VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 05.06.2007 - 3 E 4744/05.A(1) - asyl.net: M11130
https://www.asyl.net/rsdb/M11130
Leitsatz:

Die insbesondere in Kabul bestehenden Möglichkeiten der Behandlung traumatisierter Patienten stehen der Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG entgegen.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Anerkennungsrichtlinie, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Kabul, Situation bei Rückkehr, Versorgungslage, alleinstehende Personen, soziale Bindungen, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, fachärztliche Stellungnahme, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die insbesondere in Kabul bestehenden Möglichkeiten der Behandlung traumatisierter Patienten stehen der Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG entgegen.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Voraussetzungen für eine abändernde Entscheidung zur Nichtfeststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG bzw. für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens liegen nicht vor, soweit es die allgemeinen Gefahren für die den Kläger angesonnene Rückkehr nach Afghanistan in den Raum Kabul betrifft.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz (sogenannter subsidiärer Schutz) nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegen nicht vor. Soweit es in diesem Zusammenhang zunächst die seit dem 11.10.2006 unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 - RL - betrifft, stellt diese keine Änderung der maßgeblichen Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers dar. Die in der Richtlinie vorgesehene Möglichkeit, "subsidiären Schutz" zu erlangen, wenn die Flüchtlingseigenschaft nicht festgestellt werden kann, führt nicht dazu, dass die Anforderungen an die Gefahrenprognose im Falle des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu senken sind. Denn Nr. 26 der Erwägungen in der Präambel der Richtlinie legt gerade - insoweit wortgleich mit § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG - fest, dass Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe eines Landes ausgesetzt ist, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre, der Voraussetzung für die Gewährung subsidiären Schutzes ist (vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 21.03.2007 - 20 A 5164/04.A - Juris Rechtsprechung). In diesem Bereich allgemeiner Gefahren bewegt sich das zu bewertende Risiko für eine Gefährdung des Antragstellers, soweit es eine anzusinnende Rückkehr und Aufenthaltnahme in Kabul betrifft. Insoweit geht § 60 Abs. 7 AufenthG über die Merkmale des Art. 15 RL hinaus.

Danach gestalten sich die Verhältnisse in Afghanistan zwar weiterhin als sehr schwierig. Dabei kommt es landesweit zu Problemen, mit denen auch die Bevölkerung konfrontiert wird. Allerdings ist auch und gleichwohl festzustellen, dass vornehmlich mit Hilfe des UNHCR seit Beginn 2002 insgesamt mehr als 4,5 Millionen Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt sind und weiter zurückkehren. Deshalb werden Hunderttausende, die trotz der schwierigen Verhältnisse zurückgekehrt sind, mit eben diesen konfrontiert. Dies betrifft naturgemäß unterschiedlichste Personengruppen. Dazu gehören auch Frauen, Kinder, Alte, Kranke und Gebrechliche. Diese sind regelmäßig auf männlichen Schutz im Rahmen der Abdeckung des existenziellen Bedarfs angewiesen. Mit diesen Personen und Personengruppen wurde der Antragsteller im Falle einer Rückkehr letztlich konkurrieren. Dabei verfügt er als noch recht junger Mann, der nur seine eigenen Lasten zu schultern hat, grundsätzlich über bessere Bewältigungsmöglichkeiten als andere Gruppen und Personenkreise. Dies gilt gerade und auch in Ansehung des Umstandes, dass in Afghanistan die Großfamilie einen starken Rückhalt haben kann. Als soziales Netz äußert diese ihre besondere Bedeutung für deren schwächere Mitglieder, wie sie durch die vorgenannten Personengruppen vorrangig repräsentiert werden können. Auf diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Gerichts insbesondere auch die Einschätzung des UNHCR zur Rückkehrgefährdung anzusehen, der wegen dessen Bedeutung als einer vor Ort seit 2001 in Afghanistan intensiv tätigen Hilfsorganisation eine besondere Aussagekraft zukommt. So wird in den "Humanitären Erwägungen im Zusammenhang mit der Rückkehr nach Afghanistan" vom Mai 2006 (deutsche Fassung: September 2006) die besondere Schutzbedürftigkeit und Verletzlichkeit dieser vorgenannten Personengruppen betont, alleinstehende Männer indessen dabei nicht einbezogen. Gleiches gilt bereits für den Bericht "Rückkehr nach Afghanistan" vom Juni 2005 (Arendt-Rojahn u.a.). Soweit demgegenüber von dem Journalisten Danesch in seinen Äußerungen abweichende Wertungen vertreten werden, sind diese demgegenüber auf dem Hintergrund gerade der Rückkehrsituation, in der sich Hunderttausende von Afghanen verschiedenen Geschlechts, aller Altersstufen und sicher unterschiedlichster gesundheitlicher Befindlichkeit wiederfinden, für das Gericht nicht nachvollziehbar. Es verbleibt deshalb nach alledem dabei, dass für diesen Personenkreis nicht von einer derart extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die von Verfassungs wegen dazu führen müsste, den bei allgemeinen Gefahren gesperrten Rückgriff auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beseitigen. Diese Beurteilung entspricht auch der veröffentlichten aktuellen - insoweit einhelligen - obergerichtlichen Rechtsprechungspraxis zu dieser Fragestellung (vgl. zuletzt OVG Münster, Beschluss vom 21.03.2007 - 20 A 5164/04.A Juris Rechtsprechung; zuvor bereits Beschlüsse vom 02.01.2007 - 20 A 667/05.A - u.a. sowie vom 21.12.2006 - 20 A 3925/05.A - und vom 14.09.2006 - 20 A 5091/04.A -; OVG Bautzen, Urteil vom 23.08.2006 - A 1 B 58/06 -; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.05.2006 - 12 B 11.05 - sämtlich in Juris-Rechtsprechung).

