OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.07.2007 - 8 A 1075/06.A - asyl.net: M11193
https://www.asyl.net/rsdb/M11193
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Türkei, Kurden, Gruppenverfolgung, Verfahrensmangel, rechtliches Gehör, Beweisantrag, sachverständige Zeugen, Sachverständige, Wahrunterstellung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3; VwGO § 98; ZPO § 414; StPO § 244 Abs. 3
Auszüge:

2. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

a) Der Rechtssache kommt nicht die ihr beigemessene grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu.

Soweit die aufgeworfene Frage auf eine Gruppenverfolgung von (nicht näher umschriebenen "nichtassimilierten") Kurden zielt, ist sie durch die Rechtsprechung des Senats geklärt. Danach unterliegen Kurden in keinem Landesteil der Türkei einer Gruppenverfolgung; ungeachtet dessen steht ihnen in der Westtürkei eine inländische Fluchtalternative offen. Eine Fluchtalternative steht allerdings individuell Vorverfolgten nicht offen, die bei ihrer Rückkehr aus individuellen Gründen politische Verfolgung befürchten müssen. Unter welchen Umständen diese Voraussetzungen vorliegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, die sich einer generellen Klärung entziehen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, m.w.N.).

c) Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

Die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten und durch Beschluss gemäß § 86 Abs. 2 VwGO abgelehnten Beweisanträge ist nicht zu beanstanden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch die Ablehnung eines Beweisantrages nur dann verletzt, wenn seine Ablehnung im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1978 - 1 BvR 158/78 -, BVerfGE 50, 32 (35 f.), und vom 29. November 1983 - 1 BvR 1313/82 -, BVerfGE 65, 305 (307); BVerwG, Beschluss vom 24. März 2000 - 9 B 530.99 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308).

Dies ist hier nicht der Fall.

aa) Soweit die Antragsschrift die unterbliebene Vernehmung des Rechtsanwalts B. E. als sachverständigen Zeugen rügt, trägt sie nicht hinreichend dem Unterschied zwischen dem Beweis durch "sachverständige Zeugen" (§ 98 VwGO i.V.m. § 414 ZPO) und dem Beweis durch "Sachverständige" (§ 98 VwGO i.V.m. §§ 402 ff. ZPO) Rechnung. Dieser Unterschied ist jedoch bedeutsam für die Beantwortung der Frage, ob das Verwaltungsgericht dem Beweisantrag entsprechen musste.

Auf den sachverständigen Zeugen finden die Vorschriften über den Zeugenbeweis Anwendung (§ 98 VwGO i.V.m. § 414 ZPO). Beweisanträge dürfen grundsätzlich nur abgelehnt werden, wenn das vom Antragsteller angebotene Beweismittel schlechterdings untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt wird; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, dann muss der (Zeugen-)Beweis antragsgemäß erhoben werden.

Für die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens, namentlich eines weiteren Gutachtens, gilt dieser Grundsatz hingegen nicht. Die Auswahl der zuzuziehenden gerichtlichen Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch das Prozessgericht, das sich insbesondere auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken kann (§ 98 VwGO i.V.m. § 404 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ZPO). Die Entscheidung darüber, ob ein - weiteres - Gutachten eingeholt werden soll, steht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) im pflichtgemäßen Ermessen des Tatsachengerichts. Dieses Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung eines - weiteren - Gutachtens oder eines Obergutachtens absieht, obwohl die Notwendigkeit dieser weiteren Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen. Der "Sachverständige" begutachtet als "Gehilfe" des Richters einen grundsätzlich vom Gericht festzustellenden Sachverhalt aufgrund seiner besonderen Sachkunde auf einem Fachgebiet. Aufgabe des Sachverständigen ist es, dem Gericht besondere Erfahrungssätze oder Kenntnisse des jeweiligen Fachgebietes zu vermitteln und/oder aufgrund von besonderen Erfahrungssätzen oder Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehen. Reicht ein bereits eingeholtes Gutachten aus, um das Gericht in die Lage zu versetzen, die entscheidungserheblichen Fragen sachkundig beurteilen zu können, ist die Einholung eines weiteren Gutachtens oder Obergutachtens weder notwendig noch veranlasst.

