VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 11.07.2007 - 7 A 211/06 - asyl.net: M10852
https://www.asyl.net/rsdb/M10852
Leitsatz:

Zur "Umverteilung" eines Ausländers mit geduldetem Aufenthalt zur Lebenspartnerin und Kind.

 

Schlagwörter: D (A), Duldung, Wohnsitzauflage, Schutz von Ehe und Familie, Ermessen, Eltern-Kind-Verhältnis, nichteheliche Kinder, Falschangaben, Mitwirkungspflichten, Passersatzbeschaffung
Normen: AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Zur "Umverteilung" eines Ausländers mit geduldetem Aufenthalt zur Lebenspartnerin und Kind.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist als Verpflichtungsklage auf Änderung der Wohnsitzauflage zulässig und begründet.

Rechtsgrundlage für die streitige Auflage ist § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (früher § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG).

Die wohnsitzbeschränkende Auflage dient insbesondere dazu, ungleiche Belastungen der Träger der Sozialhilfe bzw. vergleichbarer öffentlicher Leistungen zu vermeiden. Die durch die landesinterne Verteilung erreichte Gleichmäßigkeit der Belastung der Kommunen soll nach Abschluss des Asylverfahrens erhalten bleiben (vgl. Ziffer 61.1.2 Vorl. Nds. VV-AufenthG vom 30.11.2005). Dabei handelt es sich um ein aufenthaltsrechtlich erhebliches öffentliches Interesse, das mit höherrangigem Recht grundsätzlich vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 19.03.1996 - 1 C 34/93 -, DVBl. 1997, 165 ff.; Nds. OVG, Beschl. vom 06.06.2001 - 9 LB 1404/01 -). Bei der Ermessensentscheidung ist das öffentliche Interesse an der Einschränkung der Freizügigkeit gegen das private Interesse des Ausländers abzuwägen. Dabei sind insbesondere die Grundrechte und der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das durch Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützte Elternrecht gebietet in der Regel, eine von den Beteiligten gewünschte Herstellung der Lebensgemeinschaft enger Familienangehöriger, zu denen auch nichteheliche Kinder zählen, zu ermöglichen (vgl. Ziffer 12.2.1.4.1 i. V. m. Ziff. 61.1.2.3 Vorl. Nds. VV-AufenthG). Das Elternrecht, in dessen Schutzbereich auch nichteheliche Väter einbezogen sind, enthält grundsätzlich auch das Recht, mit seinem minderjährigen Kind in einer Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zusammenzuleben (vgl. BVerfG, Beschl. vom 30.01.2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171 ff.). Es umfasst damit mehr als das Recht auf besuchsweise Begegnungen (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 20.06.2003 - 2 LA 128/02 -). Bei der Beurteilung der Frage, wo der künftige Wohnsitz genommen werden soll, ist nach Möglichkeit auf berechtigte Wünsche der Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Zu berücksichtigen ist unter anderem, wo sich eine evtl. Arbeitsstelle befindet oder in welcher Gemeinde bereits ausreichender Wohnraum vorhanden ist (Ziffer 12.2.1.4.1 Vorl. Nds. VV-AufenthG). Ist der andere Ehe- bzw. Lebenspartner deutscher Staatsangehöriger, ihm also die freie Wahl des Wohnortes möglich, ist es ihm zuzumuten, seinen Wohnsitz an den Ort der übrigen Familienangehörigen zu verlegen, solange er keine schützenswerten Belange für einen Verbleib am bisherigen Wohnort, z.B. Erwerbstätigkeit, hat (vgl. Vorl. Nds. VV-AufenthG, aaO.).

