OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 11.07.2007 - 3 Q 160/06 - asyl.net: M10858
https://www.asyl.net/rsdb/M10858
Leitsatz:
Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Kinder, alleinerziehende Frauen, Folgeantrag, Ausländerbehörde
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

Dem Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 13.10.2006 - 2 K 189/06.A -, mit dem das Verwaltungsgericht das Begehren auf Abschiebungsschutz vor einem lediglich möglichen Bürgerkrieg abgewiesen hat, kann nicht entsprochen werden.

I. Die Kläger machen geltend, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG). Sie sehen die grundsätzliche Bedeutung in der konkreten Gefahr einer künftigen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung nach der Stichwahl zwischen Staatschef Joseph Kabila und Oppositionsführer Jean-Pierre Bemba am 29.10.2006.

Vorweg ist klarzustellen, dass die Kläger nicht eine tatsächlich bestehende bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung vortragen. Eine solche bürgerkriegsähnliche Situation besteht auch nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial in Kinshasa – dem allein in Betracht kommenden Ankunftsort für Rückkehrer – nicht.

Das Rechtsschutzbegehren der Kläger geht aber darüber hinaus. Die Kläger beziehen die erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthaltsG im Sinne einer Extremgefahr bereits vorverlegt auf eine von dem Gericht zu prognostizierende bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung, die derzeit noch gar nicht stattfindet.

Es liegt auf der Hand, dass die notwendig unsichere Prognose eines Gerichts, in einer noch ruhigen Lage werde künftig eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung ausbrechen, nicht für die Feststellung ausreichen kann, der Ausländer würde gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert, und zwar bereits bald nach der Rückkehr.

II. Vorsorglich weist der Senat übereinstimmend mit seiner Rechtsprechung (Beschluss vom 10.11.2004 - 3 Q 32/04 -; Beschluss vom 12.7.2006 - 3 Q 45/05) darauf hin, dass die drei 1998, 1999 und 2000 geborenen klagenden Kinder bei einer zu erwartenden Abschiebung nur mit dem vollständigen Familienverband nach Kinshasa zurückgeführt werden dürfen (vgl. zum Verfahren der Eltern der Kläger den Beschluss des Senats vom 9.7.2007 - 3 Q 158/06 -).

Sollte die Behörde beabsichtigen, die Kläger als kleinere Kinder allein nach Kinshasa abzuschieben, würde dies der dargelegten Rechtsprechung des Senats diametral widersprechen. Nach der Rechtsprechung des Senats erfordert das Überleben in Kinshasa Überlebensstrategien, die einem vollständigen Familienverband möglich und zumutbar sind, nicht aber Kindern als solchen und allein stehenden Müttern mit kleinen Kindern (Beschluss des Senats vom 12.7.2006 - 3 Q 45/05 -, Seite 4 des Umdrucks).

Dies gilt auch nach dem aktuellen Stand der Lage in Kinshasa. Die Bevölkerung in Kinshasa ist nach wie vor auf Überlebensstrategien angewiesen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5.9.2006, Seite 17).

Solche Überlebensstrategien sind Kindern allein schwerlich zumutbar. Hinzukommt, dass Kinder allen Arten sexueller Gewalt ausgesetzt sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5.9.2006, Seite 5).

Mithin hält der Senat auch nach dem neuesten Stand von 2007 an seiner asylrechtlichen Rechtsprechung fest, dass für einen vollständigen Familienverband oder Männer allein Überlebensstrategien in Betracht kommen und eine Extremgefahr auszuschließen ist. Demgegenüber sind solche Überlebensstrategien für Kinder nicht möglich und für allein erziehende Mütter mit kleineren Kindern in aller Regel ausgeschlossen, sodass in diesen Konstellationen eine Extremgefahr zu bejahen ist.

Dabei handelt es sich aber um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG, das nach der Rechtsprechung des OVG des Saarlandes im Abschiebungsverfahren gegen die Ausländerbehörde formell nicht berücksichtigt werden kann (Beschluss des OVG des Saarlandes vom 17.5.2006 - 2 W 11/06 ).

Verfahrensrechtlich geht der Senat aber davon aus, dass die Kläger im Fall ihrer beabsichtigten Abschiebung ohne Familienverband nach Kinshasa effektiven Rechtsschutz durch einen Folgeantrag im Asylverfahren gegen das Bundesamt erlangen können.