VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 08.05.2007 - M 4 K 06.3664 - asyl.net: M10966
https://www.asyl.net/rsdb/M10966
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Widerruf, Aufenthaltserlaubnis, Konventionsflüchtlinge, Ermessen, Niederlassungserlaubnis, Ausreisehindernis, freiwillige Ausreise, Zumutbarkeit, Irak, Iraker, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Ablehnungsbescheid, Bindungswirkung, Ausländerbehörde, Prüfungskompetenz, Abschiebungsstopp, Erlasslage, Aufenthaltsdauer, Erwerbstätigkeit
Normen: AufenthG § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 25 Abs. 5; AsylVfG § 42 S. 1; AufenthG § 60a Abs. 1
Auszüge:

1. Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG kann der Aufenthaltstitel eines Ausländers nur widerrufen werden, wenn seine Anerkennung als Asylberechtigter oder seine Rechtsstellung als Flüchtling erlischt oder unwirksam wird. Der gesetzliche Tatbestand dieser Vorschrift ist erfüllt. Diese im vorliegenden Fall vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit dem Bescheid vom 25. Juni 1999 getroffene Feststellung ist mit dem unanfechtbar gewordenen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15. März 2006 gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG widerrufen und damit unwirksam geworden (§ 49 Abs. 4 VwVfG).

2. Auch die nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkter gerichtlicher Überprüfung zugängliche Ermessensentscheidung über den Widerruf der Aufenthaltserlaubnis ist nicht zu beanstanden.

2.1 Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Ermessensausübung beim Widerruf eines asylrechtlich oder durch vergleichbaren Abschiebungsschutz bedingten Aufenthaltsrechts aufgrund des § 43 Abs. 1 Satz 4 AuslG 1990, der vor dem 1. Januar 2005 dasselbe regelte wie nunmehr § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, grundsätzlich u. a. folgendes ausgeführt (BVerwG vom 20.02.2003 - 1 C 13.02 BVerwGE 117, 380 = InfAuslR 2003, 324 = Buchholz 402.240 § 43 AuslG Nr. 1): ...

An dieser im Wesentlichen auf die Gesetzesbegründung abstellenden Auslegung hat sich durch den Erlass des Zuwanderungsgesetzes nichts geändert.

2.2 Die Auffassung der Beklagten, dass dem öffentlichen Interesse an dem Widerruf höherrangige private Interessen des Klägers nicht entgegenstehen, ist nicht zu beanstanden.

2.2.1 Der Widerrufsbescheid ist nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil er in einem Zeitpunkt erlassen wurde, in dem der Kläger wegen der Anrechnung des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis vor dem 1. Januar 2005 nach § 102 Satz 2 AufenthG die zeitlichen Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis möglicherweise hätte erfüllen können. Bereits im zeitlichen Geltungsbereich des Ausländergesetzes 1990 war durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (BVerwG vom 20.02.2003, a.a.O.), dass der Widerruf einer nach § 68 AsylVfG 1992 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG bei Wegfall der Asylberechtigung nicht bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 27 Abs. 2 AuslG oder einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AuslG unter Berücksichtigung der Zeiten seiner asylbedingten Aufenthaltserlaubnis erfüllte. Denn ein auf der Asylanerkennung aufbauendes Aufenthaltsrecht sei selbst asylbedingt und unterliege ebenfalls dem Widerruf; es könne daher dem Widerruf der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG 1990 nicht entgegenstehen (BVerwG vom 20.02.2003, a.a.O.). Diese Grundsätze können auch auf die durch das AufenthG geschaffene Rechtslage übertragen werden.

2.2 Der Widerrufsbescheid ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Ausländerbehörde einen Aufenthaltstitel, den sie dem Ausländer aus anderen Rechtsgründen sogleich wieder erteilen müsste, nicht widerrufen darf (BVerwG vom 20.02.2003, a.a.O.).

Zwar ist einem Ausländer die Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sowohl der Abschiebung als auch der freiwilligen Ausreise inlandsbezogene oder zielstaatsbezogene rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen (BVerwG vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 BVerwGE 126, 192 = DVBl 2006, 1509 = NVwZ 2006, 1418 = ZAR 2006, 408 = InfAuslR 2007, 4 = EzARNF 33 Nr. 4). Auch bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sind die Ausländerbehörden und die Gerichte aber nach § 42 Satz 1 AsylVfG an die unanfechtbare Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über das Vorliegen von (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG gebunden (BVerwG vom 27.06.2006, a.a.O.).

2.2.2 Auch aus der Tatsache, dass nun schon längere Zeit von der obersten Landesbehörde ein allgemeiner Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG angeordnet ist, ließe sich für den Kläger kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis herleiten. Denn der in Bayern bestehende Abschiebestopp-Erlass für irakische Staatsangehörige, der sich an entsprechenden Beschlüssen der Innenministerkonferenz (IMK) orientiert, beruht nicht auf humanitären Gründen, sondern darauf, dass es bisher keine Flugverbindungen in den Irak gegeben hat und es nach wie vor an einem Rückübernahmeabkommen mit dem Irak fehlt. Der Erlass stellt daher keine Anordnung dar, die aus humanitären Gründen wegen der schwierigen Sicherheits- oder Versorgungslage im Irak und den sich daraus für die Zivilbevölkerung allgemein ergebenden Gefahren getroffen worden ist. Er lässt somit keinen Schluss auf die Unmöglichkeit einer freiwilligen Ausreise zu. Bei dieser Sachlage ist es nicht geboten, etwa mit Rücksicht auf das gesetzgeberische Ziel der Vermeidung von Kettenduldungen, dem einzelnen Ausländer – unabhängig von einer allgemeinen Anordnung der obersten Landesbehörde nach § 23 Abs. 1 AufenthG – eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen (zu allem: BVerwG vom 27.06.2006, a.a.O.).

2.2.4 Im vorliegenden Fall ist bereits im angefochtenen Bescheid der wesentliche Gesichtspunkt im Sinne des § 55 Abs. 3 AufenthG, der einer Ermessensausübung zu Lasten des Klägers entgegenstehen könnte, zutreffend und vollständig gewürdigt worden, indem dort auf die inzwischen siebenjährige Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts hingewiesen wurde. Dieser ist aber zu Recht schon deshalb keine gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung höherrangige Bedeutung beizumessen, weil das Gesetz unter den Bedingungen des § 26 Abs. 4 AufenthG die Mindestvoraussetzungen für eine Verfestigung des Aufenthalts im Sinne eines Ermessensanspruchs auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis definiert, die der Kläger nach dem oben Ausgeführten wegen seiner schlechten Sprachkenntnisse nicht erfüllen dürfte. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er in der Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit als Zwischenvermieter, von der er in Wirklichkeit lebt (vgl. Blatt 49 der Sicherheitsakte), während der Zeit seiner Duldung beeinträchtigt wird. Die Erwerbstätigkeit ist ihm ausdrücklich erlaubt worden. Etwaige Beeinträchtigungen seiner Kreditwürdigkeit, die er allerdings nicht substantiiert vorgetragen hat, und seiner Freizügigkeit sind zumutbar. Sollte es zu einer tatsächlichen Aufenthaltsbeendigung kommen, so ist der Verlust seiner Erwerbsmöglichkeit als solche eine vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommene Folge.