VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 27.07.2007 - 2 A 568/07 - asyl.net: M11154
https://www.asyl.net/rsdb/M11154
Leitsatz:

Bei Verzicht auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG beträgt die Ausreisefrist gem. § 38 Abs. 1 AsylVfG einen Monat.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Verzicht, Asylverfahren, Antragsfiktion, Ausreisefrist
Normen: AsylVfG § 14a Abs. 3; AsylVfG § 38 Abs. 1; AsylVfG § 32 Abs. 1; AsylVfG § 38 Abs. 2
Auszüge:

Bei Verzicht auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG beträgt die Ausreisefrist gem. § 38 Abs. 1 AsylVfG einen Monat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Das Bundesamt hat hier zu Unrecht eine Ausreisefrist von einer Woche festgesetzt. Die maßgebliche Ausreisefrist beträgt vielmehr einen Monat.

1. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG beträgt in den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist einen Monat. Ein "sonstiger Fall" in diesem Sinne liegt vor, wenn es keine spezialgesetzlichen Regelungen gibt, welche die Rechtsfolgen bei Nichtanerkennung als Asylberechtigte, bezogen auf die Ausreisefrist, betreffen. Genau um eine solche Konstellation geht es hier: da keine Sondervorschriften eingreifen, gilt die Auffangregelung des § 38 Abs. 1 AsylVfG und damit die Monatsfrist.

b) Eine weitere Konstellation, in der die zu setzende Ausreisefrist ein Woche beträgt, ist in § 38 Abs. 2 AsylVfG geregelt. Diese Vorschrift betrifft die Fälle der Rücknahme des Asylantrages vor der Entscheidung des Bundesamtes. Ein solcher Fall liegt hier bereits in zweifacher Hinsicht nicht vor. Zum einen hat die Klägerin hier keine Rücknahme des Asylantrages erklärt, sondern einen Verzicht i.S. des § 14a Abs. 3 AsylVfG. Und zum anderen ist dieser Verzicht nicht vor der Entscheidung des Bundesamtes, sondern erst danach - nämlich erst im Klageverfahren gegen den Bescheid vom 04. Mai 2007 - erklärt worden.

c) Soweit das Bundesamt Ziffer 4 des Bescheides vom 18. April 2007 auf § 38 Abs. 2 AsylVfG stützt, geht es also von einer doppelt analogen Anwendung dieser Vorschrift aus: zum einen stellt es den Verzicht mit der Antragsrücknahme gleich und zum anderen sieht es auch den Fall der Verzichtserklärung nach Bescheiderlass von § 38 Abs. 2 AsylVfG erfasst. Diese Auffassung hält der rechtlichen Überprüfung jedoch nicht stand.

Die Kammer hat jüngst entschieden, dass bereits der einfache Analogieschluss - entsprechende Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG auf Verzichtserklärungen gemäß § 14a Abs. 3 AsylVfG vor der Entscheidung des Bundesamtes - unzulässig ist (Urteil vom 14. Juni 2007 - 2 A 817/06 -). Hierzu ist folgendes ausgeführt worden:

"Gegen eine analoge Anwendung spricht bereits, dass es sich bei § 38 Abs. 2 AsylVfG um eine Ausnahmevorschrift handelt, die als solche einer analogen Anwendung grundsätzlich nicht zugänglich ist (VG Düsseldorf, Beschluss v. 21.12.2005 - 1 L 2219/05.A -, zit. n. juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss v. 27.12.2006 - 1 a L 1274/06.A -, zit. n. juris).

Ferner rechtfertigt auch die Gesetzessystematik einen (einfachen) Analogieschluss nicht. Dem Umstand, dass das AsylVfG die unterschiedlichen Begriffe "Verzicht" (§ 14a AsylVfG) und "Rücknahme" (§§ 33, 38 AsylVfG) verwendet, lässt sich entnehmen, dass es sich hierbei auch um unterschiedliche Verfahrenshandlungen handelt. Dass der Gesetzgeber in §§ 32 und 71 AsylVfG den Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG dem Fall der Rücknahme ausdrücklich gleichgestellt hat, die Regelung des § 38 Abs. 2 AsylVfG eine solche Gleichstellung aber gerade nicht enthält, spricht somit dafür, dass § 38 Abs. 2 AsylVfG allein die Verfahrenshandlung der Rücknahme - und nicht auch die des Verzichts - betreffen soll (so auch VG Düsseldorf, Beschluss v. 21.12.2005 - 1 L 2219/05.A -. zit. n. juris; OVG NRW, Urteil v. 11.08.2006 - 1 A 1437/06.A -, zit. n. juris).

