VG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 18.07.2007 - 10 K 6/07 - asyl.net: M11159
https://www.asyl.net/rsdb/M11159
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für syrischen Staatsangehörigen, der als Aktivist der Yekiti-Partei inhaftiert und gefoltert wurde

 

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Folter, Geheimdienste, Glaubwürdigkeit, Yekiti, Mitglieder, Misshandlungen, Haft, Inhaftierung, Regimegegner, Oppositionelle, Grenzkontrollen, Situation bei Rückkehr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für syrischen Staatsangehörigen, der als Aktivist der Yekiti-Partei inhaftiert und gefoltert wurde

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat indes Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG, dessen Voraussetzungen mit denen der politischen Verfolgung im Sinne des § 16a Abs. 1 GG übereinstimmen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (vgl. Urteil vom 27.5.1986, 9 C 35.86, 9 C 36.86, BVerwGE 74, 226, m.w.N., zitiert nach juris; Urteil des OVG des Saarlandes vom 24.2.1992; 3 R B235/88, m. w. N.), der die Kammer folgt, begründen Verletzungen der Menschenwürde, wie sie in der Anwendung von Folterpraktiken liegen, einen Anspruch auf Asyl, wenn sie darauf abzielen, den Betroffenen - zumindest auch - wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung zu treffen. Demgegenüber indizieren nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts körperliche Übergriffe, die zur Erzwingung von Aussagen bei Verdacht von politischen wie nichtpolitischen Straftaten unterschiedslos erfolgen, ihren politischen Charakter nicht. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht dabei wesentlich auf körperliche Übergriffe abgestellt. Darin erschöpft sich indes der Begriff der Folter nicht. Unter Folter ist in Anlehnung an das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (vgl. BGBl. II - 1990 -, S. 247; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit 1.6.1990 - BGBl. II S. 491 - nach Ratifizierung durch das Gesetz zu dem VN-Übereinkommen vom 10.12.1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 6.4.1990 - BGBl. II, S. 246) jede Handlung zu verstehen, durch die einer Person vorsätzlich körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder ums sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen auf irgendeine Art von Diskriminierung beruhenden Grund (Teil 1, Art. 1 1 des Übereinkommens, a.a.O.).

Vorab ist festzustellen, dass der Kläger zu Recht darauf hingewiesen hat, dass angesichts der nach der Rechtsprechung der Kammer dort praktizierten geheimdienstlichen Überwachung in Syrien dem Kläger schlechterdings nicht abverlangt werden kann, zu erklären, wie die Sicherheitsbehörden Kenntnis von der unmittelbar vor der Ausreise erfolgten geheimen Versammlung, an der er angegeben hat, vor der Ausreise teilgenommen zu haben, erlangt haben und wie die Sicherheitsbehörden seine Identität als Teilnehmer festgestellt haben sollen. Daher genügen die hieraus abgeleiteten Zweifel nicht, im o.a. Sinne durchgreifende Bedenken gegenüber der Glaubhaftigkeit der klägerischen Angaben zu hegen.

Der Kläger hat durchgängig und ohne signifikante Abweichungen von seinen Angaben bei der Beklagten, die nicht auf einer vertiefenden Befragung beruhten, sowie ohne Steigerungen seines Vorbringens glaubhaft geschildert, wegen seit Jahren ausgeübter politischer Betätigungen für die kurdische Sache und insbesondere die Yekiti-Partei in den Blick der syrischen Sicherheitsbehörden geraten und vor diesem Hintergrund in Zusammenhang mit einem Parteitreffen angesichts des Bestehens einer konkreten und aktuellen Gefährdungssituation ausgereist zu sein. Glaubhaft sind auch Art und Intensität der jeweils erlittenen Behandlungen, Misshandlungen und Folterungen in der Haft.

Entscheidend zu berücksichtigen ist angesichts dieser glaubhaften Schilderungen des Klägers, dass nach der Auskunftslage davon auszugehen ist, dass Syrien kein demokratischer Rechtsstaat ist. In Syrien wird gefoltert. Schon im normalen Polizeigewahrsam sind Misshandlungen an der Tagesordnung, ohne dass dabei politische rassische oder religiöse Ursachen einflössen. Insbesondere bei Fällen mit politischem Bezug wird (häufig bevor Verhöre überhaupt beginnen) physische und psychische Gewalt in erheblichem Ausmaß eingesetzt. Die Folter dient der generellen Gefügigmachung ebenso wie der Erzwingung von Geständnissen, der Nennung von Kontaktpersonen und der Abschreckung. Allerdings reichen im Allgemeinen bloße politische Missliebigkeit oder ein untergeordnetes Engagement für eine als oppositionell eingestufte Gruppe nicht aus, um umfangreiche und andauernde Folter auszulösen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Sicherheitskräfte in den letzten Jahren verstärkt angewiesen worden sind, sicherzustellen, dass Verhöre nicht mit dem Tod oder gravierenden erkennbaren Dauerschäden enden. Offensichtlich bedienen sich die Geheimdienste eines abgestuften Systems, orientiert am Tatvorwurf, an der Schwere des Tatverdachtes, etc. Bei wenig gravierenden Vorwürfen bleibt es bei Belästigungen und Schikanen im täglichen Leben, ohne Gefahr für Leib und Leben des Betreffenden.

