VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 19.04.2007 - 6 K 981/06.TR - asyl.net: M11201
https://www.asyl.net/rsdb/M11201
Leitsatz:

§ 60 Abs. 5 AufenthG für iranischen Staatsangehörigen wegen Gefahr der Auspeitschung nach Ehebruch

 

Schlagwörter: Iran, Ehebruch, Strafverfolgung, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Steinigung, Todesstrafe, Hadd-Strafen, Auspeitschung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3
Auszüge:

§ 60 Abs. 5 AufenthG für iranischen Staatsangehörigen wegen Gefahr der Auspeitschung nach Ehebruch

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig, jedoch lediglich hinsichtlich des Hilfsantrages begründet, da der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hat und die ihm gegenüber ergangene Abschiebungsandrohung insoweit aufzuheben ist, als ihm die Abschiebung in den Iran angedroht wird.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. November 2006 ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Ziffer 1 und 2 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Der Regelungsgehalt von Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz - GG - und § 60 Abs. 1 AufenthG ist deckungsgleich, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Schutzgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft.

Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers nicht gegeben. Er stützt seine Verfolgungsfurcht im Wesentlichen auf die Behauptung, als verheirateter Mann eine außereheliche sexuelle Beziehung mit einer Frau unterhalten zu haben, die ihrerseits verheiratet gewesen sei. Diese Beziehung sei entdeckt und angezeigt worden. Daher drohten ihm im Falle der Rückkehr in den Iran Verfolgungsmaßnahmen.

Diese vom Kläger befürchtete Strafverfolgung wegen der rechtswidrigen außerehelichen sexuellen Beziehung stellt keine an asylerhebliche Merkmale i.S. von § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG und auch keine an das Geschlecht anknüpfende Verfolgung i.S. von § 60 Abs. 1 S. 3 AufenthG dar, sie stellt vielmehr allein den Tatbestand des Ehebruchs im Iran allein unter Strafe.

Dem Kläger steht jedoch nach Auffassung des Gerichts ein Anspruch auf die von ihm hilfsweise beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG, hier Abs. 5 i.V.m. der Europäischen Menschenrechtskonvention zu.

Zwar drohen ihm wegen der rechtswidrigen außerehelichen sexuellen Beziehung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Steinigung oder Hinrichtung. Dies käme nur in Betracht, wenn ihm der verbotene Geschlechtsverkehr i.S. des Art. 63 ff. des Zweiten Buches des Gesetzes über die islamischen Strafen, d.h., der Geschlechtsverkehr zwischen einem Mann und einer Frau, die aus rechtlichen Gründen nicht miteinander schlafen dürfen, nachgewiesen werden könnte. Dieser Geschlechtsverkehr gilt nach iranischem Rechtsverständnis als sogenannte "Hadd-Straftat", d.h., als Straftat, die einen Angriff auf die göttliche Ordnung darstellt und deshalb mit Strafen belegt ist, die keinem richterlichen Ermessen zugänglich sind. Zu einer Steinigung oder Hinrichtung nach diesen Bestimmungen kommt es praktisch nur, wenn zugleich ein weiteres Kapitalverbrechen vorliegt oder es sich um organisierte Prostitution handelt. Denn der unerlaubte Geschlechtsverkehr wird durch vier rechtschaffene männliche Zeugen oder durch drei rechtschaffene männliche und zwei weibliche Zeugen bewiesen. Das Zeugnis muss klar und zweifelsfrei sein und auf eigenen Beobachtungen beruhen, ein Zeugnis vom Hören-Sagen ist unbeachtlich. Alternativ kommt ein Geständnis in Betracht, wobei der Betreffende den unerlaubten Geschlechtsverkehr viermal - damit ist in vier verschiedenen Sitzungen gemeint - gesteht; das Geständnis muss von einem mündigen Täter bei geistiger Gesundheit, freiwillig und mit Geständnisvorsatz, also in Kenntnis der Folge des Geständnisses abgegeben werden (vgl. zu Vorstehendem Auskunft des Deutschen Orient-Institutes vom 23. November 1995 und 08. April 2002 an das VG Wiesbaden).

Diese Voraussetzungen liegen eindeutig nicht vor. Zeugen für einen Geschlechtsverkehr existieren nicht, ein Geständnis ist im vorliegenden Fall ebenfalls nicht zu erwarten. Auch steht hinsichtlich des Vaters der Freundin nicht zu erwarten, dass dieser trotz seiner Tätigkeit für die Pasdaran für ein Vorliegen dieser Voraussetzungen sorgen könnte. Jedoch droht dem Kläger wegen der rechtswidrigen außerehelichen sexuellen Beziehung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung nach "normalem" iranischen Recht, das vorliegend im Fünften Buch des StGB zusammengefasst ist und für das es keine so strengen Beweisanforderungen gibt. Der Richter führt in diesen Fällen eine "normale" Beweiserhebung und Beweiswürdigung durch und hat hinsichtlich der zu verhängenden Strafe ein Ermessen. Nach § 637 des Islamischen Strafgesetzbuches steht auf eine ungesetzliche Beziehung oder eine sittenlose Tat eines Mannes und einer Frau außer Unzucht, wie etwa Bettgemeinschaft oder Küssen, eine Strafe bis zu 99 Peitschenhieben. Eine Peitschenhiebstrafe stellt eine äußerst grausame körperliche Strafe dar, weil sie mit äußerst qualvollen Lederpeitschen und noch dazu von Personen verabreicht wird, die das gelernt haben. Die Delinquenten werden üblicherweise nach einigen Schlägen ohnmächtig, weil ihnen die Haut buchstäblich vom Leib geschlagen wird. Deshalb wird die Strafe normalerweise in mehreren Sitzungen "verabreicht", damit sich die Delinquenten in der Zwischenzeit wieder etwas erholen können. Zwar kann das Auspeitschen je nach dem zuvor bezeichneten Tazir-Gesetz abgekauft werden, was auch häufig geschieht (vgl. zu Vorliegendem darüber hinaus Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 27. Februar 2003 an das VG Gelsenkirchen).

Das Gericht ist der Überzeugung, dass dem Kläger eine solche Auspeitschung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Anders als das Bundesamt geht das Gerichts insbesondere nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung insbesondere auf Grund des persönlichen Eindrucks des Klägers dort gemacht und auf Grund der vom Kläger geschilderten Detail-Fülle davon aus, dass dieser die von ihm geschilderte Geschichte tatsächlich erlebt hat.