VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 19.09.2005 - 1 K 1641/05 - asyl.net: M11065
https://www.asyl.net/rsdb/M11065
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), beabsichtigte Eheschließung, Duldung, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Eheschließungsfreiheit, Pass, Passkopie, Verwahrung, Standesamt, Herausgabe, Akteneinsicht, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Untertauchen, Rechtsschutzbedürfnis, Eilbedürftigkeit
Normen: GG Art. 6; AsylVfG § 21 Abs. 5; AsylVfG § 65 Abs. 1; AsylVfG § 65 Abs. 2; AufenthG § 50 Abs. 6; VwVfG § 29 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

Der Antrag ist gem. § 123 Abs.1 S.1 und 2 VwGO zulässig.

Mit dem Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Übersendung einer beglaubigten Kopie des Passes des Antragstellers an das Standesamt und auf vorläufige Aussetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen möchte der Antragsteller eine Vereitelung bzw. wesentliche Erschwerung seiner bevorstehenden Eheschließung mit seiner deutschen Verlobten abwehren und sein Recht auf Eheschließungsfreiheit sowie einen auf die Vorwirkungen des Grundrechts aus Art.6 GG gestützten Duldungsanspruch sichern.

Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Antragsteller wegen seines damaligen zeitweisen Untertauchens nach unbekannt abgemeldet und zur Festnahme ausgeschrieben wurde. Denn zum einen hat er als Wohnanschrift die Adresse seiner deutschen Verlobten angegeben, unter der er sich – wohl zumindest zeitweise wenngleich derzeit noch ohne polizeiliche Anmeldung – aktuell tatsächlich auch aufhält. Er wird überdies durch seine Rechtsanwältin vertreten, über die ihm Entscheidungen problemlos zugestellt werden können und zu der er ganz offenbar auch in Kontakt steht. Hinzukommt, dass er – weil dies als Formalität für die alsbald beabsichtigte Eheschließung wohl unerlässlich ist – sich ohnehin alsbald auch polizeilich anmelden muss (vgl. zur Zulässigkeitsvoraussetzung einer Wohnanschrift gemäß §§ 82 Abs.1 S.1 und 173 VwGO i. V. m. § 130 Nr.1 ZPO: VGH -Bad.Württ., Urt. v. 10.04.2002 - 11 S 331/02 -, EzAR 013 Nr.2 = juris). Unter diesen Umständen erscheint es mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art.19 Abs.4 GG) unvereinbar, den Antragsteller darauf zu verweisen, erst im Falle seiner Ergreifung zu versuchen, noch rechtzeitig verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, zumal das Gericht für diesen Fall auch wieder gehalten wäre, diesen Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz gegebenenfalls durch einen Schiebebeschluss gegenüber dem Antragsgegner abzusichern (vgl. BVerfG, Beschl.v. 14.12.1995 - 2 BvR 2552/95 -, AuAS 1996, 31 = DVBl. 1996, 611 unter Verweis auf BVerfG 18. Juni 1985, Az: 2 BvR 414/84, BVerfGE 70, 180 [189, 190]).

Der zulässige Antrag ist auch begründet. Der Antragsteller hat sowohl das Vorliegen eines Anordnungsgrundes als auch eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (§ 123 Abs.3 VwGO i. V. m. § 920 Abs.2 ZPO).

Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass der Antragsgegner (laut seinem Antwortschreiben vom 15.08.2005 an die Verlobte des Antragstellers und nach seinen fernmündlichen Äußerungen gegenüber der Antragstellervertreterin vom 18. und 24.08.2005 sowie laut Antragserwiderung) weder bereit ist, die für die Eheschließung des Antragstellers erforderliche und von diesem beantragte beglaubigte Kopie seines Reisepasses an das Standesamt zu übersenden, noch den illegalen Aufenthalt des Antragstellers vorläufig bis zu einer Eheschließung zu dulden.