Der sachverständige Zeuge ist demgegenüber ein Zeuge, der sein Wissen von bestimmten vergangenen Tatsachen oder Zuständen bekundet, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war und die er nur kraft dieser besonderen Sachkunde ohne Zusammenhang mit einem gerichtlichen Gutachtenauftrag wahrgenommen hat. Kennzeichnend für den sachverständigen Zeugen ist es, dass er "unersetzbar" ist, da er (nur) von ihm selbst wahrgenommene "vergangene" Tatsachen bekundet (§ 414 ZPO), während ein Sachverständiger in aller Regel gegen einen anderen gleichermaßen Sachkundigen ausgewechselt werden kann (zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 -, BVerwGE 71,38 = Buchholz 303 § 414 ZPO Nr. 1, m.w.N.)

Das Verwaltungsgericht hätte demnach Rechtsanwalt B. als sachverständigen Zeugen nur zum Beweis vergangener Tatsachen oder Zustände vernehmen können. Der Kläger hat ihn aber für ein Beweisthema benannt, für das nach der Prozessordnung richtigerweise nur ein Sachverständiger als zulässiges Beweismittel in Betracht kam, nämlich für die Prognose, "dass selbst bei einem Freispruch die Gefahr von Verhören mit asylrelevanter Misshandlung durch staatliche Sicherheitskräfte, insbesondere durch die konkurrierenden Geheimdienste, für den Kläger besteht". Insoweit war der vom Kläger zu dem von ihm angegebenen Beweisthema angebotene sachverständige Zeuge ein untaugliches Beweismittel, so dass seine beantragte Vernehmung zu diesem Beweisthema abgelehnt werden durfte.

Allerdings kommt auch in Betracht, dass der Beweisantrag dahin zu verstehen war, dass er auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichtet war (so die Antragsbegründung auf S. 10 in Zusammenhang mit dem zweiten Beweisantrag sowie die entsprechende Klarstellung im Schreiben vom 16. Juli 2007 auf den Hinweis des Vorsitzenden). Für diesen Fall hat das Verwaltungsgericht jedenfalls zutreffend ausgeführt, dass die bereits vorliegenden Auskünfte und Stellungnahmen ausreichten, um die entscheidungsrelevanten Fragen zu beantworten. Ein auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichteter Beweisantrag kann verfahrensfehlerfrei nach tatrichterlichem Ermessen entweder gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde abgelehnt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 -, NVwZ 2000, Beilage Nr. 9, 99, m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 1999 - 9 B 381.98 -, DVBl. 1999, 1206).

bb) Die vom Kläger beanstandete Ablehnung des auf Vernehmung von Rechtsanwalt U., E., als sachverständigen Zeugen gerichteten Beweisantrags findet ebenfalls eine Stütze im Prozessrecht.

Es könne als wahr unterstellt werden, dass es durchaus noch politische Verfolgung unterhalb strafrechtlicher Sanktionen in der Türkei gebe, weil dieser Umstand im Falle des Klägers nicht entscheidungserheblich sei. Mit dieser Begründung durfte das Verwaltungsgericht den Beweisantrag (analog § 244 Abs. 3 Satz 2, 2. und letzte Alternative StPO) ablehnen (zur "Wahrunterstellung" wegen Unerheblichkeit der vorgetragenen Tatsachen vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1988 - 9 C 91.87 -, InfAuslR 1989, 135, und Beschluss vom 20. September 1993 - 4 B 125.93 -; VGH BW, Beschluss vom 6. August 1997 - A 12 S 213/97 -, VBlBW 1998, 101).