Soweit der Kläger der Auffassung ist, dass ihm auf Grund der fachärztlichen Stellungnahme des Dr. P. vom 28. März 2007 und vom 04. Juni 2007 eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zugemutet werden könne, vermag sich dem das Gericht nicht anzuschließen. In Auseinandersetzung mit dem bereits früher vorgelegten, deutlich fundierteren medizinischen Gutachten des Dr. E. T. vom 25. Juni 2006 hat das erkennende Gericht in dem im Eilverfahren (3 G 2548/06.A[1]) ergangenem Beschluss vom 11.07.2006 ausgeführt:

"Vergleicht man die Angaben des Antragstellers dem Gutachter Dr. med. E. T. gegenüber mit seinen Angaben bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt, so ergeben sich ganz erhebliche Abweichungen. Während der Antragsteller beispielsweise beim Bundesamt angegeben hatte, dass sein Vater von den Taliban umgebracht worden sei, gibt der Antragsteller bei dem Gutachter Dr. T. an, sein Vater und zwei Brüder seien von den Taliban umgebracht worden. An anderer Stelle schildert der Antragsteller dem Gutachter, dass er einen Sohn und eine Tochter gehabt habe. Beim Bundesamt hatte der Antragsteller noch angegeben, mit seiner Ehefrau vier Kinder zu haben.

Fehlt es deshalb bereits an der Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit der äußeren Erlebnistatsachen, kann die darauf gestützte ärztliche Diagnose keine tragfähige Grundlage für die Annahme eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes sein. Unabhängig davon ist eine posttraumatische Belastungsstörung nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes in Afghanistan behandelbar (Botschaft Kabul an VG Hamburg vom 31.08.2004), wenngleich die Behandlungsmöglichkeiten denen in der Bundesrepublik Deutschland nicht entsprechen. Ausweislich eines Gutachtens des UNHCR vom 16. März 2005 bestehen nach den ihm vorliegenden Informationen in Afghanistan generell nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Behandlung psychischer Erkrankungen, nämlich in einem Krankenhaus in Kabul, in dem professionelle psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten existieren. Die Behandlungsstandards sind jedoch sehr niedrig und nicht mit denen in Deutschland oder anderen europäischen Ländern vergleichbar".

Dies erachtet das Gericht auch im Hinblick auf die im vorliegenden Verfahren erforderliche Überzeugungsgewissheit im Lichte der nachfolgenden Ergänzungen für zutreffend. Ausweislich eines Berichts in der Frankfurter Rundschau vom 11.01.2007 - "Gespräche statt Medikamente" kümmern sich insbesondere in Kabul das Projekt "Windows for Life" (Fenster zum Leben) um traumatisierte Patienten, Menschen, die unter Depressionen und Angstzuständen leiden. Unter der Trägerschaft von Caritas International mit Sitz in Freiburg - wobei die finanziellen Mittel vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kommen - sind in Kabul insgesamt 12 Beratungszentren entstanden, in denen die sogenannten "Counsellors" ihre Beratungsstunden abhalten, in der Regel pro Patient 1 x in der Woche. Diese Beratung ist kostenfrei (vgl. auch: Informationsverband Asyl, Zur Lage in Afghanistan, S. 7).

Diese in Afghanistan, insbesondere in Kabul bestehenden Möglichkeiten der Behandlung stehen der Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG entgegen (vgl. auch VG Ansbach, Urteil vom 17.11.2004 - Asylrechtsprechung).