Unter diesen Umständen aber würde durch die Verweigerung einer Passkopie und einer Duldungserteilung nicht nur die Eheschließung des Antragstellers im Inland verhindert, die nach der glaubhaften eidesstattlichen Versicherung der Antragstellervertreterin und nach der telefonischen Auskunft des Standesamtes an den Berichterstatter bei Vorlage der Passkopie binnen weniger Wochen möglich ist. Vielmehr würden in einem solchen Fall auch die nur ein halbes Jahr lang (wohl nur noch bis 30.09.2005) gültigen, für die Eheschließung notwendigen Bestätigungen seiner nigerianischen Personenstandsurkunden durch die deutsche Botschaft in Lagos durch baldigen Zeitablauf wieder wertlos, die dem Standesamt seit 31.03.2005 vorliegen und vom Antragsteller erst in einem aufwändigen und langfristigen Verfahren beschafft werden konnten.

a) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Übersendung einer beglaubigten Kopie seines Reisepasses an das Standesamt glaubhaft gemacht:

Eine Herausgabe des dem Antragsgegner nach § 15 Abs.2 Nr.4 AsylVfG überlassenen Reisepasses kann der Antragsteller zwar weder nach § 21 Abs.5 AsylVfG noch nach § 65 Abs.1, Abs. 2 AsylVfG beanspruchen, da dieser Reispass vom Antragsgegner grundsätzlich benötigt wird, um den illegalen Aufenthalt des seit rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers durch Abschiebung beenden zu können.

Dem Antragsteller steht aber ein Anspruch darauf zu, dass der Antragsgegner dem Standesamt eine beglaubigte Kopie des Reisepasses an das Standesamt übersendet, dessen Auskunft zufolge die Vorlage des Originalpasses (durch den Antragsteller bzw. von Amt zu Amt) für die Eheschließung nicht erforderlich ist. Nach § 50 Abs.6 AufenthG soll zwar im Regelfall der Pass eines ausreisepflichtigen Ausländers bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden. Im Ausnahmefall kann und muss die Ausländerbehörde dem Ausländer aber den Pass überlassen, bzw. in den Fällen, in denen der Besitz des Originalpasses nicht erforderlich ist, ihm zumindest eine beglaubigte Kopie des selben aushändigen oder den Originalpass bzw. dessen beglaubigte Kopie direkt von Amt zu Amt an eine andere Behörde vorlegen. Ein solcher Ausnahmefall wird in der Rechtsprechung bejaht, wenn überwiegende Interessen des Ausländers dies erfordern und dadurch das gegenläufige Interesse der Ausländerbehörde an der Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gefährdet wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl.v. 11.06.2001 - 13 S 542/01 -, InfAuslR 2001, 432; BayVGH, Urt.v. 17.06.1997 - 10 B 97.1277 -, AuAS 1997, 170; OVG Berlin, Beschl. v. 15.10.1999 - 8 S 37.99 -, InfAuslR 2000, 27; VG Stuttgart, Beschl.v. 13.02.2004 - 11 K 222/04 -, InfAuslR 2004, 202 und VG Lüneburg, Beschl. 27.06.2001 - 1 B 30/01 InfAuslR 2001, 438; siehe auch die Vorläufigen Anwendungshinweise zum AufenthG, Ziff.50.6.5). Denn der Zweck der amtlichen Verwahrung des Passes gemäß § 50 Abs.6 AufenthG (bzw. zuvor § 42 Abs.6 AuslG 1990) ist es lediglich, durch Vorenthaltung des Dokuments zu verhindern, dass ausreisepflichtige Ausländer durch Vernichtung dieses Dokuments oder durch die Behauptung, es verloren zu haben, ihre Ausreise vereiteln oder verzögern, und der Ausländerbehörde eine Überwachung der Einhaltung der Ausreisepflicht durch Aushändigung des Passes erst bei Ausreise zu ermöglichen (vgl. BTDrucks. 11/6321 und GK-AuslR, Rdnr.99 zu § 42 AuslG).

