm der in Midyat lebende Moslem und Großgrundbesitzer S.C. (in der dem Senat vorliegenden Stellungnahme ist der Name anonymisiert, sehr wahrscheinlich handelt es sich um den bereits mehrfach erwähnten ...) und dessen Enkel C. zusammen mit fünf weiteren Personen über die Hälfte der Ernte (insgesamt 57 Tonnen) mit Gewalt abgenommen. Dann ließen ihm die beiden Anführer der Dorfschützer durch Dritte ausrichten, wenn er nicht sofort die Türkei verlasse, "werde seine Mutter weinen". Als der Yezide dann noch merkte, dass ihm zwei Männer folgten und ihn beobachteten, ist er sofort ausgereist.
Um diese und zahlreiche andere von Yeziden geschilderte "Rückkehrfälle" ist inzwischen ein heftiger Streit entbrannt. So wurden solche Fälle zunächst von dem Gutachter Barfis in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung des VG Hannover vom 30. April 2003 genannt und diesen dann in der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. Februar 2004 und in einer weiteren vom 20. Januar 2006 widersprochen. Dies war sodann Anlass für das Yezidische Forum zur "Stellungnahme zur Situation der Yeziden in der Türkei" vom 5. Februar 2006. Auch äußerte sich der Sachverständige Barfis in einer schriftlichen Stellungnahme vom 17. April 2006. Es folgte dann außer dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11. Januar 2007 dessen Auskunft vom 26. Januar 2007. Dies nahm das Yezidische Forum schließlich zum Anlass für seine "Anmerkungen zu der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes" vom 20. März 2007. Letztlich hat sich das Auswärtige Amt noch in einer Stellungnahme vom 3. Mai 2007 - dem Senat von der Beklagten vorgelegt nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in dieser Sache - zu der Stellungnahme des Yezidischen Forums vom 20. März 2007 geäußert.
Zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits hat der Senat keinen Anlass, in diesem "Gutachterstreit" abschließend Stellung zu beziehen. Gleichwohl hält es das Gericht mit Blick auf die solche Dimensionen annehmende Kontroverse doch für geboten, auf folgendes hinzuweisen:
Alle in diesen fünf Fällen erwähnten Yeziden, die ersichtlich vor politischer, religiöser Verfolgung in ihrem Heimatland seinerzeit in Deutschland Zuflucht gefunden hatten, bemühten sich um ihren früheren, ihnen abgenommenen oder streitig gemachten Grundbesitz und versuchten, in ihrer alten Heimat wieder Fuß zu fassen. Sie taten damit das, was man idealer Weise von einem politischen Flüchtling erwartet, der nicht in seinem Zufluchtsland bleiben will: Ein solcher bemüht sich um seine Rückkehr und/oder sichert seinen Besitz im Heimatland. Von daher muss er jedenfalls grundsätzlich den Respekt und die Anerkennung des Aufnahmelandes erfahren. Damit verträgt es sich nur schwer, wenn man dem Rückkehrwilligen im Nachhinein auch nur inzidenter vorwirft, gelogen oder übertrieben oder die wirklichen Verhältnisse falsch eingeschätzt zu haben. Denn schließlich war er vor Ort, er kennt die Verhältnisse dort. Es geht doch um sein Heimatdorf bzw. seine Heimatregion und hat er sich doch aller Voraussicht nach den Schritt, eine Rückkehr in das Land seiner Verfolgung zu wagen, gut überlegt und geplant. Zudem ging es bei dieser Rückkehr - wie der Fall des Scheikh Sancar und seiner Ehefrau von März 2002 zeigt, um das nackte Überleben einer Rückkehr nach Midyat bzw. dessen Umgebung. Deshalb fällt es dem Senat sehr schwer, solche von Yeziden mitgeteilten Fälle als letztlich "harmlos" oder als "Missverständnis" zu werten, zumal die Gegeninformationen von Personen (wie den Großgrundbesitzern der Familie C.) und Institutionen (wie türkischen Gerichten und Staatsanwaltschaften) stammen, die seinerzeit Urheber der Verfolgung waren bzw. nicht willens oder in der Lage waren, den Verfolgten staatlichen Schutz zu gewähren.