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger einen Anspruch darauf, ihm eine Wohnsitznahme bei seiner Lebenspartnerin und seinem im Kleinkindalter befindlichen Sohn in Hannover zu ermöglichen. Die eine Änderung der Wohnsitzauflage ablehnende Entscheidung der Beklagten berücksichtigt sein durch Art. 6 GG geschütztes Elternrecht nicht angemessen. Zwar steht es der Lebenspartnerin des Klägers als deutscher Staatsangehöriger frei, ihren Wohnsitz mit dem gemeinsamen Kind nach ... zu verlegen und dort mit dem Kläger zusammenzuziehen, es bestehen aber schützenswerte Belange für die Begründung der Lebensgemeinschaft am bisherigen Wohnort der Lebenspartnerin. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass die noch sehr junge Lebensgefährtin des Klägers an ihrem jetzigen Wohnort in Hannover persönlich verwurzelt ist, auch weil dort ihre Familie wohnt, auf deren Hilfe bei der Erledigung von Dingen des alltäglichen Lebens sie vertrauen kann. Der Umstand, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin (noch) nicht über eine Wohnung verfügen, in der sie gemeinsam wohnen können, steht dem nicht entgegen. Denn ohne die Änderung der Wohnsitzauflage wäre der Kläger von vornherein gehindert, in engen Kontakt vor allem zu seinem Kind zu treten, schon weil er nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um entsprechend häufig von ... nach Hannover zu fahren.

Gegenüber der begehrten Änderung der Wohnsitzauflage kann dem Kläger auch nicht durchgreifend entgegengehalten werden, er wirke nicht bei der Klärung seiner Identität und der Beschaffung der für seine Abschiebung aus dem Bundesgebiet erforderlichen Passersatzpapiere mit. Die ausschließlich die Verwaltung, nicht aber die Gerichte bindende Vorläufige Nds. Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz sieht insofern vor, dass die Streichung einer Wohnsitzauflage nicht in Betracht kommt, solange eine Aufenthaltsbeendigung ausschließlich aus Gründen nicht möglich ist, die der Ausländer selbst zu vertreten hat, weil etwa durch falsche Angaben zur Person oder zur Staatsangehörigkeit die Identität verschleiert wurde, die Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten verweigert wurde oder im Verfahren hierzu falsche Angaben gemacht wurden (Ziff. 61.1.2.4 Vorl. Nds. VV-AufenthG). Für den Kläger ist in diesem Zusammenhang jedoch zu berücksichtigen, dass er nach seinem nicht substanziiert angegriffenen Vortrag sein Sorgerecht gegenüber seinem minderjährigen Kind wahrnimmt, indem er durch Besuche bei seiner Lebensgefährtin Kontakt zu seinem Sohn pflegt, und er die Änderung der Wohnsitzauflage zur Begründung einer durch die Schaffung eines gemeinsamen Wohnsitzes vertieften Lebens- und Erziehungsgemeinschaft begehrt, die nach Art. 6 GG eine Abschiebung grundsätzlich bereits für sich allein rechtlich unzulässig macht, also eine Abschiebung auch bei Vorliegen der dazu erforderlichen Heimreisedokumente ausschließt (vgl. BVerfG, Beschl. vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, juris; Beschl. vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - AuAS 2006, 26 ff.). Das durch das Fehlen von Passdokumenten bzw. Passersatzpapieren begründete Abschiebungshindernis wird insoweit durch die Wahrnehmung der Personensorge für das minderjährige Kind überlagert (vgl. ebenso VG Oldenburg, Beschl. vom 06.08.2004 - 11 B 3121/04 - juris). Hinsichtlich des Gewichts der dem Kläger entgegengehaltenen Verletzung seiner Mitwirkungspflicht im Rahmen der Entscheidung über die Änderung der Wohnsitzauflage ist zu berücksichtigen, dass die Wohnsitzauflage nicht zur Durchsetzung der Mitwirkungspflichten des Klägers angeordnet worden ist, sondern um ungleiche Belastungen der Träger der Sozialhilfe bzw. vergleichbarer öffentlicher Leistungen zu vermeiden. Insoweit sind unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers aber hinreichende Gründe für die Änderung der Wohnsitzauflage gegeben.

Mangels durchgreifender entgegenstehender Gesichtspunkte ist das der Beklagten zustehende Ermessen dahingehend reduziert, dem Kläger die Wohnsitznahme bei seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind im Gebiet der Beigeladenen zu ermöglichen.