VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.06.2007 - A 9 S 315/07 - asyl.net: M10896
https://www.asyl.net/rsdb/M10896
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, Berufungszulassungsantrag, Fristen, Fristversäumnis, Zwei-Wochen-Frist, Prozessbevollmächtigte, Verschulden, Zurechenbarkeit
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 4; VwGO § 60 Abs. 1; VwGO § 173; ZPO § 85 Abs. 2
Auszüge:

Der Antrag ist unzulässig.

Nach § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG ist die Zulassung der Berufung innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen (Satz 2). In dem Antrag – also ebenfalls innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG – sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen (Satz 4). Diese Fristen zur Stellung und Begründung des Antrages auf Zulassung der Berufung hat der Kläger versäumt.

Die beantragte Wiedereinsetzung kann dem Kläger nach § 60 Abs. 1 VwGO nicht gewährt werden. In dem Antragsschreiben vom 04.06.2007 ist nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Die Versäumung der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG beruht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers, das sich der Kläger gemäß § 173 VwGO in Verb. mit § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Ein Verfahrensbeteiligter muss sich ein Verschulden seines Bevollmächtigten an der Fristversäumung wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Die Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO bezieht sich indessen nicht auf ein Verschulden etwaiger Hilfspersonen, deren sich der Beteiligte oder sein Bevollmächtigter bei der Wahrnehmung seiner verfahrensrechtlichen Aufgaben bedient (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.05.1991, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 172; Beschluss vom 07.06.1995, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 268; BGH, Beschluss vom 13.01.1988, NJW 1988, 2045). Dabei ist allgemein anerkannt, dass sich ein Anwalt bei der Wahrung prozessualer Fristen und seiner sonstigen verfahrensrechtlichen Aufgaben grundsätzlich der Hilfe seiner Büroangestellten bedienen darf, dass ihn allerdings ein eigenes Verschulden trifft, wenn er es bei der Organisation seines Bürobetriebs und bei der Auswahl und Überwachung der mit diesen Aufgaben betrauten Angestellten an der notwendigen Sorgfalt hat fehlen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.01.1988, a.a.O.). Für das Versehen eines bisher zuverlässigen Büroangestellten im Rahmen eines ordnungsgemäß organisierten Bürobetriebes muss der Rechtsanwalt danach grundsätzlich nicht einstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.05.1991, a.a.O.; Urteil vom 16.10.1984, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 144; BGH, Beschluss vom 13.01.1988, a.a.O.). Hierauf beruft sich der Kläger im vorliegenden Fall. Ob aber hierzu überhaupt ausreichend vorgetragen und der Vortrag glaubhaft gemacht wäre, kann dahinstehen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte die Einhaltung der Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vielmehr eigenverantwortlich zu berechnen und zu überwachen.

Wenn ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung übernimmt, wird die Wahrung der prozessualen Fristen eine seiner wesentlichen Aufgaben, der besondere Sorgfalt zu widmen ist. Diese besondere Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass er die Wahrung der Frist eigenverantwortlich überwacht. Dies schließt es zwar nicht aus, dass ein Rechtsanwalt die Notierung, Berechnung und Kontrolle üblicher Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine rechtlichen Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlässt. Dies findet seine Grenze aber bei Fristen, deren Berechnung Schwierigkeiten oder Besonderheiten aufweist. Sie muss der Rechtsanwalt selbst überwachen und berechnen (vgl. Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 60 RdNr. 45; von Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, Kommentar, 3. Auflage, § 60 RdNr. 12). Das gilt etwa für die vom Zivilprozess abweichenden und in ihrer Berechnung daher fehleranfälligen Rechtsmittelbegründungsfristen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 3 Satz 1 und § 139 Abs. 3 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.02.1992 - 8 B 121/91 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 176; Beschluss vom 15.08.1994 - 11 B 68.94 -, a.a.O. Nr. 189; Beschluss vom 07.03.1995 - 9 C 390/94 -, a.a.O. Nr. 194, m.w.N.), aber auch für die Berufungsbegründungsfrist im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, deren Berechnung vergleichbare Besonderheiten aufweist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.08.2006 - 4 S 2288/05 -, NVwZRR 2007, 137; Beschluss vom 07.08.2003 - 11 S 1201/03 -, ESVGH 54, 52; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.08.2002 - 8 A 11250/02 -, NVwZRR 2003, 73). Nichts anderes gilt für die Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG, innerhalb derer der Antrag auf Zulassung der Berufung nicht nur zu stellen, sondern auch zu begründen ist. Hinzu kommt, dass die Vorschriften des § 78 AsylVfG über das Berufungszulassungsverfahren im Asylprozess wesentlich von den allgemeinen Vorschriften der §§ 124, 124a VwGO über das Berufungszulassungsverfahren abweichen und deshalb die Fristen des § 78 Abs. 4 Sätze 1 und 4 AsylVfG besonders fehleranfällig sind. Es kann daher regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass diese Fristen jedem Rechtsanwalt und seinem Büropersonal hinreichend vertraut sind. Gegenteiliges wird für den vorliegenden Fall mit dem Antrag nicht behauptet. Es hätte deshalb an dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gelegen, die von seinem Büroangestellten vorgenommene Berechnung und Notierung der Frist eigenverantwortlich und unverzüglich zu überprüfen. Hierbei hätte ihm die fehlerhafte Fristberechnung ohne weiteres auffallen müssen.