Die Voraussetzung für einen Ausnahmefall im Sinne der genannten Rechtsprechung sind hier gegeben. Ist die Erfüllung der genannten gesetzlichen Verwahrungszwecke wie im vorliegenden Fall in vollem Umfang dadurch gesichert, dass der Originalpass weiter vollständig im Besitz des Antragsgegners verbleibt, so ermächtigt § 50 Abs.6 AufenthG den Antragsgegner nicht, darüber hinaus durch Verweigerung einer bloßen Übersendung einer beglaubigten Kopie des Passes die als Grundrechtsvorwirkung aus Art.6 GG resultierende Eheschließungsfreiheit des Antragstellers und zugleich auch seiner deutschen Verlobten zu beeinträchtigen und so vom gesetzlichen Zweck der Verwahrungsregelung nicht mehr gedeckte, sachfremde Zwecke zu verfolgen (so ausdrücklich VG Lüneburg, oben a.a.O. unter ergänzendem Hinweis auf die in Art.16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausdrücklich verankerte Eheschließungsfreiheit, wonach "... heiratsfähige Männer ... ohne Beschränkung durch Rasse, Staatsbürgerschaft, oder Religion das Recht" haben, "eine Ehe zu schließen und eine Familie zu gründen"). Denn § 50 Abs.6 AufenthG ermächtigt eben nur dazu, die Erfüllung einer als bestehend vorausgesetzten Ausreisepflicht dadurch zu sichern, dass die für ihren zwangsweisen Vollzug notwendigen Originalunterlagen bei der Behörde verbleiben. Die Vorschrift ermächtigt hingegen nicht auch dazu, den unveränderten Fortbestand der die Ausreisepflicht bzw. ihre Vollziehbarkeit begründenden Umstände mit allen Mitteln zu sichern und dazu das Entstehen von Rechtspositionen zu vereiteln, die der Ausreisepflicht selbst bzw. zumindest ihrem Vollzug entgegenstehen könnten.

Dass der Antragsgegner die bloße Erstellung einer beglaubigten Passkopie nicht verweigern kann, ergibt sich im übrigen auch aus der Kontrollüberlegung, dass der Antragsgegner dem Antragsteller gemäß § 29 Abs.1 S.1 LVwVfG auch ein Akteneinsichtsrecht in die den Reisepass mit umfassenden Akten wohl nicht ermessensfehlerfrei verweigern könnte. Denn die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Ausländerbehörde (zu der nach dem oben Gesagten nicht die Verhinderung des Entstehens von Vollzugshindernissen nach Art.6 GG zählt) würde durch Gewährung von Akteneinsicht ebenso wenig beeinträchtigt wie etwa Geheimschutzinteressen oder Datenschutzinteressen im Sinne von § 29 Abs.2 LVwVfG. Ein solches Akteneinsichtsrecht aber dürfte nach ganz herrschender Meinung aus Gründen der effektiven Sicherung des rechtlichen Gehörs und des effektiven Rechtsschutzes (Art.103 GG entspr. und Art.19 Abs.4 GG entspr.) auch das Recht auf Erstellung eine Kopie des Akteninhalts bzw. einzelner Aktenbestandteile auf Kosten des Antragstellers umfassen (vgl. zB. FG Hamburg, Urt.v. 15.12.2003 - V 12/02 -, EFG 2004, 852; Kopp/Ramsauer, VwVfGKommentar, Rdnr. 42 zu § 29 VwVfG) und im Einzelfall wohl auch einen Anspruch auf Erstellung einer Beglaubigung einer solchen Kopie auf Kosten des Antragstellers mit beinhalten (§ 33 Abs.4 und Abs.1 und 2 LVwVfG). Einer Übersendung einer beglaubigten Kopie an das Standesamt auf eigenen Antrag des Antragstellers würden außerdem keine eigenen oder sonstigen Datenschutzbelange entgegenstehen, wie sie etwa nach §§ 88, 90 AufenthG beachtlich sein können.