Diese Auffassung widerspricht schließlich auch nicht dem Zweck des § 14a AsylVfG. Das OVG NRW hat insoweit ausgeführt:

"Der Gesetzeszweck der Regelung über die Familieneinheit erfordert es nicht, dass dem unter § 14a AsylVfG fallenden Kind eines Asylbewerbers nach einem Verzicht im Sinne von § 14a Abs. 3 AsylVfG im Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens und der Entscheidung über Abschiebungsverbote (§ 32 AsylVfG) eine Ausreisefrist von lediglich einer Woche gesetzt und die Erteilung von Aufenthaltstiteln nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes von der vorherigen Ausreise abhängig gemacht wird. Der oben dargestellte Normzweck der Verhinderung einer - taktisch motivierten - verzögerten Asylantragstellung wird auch erreicht, wenn der Verzicht gemäß § 14a Abs. 3 AsylVfG nicht unter die strengen Vorschriften des § 10 Abs. 3 Satz 2 [gemeint ist offenbar. Satz 1, Anm. der Kammer] AufenthG und § 38 Abs. 2 AsylVfG fällt. Eine Klage gegen die im Falle des Verzichts zu erlassende und mit einer Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 AsylVfG zu versehende Abschiebungsandrohung hätte nach § 75 AsylVfG zwar aufschiebende Wirkung. Die hierin liegende zeitliche Verzögerung einer Aufenthaltsbeendigung steht dem Zweck des § 14a AsylVfG jedoch nicht entgegen. Dieser liegt nach dem oben Dargestellten allein darin zu verhindern, dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten entstehen. Eine darüber hinausgehende erhebliche Verkürzung der Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik, die nicht zuletzt durch die Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bestimmt wird, ist ausweislich der Gesetzesbegründung vom konkreten Regelungszweck des §14a AsylVfG hingegen nicht umfasst. Dies ist auch nicht aufgrund der übergeordneten allgemeinen Zwecksetzungen des Zuwanderungsgesetzes anders zu sehen. Zwar verfolgte der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz unter anderem das Ziel, die Durchführung des Asylverfahrens zu straffen und zu beschleunigen sowie dem Missbrauch von Asylverfahren entgegenzuwirken (vgl. BT-Drucksache 15/420, S. 1. A. Problem und Ziel).

Die ausdrückliche Verzichtsregelung in § 14a Abs. 3 AsylVfG, die dazu dient, die Dispositionsbefugnis über die Geltendmachung des Asylgrundrechts zu wahren, vgl. BT-Drucksache 15/420, S. 108, zu Nummer 10, wäre aber nicht erforderlich gewesen, wenn die Rechtsfolgen des Verzichts denen der Antragsrücknahme hätten gleichgestellt werden sollen. In diesem Fall hätte die Möglichkeit einer Antragsrücknahme vor der Entscheidung des Bundesamtes im Sinne von § 32 AsylVfG zur Erreichung dieses Ziels ausgereicht. Dass der Gesetzgeber stattdessen die neue Verfahrenshandlung des Verzichts gemäß § 14a Abs. 3 AsylVfG geschaffen hat, spricht vielmehr dafür, dass die Rechtsfolgen der Antragsrücknahme für den Verzicht nicht gewollt waren" (Urteil v. 11.08.2006 - 1 A 1437/06.A -, zit. n. juris; in diesem Sinne auch VG Düsseldorf, Beschluss v. 21.12.2005 - 1 L 2219/05.A -, zit. n. juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 27.12.2006 - 1 a L 1274/06.A -, zit. n. juris; VG Schwerin, Urteil v. 08.01.2007 - 7 A 1113/06 As -, zit. n. juris).

Dass es sich bei der Regelung des § 38 Abs. 2 AsylVfG nicht um ein "bewusstes Unterlassen" des Gesetzgebers, sondern um ein sog. "Redaktionsversehen" handelt, welches im Wege der Analogie ausgeräumt werden könnte (so VG Wiesbaden, Urteil v. 30.06.2005 - 1 E 714/05.A -, zit. n. juris), ist nicht ohne weiteres erkennbar (so auch VG Arnsberg, Beschluss v. 29.06.2006 - 9 L 569.06A -).

Richtigerweise ist daher der Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG unter die "sonstigen Fälle" des § 38 Abs. 1 AsylVfG zu subsumieren (so auch VG Düsseldorf, Beschluss v. 21.12.2005 - 1 L 2219/05.A -, zit. n. juris; VG Schwerin, Urteil v. 08.01.2007 - 7 A 1113/06 As -, zit. n. juris; a.Auff: VG Wiesbaden, Urteil v. 30.06.2005 - 1 E 714/05.A -, zit. n. juris; VG Würzburg, Beschuss v. 26.10.2006 - W 7 S 06.30300 -, zit. n. juris) [...]."

Hieran wird auch weiterhin festgehalten.