OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 26.07.2007 - 22 W 32/07 - asyl.net: M11147
https://www.asyl.net/rsdb/M11147
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Entziehungsabsicht, illegale Einreise, Ausreisepflicht, Rückübernahmeabkommen, Rücküberstellung, Anhörung, Ehegatte, Verfahrensmangel, Sachaufklärungspflicht, Heilung, Rückwirkung
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; FreihEntzG § 5 Abs. 3 S. 2; FGG § 12
Auszüge:

Kein Haftgrund wegen unerlaubter Einreise nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG, wenn der Ausländer nach der unerlaubten Einreise in einen anderen Staat weitergereist ist und von dort an Deutschland zurücküberstellt wurde; keine rückwirkende Heilung durch Nachholung einer fehlenden Anhörung des Ehegattens

(Leitsätze der Redaktion)

 

Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie führt insoweit zum Erfolg, als die Entscheidung des Landgerichts Hannover aufzuheben und festzustellen war, dass die mit Beschluss des Amtsgerichts Hameln vom 28. März 2007 gegen den Betroffenen angeordnete und ab dem 1. April 2007 vollzogene Abschiebungshaft bis zum 8. Mai 2007 rechtswidrig war.

1. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG bejaht und sich dabei sowohl auf das Verhalten des Betroffenen, nämlich seine unerlaubte Einreise nach Deutschland im Juni 2006, als auch auf seine Erklärungen im Rahmen der mündlichen Anhörung durch die Kammer am 8. Mai 2007 gestützt, er habe darum gekämpft, zu seiner Familie nach Deutschland zu kommen, und wolle Deutschland nicht verlassen.

2. Die Bejahung des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG durch das Landgericht begegnet allerdings rechtlichen Bedenken. Der Beschwerdeführer weist zutreffend darauf hin, dass für diesen Haftgrund ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen unerlaubter Einreise und vollziehbarer Ausreisepflicht bestehen muss (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 Rdnr. 13) und dass es daran fehlt, wenn der Betroffene - wie vorliegend - nach seiner unerlaubten Einreise freiwillig in einen anderen Staat ausreist und von den dortigen Behörden anschließend in Anwendung des Rückübernahmeabkommens nach Deutschland rückgeführt wird, weil es in derartigen Fällen an der Freiwilligkeit der Einreise fehlt (vgl. Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 2. Aufl., S. 392 m.w.N.). Darauf beruht die Entscheidung des Landgerichts jedoch nicht, weil - wie bereits ausgeführt - der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG gegeben ist.

3. Zu Recht rügt der Betroffene, dass das Amtsgericht seine Ehefrau nicht angehört hat. Dieser Verfahrensmangel hat zur Folge, dass die Anordnung der Abschiebungshaft bis zur Anhörung der Ehefrau des Betroffenen durch das Landgericht, die am 8. Mai 2007 stattgefunden und den Verfahrensmangel - allerdings nur für die Zukunft - geheilt hat, rechtswidrig war.

a) Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 FreihEntzG ist, sofern die Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, auch der Ehegatte des Betroffenen zu hören. Die Anhörung kann nach § 5 Abs. 3 S. 3 FreihEntzG unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist. Kommt es in einem Abschiebungsverfahren auf die Art und die Intensität der familiären Bindungen an, bedarf es grundsätzlich der persönlichen Anhörung des Ehepartners (BayObLG vom 24.7.2000, 3Z BR 219/00). Die Regelung des § 5 Abs. 3 FreihEntzG soll einen Mindeststandard der nach § 12 FGG gebotene Sachaufklärung sicherstellen und gehört zu denjenigen Vorschriften, ohne deren Beachtung eine Freiheitsentziehung nicht zulässig ist (OLG Düsseldorf vom 1.3.1995, 3 Wx 64/95, und vom 3.6.96, 3 Wx 191/96). Eine ohne Anhörung des Ehegatten erfolgte richterliche Entscheidung über die Anordnung oder die Fortdauer der Auslieferungshaft ist, wenn Gründe für ein Absehen von der Anhörung nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 Satz 3 FreihEntzG nicht vorliegen, grundsätzlich verfahrensfehlerhaft und führt zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme (OLG Düsseldorf vom 12. Juli 1996, 3 Wx 295/96; OLG Celle vom 27. Juni 2005, 22 W 24/05).

b) Das Landgericht hat dennoch die Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft bis zum 8. Mai 2007 nicht festgestellt, weil es angenommen hat, dass dieser Mangel durch die Nachholung der Anhörung geheilt sei. Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Verstößt das Gericht gegen das Gebot vorheriger mündlicher Anhörung, so drückt dies Unterlassen der gleichwohl angeordneten Sicherungshaft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung der Anhörung rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (BVerfG EzAR 048 Nr. 28; OLG Hamm v. 14.09.2001 - 19 W 78/01 - bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang; Renner a.a.O. Rdnr. 26). Der Anhörung der Ehefrau durch das Landgericht konnte deshalb heilende Wirkung nur für die Zukunft beigemessen werden (vgl. BVerfG a.a.O.).