VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 01.06.2007 - 6 K 153/07.KO - asyl.net: M11206
https://www.asyl.net/rsdb/M11206
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für buddhistischen Mönch aus Tibet, der sich der Umerziehung durch chinesische Kader widersetzt hat

 

Schlagwörter: China, Tibet, Tibeter, Buddhisten, Mönche, Umerziehung, Folter, Glaubwürdigkeit, Dolmetscher, Dialekt, Oppositionelle, Regimegegner, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für buddhistischen Mönch aus Tibet, der sich der Umerziehung durch chinesische Kader widersetzt hat

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.

Nach dem Ergebnis der Anhörung in der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger in China politische Verfolgung erlitten hat und er vor seiner Ausreise unmittelbar von erneuter politischer Verfolgung bedroht war.

Nach Überzeugung des Gerichts hat er in einer ausführlichen, widerspruchsfreien, substantiierten Weise dargetan, dass er von seinem siebten Lebensjahr an als Mönch im Kloster gelebt hat. Weiterhin hat er plausibel und entsprechend der Auskunftslage das Vorgehen der chinesischen Kader zur politischen (Um-)Erziehung in den Jahren 1997 und 1998 in dem von ihm damals bewohnten Kloster geschildert. Gerade vor dem Hintergrund des Gutachtens von Prof. Dr. Weggel an das VG Ansbach vom 11. Februar 2007 und der darin geschilderten Anlässe für das Vorgehen gegen Mönche erscheint das Schicksal des Klägers in dieser Zeit plausibel für die Strategie der Chinesen zur "patriotischen" Erziehung in den Klöstern und zur Verdrängung von renitenten, unliebsame Fragen stellenden Mönchen aus diesen. Auch wird von Prof. Dr. Weggel hervorgehoben, dass schon derjenige, der sich weigert, bei den Kampagnen mitzuziehen, d.h. die Handbücher durchzuarbeiten oder mit den Parteikadern über die Texte zu diskutieren und (zwingend) Einigkeit zu erzielen, mit Ausschluss aus dem Kloster oder anderen "Erziehungsmaßnahmen" rechnen muss. Die besondere Gefährdung von Mönchen und Nonnen wird von Prof. Dr. Weggel, in Übereinstimmung mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. November 2006 herausgehoben, da sie die Träger der tibetischen Kultur sind. Auch die zeitlichen Zusammenhänge der Geschehnisse sind nach der Durchführung der mündlichen Verhandlung durchaus plausibel. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat in seinem Bescheid vom 1. Februar 2007 nicht die bei der Anhörung offen zu Tage getretenen Übertragungsprobleme bei der Einordnung des Vorbringens des Klägers in Rechnung gestellt. Die Wortwahl der Dolmetscherin bei der dortigen Anhörung am 10. Juli 2006 zeugt auch davon, dass sie entweder mit den Gegebenheiten des klösterlichen Lebens in Tibet oder mit dem hierzu korrespondierenden deutschen Wortschatz nicht einmal im Ansatz vertraut war.

Bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hat der Kläger die Gründe für seine Ausreise im Rahmen der ihm durch die Fragestellung gebotenen Möglichkeiten im Wesentlichen nachvollziehbar und ausführlich geschildert. Ebenso plausibel erscheinen dem Gericht die vom Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung dargelegten Einzelheiten des Vorfalls am 26. April 2006 und die hierdurch zu befürchtende Verfolgung durch die chinesischen Sicherheitskräfte. Hier hat der Kläger nachvollziehbar zu schildern vermocht, dass die Sicherheitskräfte (insbesondere eine Person, die bereits hinsichtlich seiner früheren Verhaftung und der Auferlegung eines Arrestes sehr aktiv war) ihn erkannt haben und deshalb eine Suche nach ihm höchstwahrscheinlich ist, da er an einem Gewaltakt gegen chinesische Staatsbedienstete beteiligt war. Dieser Gewaltakt ist zudem anlässlich einer Durchsuchung des Klosters begangen worden, bei dem ein Bildnis des Dalai Lama aufgefunden wurde, so dass für die chinesischen Beamten eine oppositionelle Einstellung der Mönche und des Klägers offensichtlich anzunehmen war. Denn der Besitz eines Bildes des Dalai Lama kann unmittelbar als Besitz reaktionärer Gegenstände zur Verhaftung führen, vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. November 2006, S. 14-15; Gutachten Prof. Dr. Weggel an VG Ansbach vom 11. Februar 2007. Die Abenteuerlichkeit von Fluchtgeschichten von Tibetern ist, im Gegensatz zu den übrigen Teilen Chinas, seit Jahrzehnten nachweisbar belegt, sei es die Flucht des Dalai Lama 1959 oder die Flucht des Karmapa Lama im Dezember 1999. Gerade die Tatsache, das es in der Regel keinen einfachen, wenig überwachten und leicht zu ergreifenden Weg für eine Ausreise aus Tibet Richtung Nepal oder Indien gibt und die chinesischen Grenztruppen hier, anders als in anderen Landesteilen, z.T. mit allen Mitteln versuchen, die Flüchtlinge aufzuhalten, einschließlich des Gebrauchs von Schusswaffen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. November 2006 S. 15), lässt die Geschichte des Klägers eher plausibel erscheinen.

In Anbetracht dessen hat das erkennende Gericht auch im Übrigen keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers. Ebenso konnte aufgeklärt werden, dass bei der Anhörung durch das Bundesamt Teile des Vortrages des Klägers durch die Übertragung nur in das Tibetische und nicht in den Kham-Dialekt erheblich interpretationsbedürftig waren und durch den Kläger in seiner Aufstellung (Anlage zum Schriftsatz vom 22. Februar 2007) und in der mündlichen Verhandlung zutreffend klargestellt werden konnten. Es bleibt zu beachten, dass der Kläger keine staatliche Schule besucht hat, und damit von ihm die Beherrschung des Ost-Tibetischen oder gar der Chinesischen Sprache nicht zu erwarten ist.

Nach alledem kommt dem Kläger der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugute mit der Folge, dass ihm Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren ist, da eine erneute Verfolgung bei einer Rückkehr des Klägers nach China nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, vielmehr nach Auffassung des Gerichts sogar beachtlich wahrscheinlich ist. Die Volksrepublik China versteht sich als sozialistischer Staat mit alleinigem Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei (KP). Alles, was diesen Anspruch zu gefährden droht, wird von der Führung bekämpft. Personen, die in Opposition zur gegenwärtigen Regierung und herrschenden Ideologie stehen, setzen sich der Gefahr von Repressionen durch staatliche Stellen aus, wenn sie öffentlich Aktivitäten unternehmen, die sich aus Sicht der Regierung gegen sie, die KP, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas richten. Aus Sicht der chinesischen Regierung kommt es dabei vor allem auf die Gefährlichkeit oder Unbequemlichkeit der einzelnen Person für die Regierung bzw. die KP an. Dabei unterliegen politische und religiöse Aktivitäten in Tibet weiterhin einer strikten Kontrolle durch die Zentralregierung mit dem Ziel, den Einfluss des tibetischen Buddhismus zurückzudrängen und jegliche Form von tibetischen Autonomiebestrebungen zu unterdrücken. Die Flucht des Karmapa Lama im Dezember 1999 hat zu weiteren, schärferen Kontrollen von Mönchen und Nonnen geführt. Außerdem gibt es Berichte über die Anwendung von Folter in allen Haftanstalten Tibets (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 30. November 2006, 8. November 2005 und vom 25. Oktober 2004). Diese Einschätzung wird im Übrigen auch von amnesty international (ai) geteilt, wonach die Gefahr, Opfer von Folter und Misshandlung zu werden, vor allem für Personen besteht, denen unterstellt wird, sich für die Unabhängigkeit Tibets einzusetzen und Kontakt mit der tibetischen Exilregierung aufgenommen zu haben (vgl. ai, Auskunft an das Verwaltungsgericht (VG) Bayreuth vom 4. März 1997, veröffentlicht im Internet: www.2.amnesty.de).