Generell ist zwischen den Handlungen der ordentlichen Strafvollzugsorgane und dem Vorgehen der Geheimdienste oder der Militärs bei politischem (oder vermutetem politischem) Hintergrund zu unterscheiden. Im normalen Strafvollzug bemüht sich die Regierung, allgemeine Standards zu gewährleisten oder zu erreichen. Die Situation ist für Festgenommene wesentlich schlechter, wenn Geheimdienste tätig werden. In deren Bereich kommen unmenschliche und erniedrigende Behandlung, Drohungen gegen Leib und Leben sowie gegen Familienangehörige, Strafverschärfungen und unmenschliche Behandlung in Haft vor. Islamische Körperstrafen, die Prügelstrafe oder andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen sind gesetzlich nicht vorgesehen (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 14.7.2005 (Stand: Juni 2005), S. 5 und 19 ff., vom 17.3.2006 und vom 26.2.2007).

Hinzu kommt, dass es der Rechtsprechung der Kammer entspricht (vgl. das Urteil vom 02.05.2007, 10 K 11/07), dass hervorgehobenen Mitgliedern der Yekiti-Partei in Syrien staatliche Repressalien drohen. Der Auskunftslage zufolge (vgl. bspw. Lageberichte des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17.03.2006 und vom 26.02.2007) setzen Repressionen des syrischen Staates gegen Kurden ein, wenn Aktivitäten als politisch konkretes Handeln gegen die Integrität des syrischen Staates angesehen werden (insbesondere bei Autonomieforderungen). Die hier in Rede stehende YEKITI-Partei (Kurdische Demokratische Partei der Einheit) ist verboten, wird aber toleriert. Allerdings werden Anführer oder Mitglieder immer wieder verhaftet. Die YEKITI-Partei hat - wie die übrigen Kurden-Parteien - eine Doppelnatur: Einerseits ist sie politische Partei, die sich für die politischen Rechte der Kurden im Hinblick auf deren Probleme mit dem syrischen Staat auf Seiten dieser Volksgruppe engagiert. Insoweit handelt es sich um eine verbotene Partei. Jedoch hängt die Art und Weise der Verfolgung sehr von tagespolitischen Ereignissen ab. Andererseits ist die Partei auch das sozial-organisatorische Netz und die Interessenvertretung der Kurden auf praktisch alltäglicher Ebene. Insoweit arbeiten ihre Mitglieder sogar mit syrischen Behörden zusammen. Allein aus derartigen Aktivitäten ergibt sich keine Gefährdungssituation für Mitglieder dieser Partei. Die Doppelnatur dieser und anderer Parteien hat zur Folge, dass auch der Mitgliedschaft eine solche Doppelnatur zu Eigen ist. Sie allein begründet noch keine Verfolgungsgefahr. Verfolgungsmaßnahmen des syrischen Staates setzen aber bei Aktivitäten ein, die sich nach außen erkennbar in besonderer Weise für die politisch-ethnischen und nicht allein die praktisch-alltäglichen Belange der Kurden einsetzen. Welche Art von Aktivitäten problematisch ist, hängt von vielen, nur schwer einzuschätzenden Faktoren ab, insbesondere davon, in welchem Gegensatz sich jemand durch seine Tätigkeit zum syrischen Staat setzt. Es gibt Berichte über sippenhaftähnliche Verhaftungen in Syrien, um unauffindbarer Personen habhaft zu werden (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 01.04.2004 und vom 17.07.2003; Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts an das VG Aachen vom 20.12.2002 und an VG Schleswig vom 31.01.2005).

Hiervon ausgehend gehört der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben zum Kreis der Mitglieder der Yekiti-Partei, die sich aktiv gegen den syrischen Staat gestellt haben. Wegen seines hervorgehobenen Engagements innerhalb der Yekiti-Partei im o.a. Sinn ist er in den Blick des syrischen Geheimdienstes geraten und - über Freiheitsentziehungen hinaus insbesondere auch durch Folterungen im o.a. Sinn - in Anknüpfung an seine Betätigung politisch verfolgt worden.

Ist der Kläger nach allem vorverfolgt und vor der akuten Gefahr weiterer staatlicher Repressalien ausgereist, so droht ihm bei Rückkehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erneut politische Verfolgung. Da er in den Blick der syrischen Sicherheitsbehörden geraten ist, drohen ihm nach der Rechtsprechung der Kammer bereits bei der Einreise abschiebungsschutzrelevante Repressalien (vgl. das Urteil vom 02.05.2007, 10 K 14/07).

Die Einreisekontrollen (wie auch die Ausreisekontrollen) an den syrischen Grenzen sind umfassend. Die Grenzkontrolleure sind neben der Grenzpolizei stets auch Angehörige der Geheimdienste. In aller Regel erfolgt die Einreise (auch Abgeschobener) - abgesehen von Befragungen - unbehelligt. Eine vorangegangene Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt sind für sich allein kein Grund für ein Einschreiten der Geheimdienste. Liegt indes ein Fahndungsersuchen vor, wird der Einreisende verhaftet. Wie schon bei Festnahmen bei bestehenden Zweifeln an der Identität des Einreisenden, ist eine Haft mit intensiver Befragung bis hin zur Folter, wie sie der Kläger bereits erlitten hat, zu erwarten.