VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 01.03.2006 - 7 E 5301/05.A - asyl.net: M11069
https://www.asyl.net/rsdb/M11069
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, exilpolitische Betätigung, Monarchisten, NID, Internet, Karikaturen, Überwachung im Aufnahmeland, Kommunisten, Arbeiter-Kommunistische-Partei Iran, Women&apos,s Liberation, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Folgeantrag
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; AsylVfG § 71 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Klage ist begründet.

Den Klägern steht in dem für die rechtliche Beurteilung ihres Asylbegehrens gemäß § 77 Abs. 1 erster Halbsatz AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person zu.

Der Kläger zu 1) hat insoweit lebensnah und glaubhaft in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er sich schon seit längerer Zeit in der monarchistischen Bewegung im Exil hier in der Bundesrepublik Deutschland engagiert hat. Da ihn die Vereinsarbeit dort nicht sehr begeisterte, verlagerte er sein Engagement in den Internetbereich, wo er auf von der NID betriebenen Website regimekritische Texte unter seinem Namen einstellte und häufiger auch anderen Mitgliedern des NID half, dort Beiträge zu publizieren. Der Kläger entfaltete diese Aktivitäten über einen Zeitraum von ca. fünf Monaten ab September 2005. U. a. stellte er Anfang Februar 2006 einen mit seinem Namen unterzeichneten Text in persischer Sprache ein, an welchen er Karikaturen des Propheten und des geistlichen Führers Khamenei anfügte. Daneben hat der Kläger zu 1), bevor er sein Engagement auf das Publizieren im Internet verlagerte an verschiedenen Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen des NID e.V. teilgenommen.

Zwar ist nach der Auskunftslage davon auszugehen, dass der iranische Geheimdienst alle oppositionellen Organisationen der Exiliraner in Deutschland überwacht und ausspäht. Dennoch geht das Gericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Hess. VGH (vgl. jüngstes Urteil vom 09. Februar 2006; Az.: 11 UE 1061/05.A ) weiterhin davon aus, dass eine untergeordnete bzw. rein teilnehmende Tätigkeit bei Veranstaltungen des NID e. V. auch wenn sie in der Öffentlichkeit erfolgt, in der Regel nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran führt. Denn die iranischen Behörden wissen, dass ein solches Engagement häufig zur Stützung eines Asylantrages erfolgt. Der Kläger zu 1) war nicht in herausgehobener Funktion tätig. Allerdings hat er öffentlichkeitswirksam nach einem unter seinem Namen im Internet Anfang Januar 2006 veröffentlichen persischen Text Karikaturen des Propheten Mohammed und des geistlichen Führers Khamenei angefügt, was nach Ansicht des Gerichts eine Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr befürchten lässt. Der Prophet und der geistliche Führer des Irans werden durch diese Karikaturen in Frage gestellt und das System der Islamischen Republik Irans aus der Sicht der Verfechter dieses Regimes verunglimpft, was im Iran auch auf dem Hintergrund des jüngsten Wechsels im Staatspräsidentenamt Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen kann. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es aufgrund der jüngsten politischen Ereignisse Anfang 2006 (Karikaturenstreit in Dänemark zu Karikaturen des Propheten) zu schwerwiegenden politischen Auseinandersetzungen mit Todesfällen kam. Die Erregung fundamentalistischer Kreise im Zusammenhang mit diesen künstlerischen Äußerungen ist noch nicht abgeebbt.

Auch für die Klägerin zu 2) können Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicherWahrscheinlichkeit bei Rückkehr in den Iran nicht ausgeschlossen werden. Nach ihrem glaubhaften Vortrag in der mündlichen Verhandlung hat sie zahlreiche Aktivitäten für die Arbeiter-Kommunistischen-Partei Irans und die Vereinigung Women's Liberation in der Bundesrepublik Deutschland seit ca. einem Jahr entfaltet. Die Klägerin war dabei nicht in exponierter Funktion für die besagten Gruppierung tätig. Aufgrund des Inhalts ihrer Rede, mit der die Klägerin zu 2) ihren Wunsch zum Sturz des Regimes zum Ausdruck brachte, ihres schon lange andauernden politischen Engagement gemeinsam mit ihrem Mann, mit welchem sie bereits vor der Ausreise für oppositionellen Gruppierungen im Iran Schriften publizierte und verteilte, ihrer Aktivitäten über die auf einer Website berichtet wurde und aufgrund der Tatsache, dass die Internetpräsentation ihres zwischenzeitlich geschiedenen Mannes mit verunglimpfenden Karikaturen des Propheten möglicherweise auch ihr zugerechnet wird, kann das Gericht eine Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr in den Iran zum heutigen Zeitpunkt nicht ausschließen.

Dem Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG stehen auch keine Ausschlusstatbestände entgegen.

Die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots ist nicht wegen eines unbeachtlichen Nachfluchttatbestandes im Sinne von § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen. Bereits ihrem Wortlaut nach greift die Vorschrift hier nicht ein. Die politischen Aktivitäten der Kläger für die monarchistische, bzw. insgesamt oppositionelle Bewegung begannen bereits vor rechtskräftigen Abschluss ihres Asylerstverfahrens. Auch vom Gesetzeszweck greift die Neufassung des § 28 Abs. 2 AsylVfG hier nicht ein. Mithin stützen die Kläger ihre Folgeanträge nicht auf Gründe, die (ausschließlich) erst nach Abschluss ihres Asylerstverfahrens entstanden sind. Die Neufassung des Gesetzes verfolgt den Zweck, Ausländern den Anreiz zu nehmen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenem Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit zu einem dauernden Aufenthalt zu gelangen. Den Klägern kann nicht vorgeworfen werden, sie missbrauchen in diesem Sinne durch ihr politisches Engagement das Schutzsystem des Asylrechts. Vielmehr haben sie eine bereits im Asyl-Erstverfahren angelegte und gezeigte politische Betätigung, die sich damals zeigte in der Publikation oppositioneller Beiträge mit der Folge gesteigert, dass nunmehr eine beachtlich wahrscheinliche Gefahr politischer Verfolgung besteht. Damit gehören sie nicht zu dem Personenkreis, dessen Verhalten mit der Neuregelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG getroffen werden sollte (vgl. VG Göttingen, Urt. v. 02.03.2005 4 A 38/03 AuAS, 191 f.).