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OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 02.05.2007 - 11 LA 367/05 - asyl.net: M11093
https://www.asyl.net/rsdb/M11093
Leitsatz:

Der Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 8 S. 2 AufenthG setzt Wiederholungsgefahr voraus.

 

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Divergenzrüge, Terrorismusvorbehalt, Wiederholungsgefahr, Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Gefahr für die Allgemeinheit, nichtpolitisches Verbrechen, Grundsätze der Vereinten Nationen, Anerkennungsrichtlinie
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2; GFK Art. 1 F
Auszüge:

Der Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 8 S. 2 AufenthG setzt Wiederholungsgefahr voraus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Zulassungsantrag der Beklagten, der auf § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG gestützt wird, ist unbegründet.

Die Fragen zu 1., zu 3. und zu 4. (teilweise) sind nicht entscheidungserheblich.

Hinsichtlich der von der Beklagten unter 2. formulierten Frage liegen ebenfalls nicht die Voraussetzungen der Grundsatzrüge vor. Die Frage, ob die Anwendung des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG durch eine vom Gericht nicht gegeben bewertete Wiederholungsgefahr ausgeschlossen wird, ist zwar entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr verneint hat. Die Frage hat aber keine grundsätzliche Bedeutung. Sie lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten.

Die Ausschlussgründe des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG greifen nur, wenn von dem Ausländer eine konkrete zukünftige Gefährdung der Sicherheit der Staatengemeinschaft bzw. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland - als Teil der Staatengemeinschaft - ausgeht. Nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG findet Abs. 1 keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Ausländer ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, begangen hat oder dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland begangen hat oder sich hat Handlungen zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (§ 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG). Zwar lässt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG nicht unmittelbar ableiten, dass eine Wiederholungsgefahr gegeben sein muss. Nach der Gesetzessystematik, Sinn und Zweck der Vorschrift, ihrer Entstehungsgeschichte und auch wegen verfassungsrechtlicher Erwägungen ist aber über die geschriebenen Tatbestandsmerkmale hinaus zu verlangen, dass der Ausländer weiterhin als Gefahr für die angesprochenen Rechtsgüter zu betrachten ist. Bereits die einleitenden Worte der Vorschrift des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG "Das Gleiche gilt" legen diese Auslegung nahe. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift des § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG, die § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG entspricht, mit Änderungsgesetz vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361) eingefügt, also in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 51 Abs. 3 Satz 1 AuslG (bzw. § 51 Abs. 3 AuslG a.F.), wonach die Prognose zu stellen ist, dass der Ausländer seine die Sicherheit des Staates bzw. die Allgemeinheit gefährdende Betätigung auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen wird (zur 1. Alt. bejaht: BVerwG, Urt. v. 30.3.1999 - 9 C 31.98 -, NVwZ 1999, 1346; zur 2. Alt. bejaht: BVerwG, Urt. v. 7.10.1975 - 1 C 46.69 -, NJW 1976, 490, noch zu § 14 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965; BVerwG, Urt. v. 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, NVwZ 2001, 442). Es ist deshalb anzunehmen, dass der Gesetzgeber nicht die Absicht hatte, hinsichtlich des Erfordernisses der Wiederholungsgefahr in § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG eine von Satz 1 dieser Vorschrift abweichende Regelung einzuführen.

Für das Erfordernis fortdauernder Gefährlichkeit des Ausländers sprechen weitere Gründe. Das OVG Nordrhein-Westfalen hat hierzu in seinem Beschluss vom 21. Juli 2005 (-15 A 1212/04.A -, V. n. b.) Folgendes ausgeführt (vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 7.8.2006-15 A2940/06.A-, veröff. in Juris): ...

Der Senat schließt sich dieser Argumentation an (ebenfalls das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr bejahend: OVG Rh.-Pf., Urt. v. 6.12.2002 - 10 A 10089/02 -, NVwZ-RR 2003, 596; Marx, InfAuslR 2005, 218).

Die Vorschriften der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie -, die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar gelten, rechtfertigen nicht eine andere Sichtweise (a.A.: VG Hamburg, Beschl. v. 22.1.2007 - 15 A 1731/04 -, veröff. in juris). In den Ausschlusstatbeständen des Art. 12 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie werden - ähnlich wie in § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG - lediglich die Ausschlussgründe von Art. 1 F der Genfer Konvention nahezu wortgleich übernommen. Aus ihnen lassen sich deshalb weder Gründe für noch Gründe gegen das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr herleiten (Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2006, § 60 AufenthG Rdnr. 179). Außerdem enthält die Qualifikationsrichtlinie nur Mindeststandards. Sie soll lediglich ein Mindestmaß an Schutz in allen Mitgliedstaaten gewährleisten (OVG NRW, Beschl. v. 18.5.2005 - 11 A 533/05.A -, ZAR 2005, 374). Gemeinschaftsrechtlich ist es deshalb nicht ausgeschlossen, dass die Mitgliedstaaten über den Flüchtlingsstatus der Genfer Konvention hinaus weitergehende Rechtspositionen zum Flüchtlingsschutz gewähren können (Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 183).