Dabei sei nur am Rande noch darauf hingewiesen, dass nicht nur Yeziden in Tur’Abdin sondern sogar auch syrisch-orthodoxe Christen bei einer von ihnen erwogenen freiwilligen Rückkehr in den Tur’Abdin schweren Repressalien ausgesetzt sind.
All dies wie auch der Umstand, dass das Auswärtige Amt in seinen Auskünften manchen Fällen (wie in den genannten Fällen 3 und 4) nicht widersprochen hat bzw. der nicht bestreitbaren Ermordung des yezidischen Scheikh und seiner Frau (Fall 1) "nur" noch neben dem religiösen Motiv ein weiteres mögliches Tatmotiv (Raubmord) hinzugefügt hat (vgl. die Auskunft vom 26. Januar 2007) ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits letztlich unerheblich. Denn wenn dem Kläger, wie in dem angefochtenen Widerrufsbescheid des Bundesamtes geschehen, zugemutet wird, in seinen Heimatort, aus dem er vor Verfolgung geflohen ist, zurückzukehren, dann muss der Senat davon überzeugt sein, dass er vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher ist. Es muss für ihn angesichts der Verhältnisse vor Ort eine Rückkehr in "Sicherheit und Würde" möglich sein - die auch durch positive Beispiele einer gelungenen Rückkehr und Reintegration belegbar ist.
Davon kann hier aber keine Rede sein. In allen dem Senat vorliegenden Auskünften und Stellungnahmen gibt es keinen einzigen Fall eines Yeziden, dem eine Reintegration in das Dorf ... oder auch nur in ein anderes Dorf im Tur’Abdin gelungen wäre - geschweige denn auf eine längere Sicht. Vielmehr sind alle Versuche von Yeziden - ohne den Gründen nachgehen zu wollen - voll und ganz gescheitert. Unter diesen Umständen kann dem Kläger - zumal allein und ohne Rückhalt durch seine Familie, von Freunden und früheren Nachbarn - nicht zugemutet werden, in sein Heimatdorf zurückzukehren. Der Kläger ist nicht nur nicht, was Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs ist, vor erneuter politischer, religiöser Verfolgung hinreichend sicher, sondern im Gegenteil droht ihm nach allen dem Senat bekannten Umständen ein Scheitern.
Schließlich hat der Senat noch erwogen, den Widerrufsbescheid des Bundesamtes deshalb zu bestätigen, weil dem Kläger eine Rückkehr - wenn auch nicht in sein Heimatdorf - so doch in eine Kreisstadt seiner Heimatregion zumutbar ist. Jedoch auch dies ist - wobei bezeichnenderweise die Beklagte selbst eine solche Möglichkeit nicht in Betracht gezogen hat - nicht möglich. Eine Rückkehr etwa in der Kreisstadt Midyat, dessen Verhältnisse der Kläger noch am ehesten kennt, scheitert ersichtlich daran, dass die Großgrundbesitzerfamilie auch dort entscheidenden Einfluss hat.
Letztlich bleibt zu prüfen, ob dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine Wohnsitznahme in der Westtürkei zuzumuten ist. Aber auch eine solche kommt jedenfalls schon vom Tatsächlichen her nicht in Betracht. Diese Möglichkeit, die ebenfalls schon die Beklagte nicht erwogen hat, verbietet sich wohl deshalb, weil selbst das Auswärtige Amt eine solche Alternative in seinen Auskünften nicht in Betracht gezogen und der Sachverständige Barfis in seinem Gutachten vom 17. April 2006 (S. 2) für den Senat überzeugend ausgeführt hat, dass Yeziden dort wegen ihrer Religion, Herkunft und Kultur nicht überleben können und sich dort weniger als ein Dutzend Yeziden aufhalten. Dass dem Kläger, der vor religiöser und politischer Verfolgung geflohen ist, nunmehr eine Rückkehr mit anschließender Verleugnung seiner Religion, Herkunft und Kultur, letztlich also einer Selbstaufgabe, nicht zumutbar ist, liegt auf der Hand.