OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.07.2005 - 11 A 2421/03.A - asyl.net: M11063
https://www.asyl.net/rsdb/M11063
Leitsatz:
Schlagwörter: Liberia, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, Versorgungslage, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wird nicht gemäß den gesetzlichen Erfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt bzw. ist nicht gegeben.

In Bezug auf Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) erachtet der Kläger die Frage als grundsätzlich bedeutsam, "ob angesichts der derzeitigen Situation in Liberia nicht grundsätzlich Abschiebungshindernisse gem. § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 3 EMRK, bzw. gem. § 53 Abs. 6 AuslG gegenüber Abschiebungen in dieses Land bestehen?".

Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen, auf die die Beteiligten mit Verfügung vom 20. Mai 2005 hingewiesen worden sind, ist die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage nach der gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats maßgeblichen Sach- und Rechtslage ohne weiteres zu verneinen.

a) Der Kläger kann sich zunächst nicht auf ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK berufen.

Im Allgemeinen ist die liberianische Regierung um die Einhaltung der Menschenrechte bestrebt. Soweit berichtet worden ist, dass einige wenige Mitglieder der liberianischen Sicherheitskräfte vereinzelt Menschenrechtsverletzungen begangen haben (United Kingdom – Immigration and Nationality Directorate Home Office vom Oktober 2004, Liberia – Country Report, Rdnrn. 6.1 ff.; U. S. Department of State vom 28. Februar 2005, Liberia – Country Reports on Human Rights Practices – 2004, Einleitung und Section 1) belegen diese Vorfälle nicht die Gefahr einer auch dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verletzung von Rechtsgütern im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK.

b) Ferner sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen. Etwaige Gefahren auf Grund der allgemeinen humanitären Lage in Liberia betreffen die gesamte Zivilbevölkerung und rechtfertigen keinen Abschiebungsschutz. Dass der Kläger wegen seiner persönlichen Verhältnisse im Falle einer Abschiebung einer konkreten individuellen extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, d. h. er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre, kann nicht angenommen werden.

Der Senat verkennt bei dieser Feststellung nicht, dass trotz des seit Herbst 2003 andauernden Friedensprozesses die allgemeinen Lebensbedingungen in Liberia schwierig sind. Von den rund 3,4 Millionen Einwohnern des Landes leben etwa 80% von unter einem Dollar am Tag, ca. 80 vom Hundert sind ohne (feste) Arbeit (U.S. Department of State, vom 28. Februar 2005, Liberia – Country Reports on Human Rights Practices – 2004, Einleitung).

Die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Nahrungsmitteln und Wasser ist ebenso defizitär wie das Gesundheitswesen. Ein Drittel der Bevölkerung ist auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen (United Kingdom – Immigration and Nationality Directorate Home Office vom Oktober 2004, Liberia – Country Report, Nrn. 5.34 ff.; Norwegian Refugee Council vom 15. April 2005, Liberia: IDP Return and reintegration not yet sustainable, S. 4 f.).

Allerdings ist – zum Teil mit Unterstützung des UNHCR – bereits eine Vielzahl liberianischer Flüchtlinge aus Ghana, Guinea, der Elfenbeinküste, Nigeria und Sierra Leone in ihr Heimatland zurückgekehrt. Ebenfalls haben zahlreiche Binnenflüchtlinge ihre angestammten Siedlungsgebiete wieder aufgesucht. Die UNMIL, der UNHCR, die International Organisation for Migration, das World Food Programm und sonstige Hilfsorganisationen unterstützen sowohl Rückkehrer als auch andere Bedürftige mit Lebensmitteln und sonstigen Hilfsgegenständen. Mit internationaler Hilfe befinden sich auch das Gesundheits- und Bildungswesen im Wiederaufbau, die landwirtschaftliche Produktion und die Fischerei werden unterstützt (UNHCR, Presseerklärungen vom 12. Januar 2005, Liberian refugees start coming home from Côte d'Ivoire, und vom 28. Februar 2005, Most of Liberia now declared safe for return; United Nations, Security Council vom 17. März 2005: Sixth progress report of the Secretary General on the United Nations Mission in Liberia, Rdnrn. 64 ff.

Von den insgesamt 15 Counties in Liberia werden 14 mittlerweile für eine Rückkehr von Flüchtlingen als sicher angesehen (UNHCR, Presseerklärung vom 28. Februar 2005, Most of Liberia now declared safe for return).