Auf die Frage, inwieweit eine Eheschließung unmittelbar bevorsteht, inwieweit die Eheschließungsfreiheit unter dem Vorbehalt der Einhaltung der gesetzlichen Visumsregelungen steht und inwieweit Verlobten eine zeitweise Trennung zumutbar ist, kommt es für den Anspruch auf bloße Übersendung einer beglaubigten Passkopie – anders als etwa bei der Frage nach einem Anspruch auf Duldung zwecks Eheschließung – nicht an.

Will ein ausreisepflichtiger Ausländer heiraten und verbleibt sein Pass bei der Ausländerbehörde, so hat er vielmehr jederzeit einen Anspruch auf Übersendung einer Passkopie an das Standesamt, ungeachtet dessen in welchem Stadium sich das Verfahren vor dem Standesamt befindet und welche anderen zur Eheschließung etwa noch nötigen Urkunden noch fehlen mögen, wenn das standesamtliche Verfahren nicht offenkundig aus anderen Gründen von vornherein aussichtslos erscheint und wie hier auch keine greifbaren Anhaltspunkte für eine bloße Scheinehe vorliegen.

b) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch auf Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Ausreisepflicht glaubhaft gemacht.

Dem Antragsteller steht nämlich aller Voraussicht nach ein Anspruch auf die Erteilung der von ihm beantragten, vom Antragsgegner bislang aber abgelehnten Duldung seines Aufenthalts zwecks endgültiger Durchführung der bevorstehenden Eheschließung zu.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich aufgrund der grundrechtlichen Vorwirkungen des Art.6 GG, der zwar nicht das Verlöbnis als solches, wohl aber die Eheschließungsfreiheit schützt, auch für einen ansonsten vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer ein Anspruch auf kurzfristige Duldung (§ 60 a Abs.2 AufenthG) zum Zwecke der Eheschließung mit einem deutschen Ehepartner im Inland selbst dann ergeben kann, wenn zwar ein konkreter Eheschließungstermin beim Standesamt als solcher noch nicht feststeht, wenn aber mit der Eheschließung konkret und binnen absehbarer Zeit alsbald zu rechnen ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl.v. 26.06.1991 - 11 S 2224/90 -, FamRZ 1992, 313 [314]; BayVGH, Beschl.v. 25. September 1989, Az: 21 CS 89.31386, BayVBl.1990, 54; OVG NdS., Beschl.v. 11.07.2003 - 4 ME 290/03; strenger allerdings: OVG NRW, Beschl.v. 11. Januar 1999, Az: 18 B 2712/98, juris; auf einen konkret bestimmten Eheschließungstermin abstellend HessVGH, Beschl.v. 19.11.1993 - 12 TG 2539 /93 -, InfAuslR 1994, 102 und OVG Thür., NVwZ-RR 1996, 710). In einem solchen Fall wäre es nämlich unverhältnismäßig, die Verlobten darauf zu verweisen, eine vorübergehende Trennung durch Ausreise und anschließende Eheschließung im Ausland bzw. Beantragung eines Visumverfahrens oder einer Betretenserlaubnis zwecks Eheschließung vom Ausland aus sei ihnen zumutbar und verstoße daher auch nicht gegen Art.6 GG. Soweit in diesem Zusammenhang gefordert wurde, die Bestellung eines Aufgebots müsse vorliegen, um von einem unmittelbar bevorstehenden Eheschluss auszugehen, lässt die Rechtsprechung ausnahmsweise auch die sogenannte "Aufgebotsreife" genügen, wenn die Bestellung des Aufgebots bislang allein daran scheiterte, dass die Ausländerbehörde dem heiratswilligen Ausländer den dazu notwendigen Originalpass nicht aushändigt (vgl. OVG Saarland, Beschl.v. 01.12.1994 - 3 W 34/94 -, juris). Diese Duldungsvoraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.