VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 30.07.2007 - 15 AE 396/07 - asyl.net: M11249
https://www.asyl.net/rsdb/M11249
Leitsatz:

Stellt ein Ausländer aufgrund einer fehlerhaften Empfehlung oder Belehrung durch das Bundesamt oder die Ausländerbehörde einen Asylantrag, kann er den Antrag nachträglich anfechten (hier: Verleitung zu offensichtlich aussichtslosem Asylantrag für Kleinkind durch Ausländerbehörde).

 

Schlagwörter: D (A), Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Asylantrag, Beratung, Ausländerbehörde, Beratungsfehler, Rücknahme, Anfechtung, Folgenbeseitigungsanspruch, offensichtlich unbegründet, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: GG Art. 16a Abs. 4; AsylVfG § 36 Abs. 4; AsylVfG § 14a Abs. 2; AufenthG § 10 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

Stellt ein Ausländer aufgrund einer fehlerhaften Empfehlung oder Belehrung durch das Bundesamt oder die Ausländerbehörde einen Asylantrag, kann er den Antrag nachträglich anfechten (hier: Verleitung zu offensichtlich aussichtslosem Asylantrag für Kleinkind durch Ausländerbehörde).

(Leitsatz der Redaktion)

 

II. Der Antrag, mit dem die Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage begehrt, ist zulässig. Insbesondere steht der Zulässigkeit von Klage und Eilantrag nicht entgegen, dass sich die Antragstellerin lediglich gegen die Ablehnung dieses Asylantrages als offensichtlich unbegründet wendet und keinen Verpflichtungsantrag auf Gewährung von Asyl oder von Abschiebungsschutz stellt. Da diese qualifizierte Form der Ablehnung im Gegensatz zur einfachen Ablehnung zusätzliche belastende ausländerrechtliche Rechtsfolgen nach sich ziehen kann, fehlt es einer allein hiergegen gerichteten isolierten Anfechtungsklage nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006, InfAuslR 2007, 213 ff., Juris Rn. 16 ff.), sodass insoweit auch ein Eilverfahren zulässig ist.

III. Der Eilantrag führt auch in der Sache zum Erfolg.

Insoweit ist zweifelhaft, ob hier überhaupt noch ein zu bescheidener Asylantrag im Sinne von § 14 Abs. 1 AsylVfG vorliegt. Wenn es an diesem aber fehlt bzw. dieser rückwirkend entfallen sein sollte, kann auch die Ablehnung eines solchen als offensichtlich unbegründet im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG keinen mehr Bestand haben, da eine solche Ablehnung eines Asylbegehrens als offensichtlich unbegründet nicht von Amts wegen erfolgen darf, sondern, wie das Gesetz bereits ausdrücklich sagt, eines rechtswirksamen Antrags bedarf, der für das asylsuchende Kind gestellt wurde (vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 21.11.2006, InfAuslR 2007, 213 ff., Juris Rn. 39).

Im Einzelnen gilt folgendes:

Bei der hier lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass für die Antragstellerin durch ihre Mutter, deren Handlungen als dessen gesetzliche Vertreterin dem Kind zuzurechnen sind, kein förmlicher Asylantrag gestellt werden sollte. Vielmehr dürfte der Vortrag der Kindesmutter zutreffend sein, dass sie rechtlich völlig unerfahren ist und diesen Antrag allein auf Grund einer nicht nur nicht sachdienlichen, sondern in ihren Konsequenzen äußerst schädlichen, dafür aber offenbar sehr nachdrücklichen Empfehlung der beteiligten Behörden gestellt hat. Zwar war die Ausländerbehörde nach § 14a Abs. 2 AsylVfG verpflichtet, dem Bundesamt die Geburt des Kindes anzuzeigen, was bereits als Asylantrag gilt. Dieser fingierte Asylantrag ist indes in seinen Konsequenzen nicht mit einem ausdrücklichen gleichzusetzen (vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 21.11.2006, InfAuslR 2007, 213 ff., Juris Rn. 39). Da keinerlei Asylgründe für das Kind ersichtlich waren, musste die Ausländerbehörde lediglich seine Geburt bei der Antragsgegnerin anzeigen, durfte aber nicht auf eine ausdrückliche Asylantragstellung durch seine gesetzliche Vertreter hinwirken, sondern hatte einen Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG anzuraten. Der Aufenthalt des Kindes konnte – zusammen mit dem seiner Mutter, von der es nicht getrennt werden kann – einstweilen geduldet werden. Nichts sprach und spricht hingegen dafür, dass ein förmlicher Asylantrag dem wirklichen Willen der Mutter der Antragstellerin entsprechen könnte. Als die Mutter der Antragstellerin dann – auf den telefonischen Rat ihres Prozessbevollmächtigten hin, der die Gefahr eines solchen Antrags erkannte – bei der Antragsgegnerin von jenem bereits angekündigten Asylbegehren für ihr Kind ausdrücklich Abstand nehmen und eine Erklärung nach § 14a Abs. 3 AsylVfG abgeben wollte, vermochte sie sich nicht richtig auszudrücken und wurde mit ihrem eher ungewöhnlichen Anliegen, bei der Antragsgegnerin kein Asylverfahren zu wollen, nicht verstanden. Sie wurde ohne Sprachmittler zu einer förmlichen Asylantragstellung veranlasst und ihr wurde statt des beabsichtigten Verzichts auf diese die schriftliche Erklärung, dass sie auf die dazugehörige Anhörung verzichte, abgenommen, die sie aber mangels sprachlicher Fertigkeiten ohne Hilfe eines kompetenten Dolmetschers bzw. ohne schriftliche Übersetzung in ihre Muttersprache gar nicht in ihrer Tragweite verstehen konnte.

In der Klage- und Antragsschrift weist der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin auch an die Adresse der Antragsgegnerin auf diese Umstände hin äußert sich dahingehend, dass sie an dieser ihrem wirklichen Willen nicht entsprechenden Willenserklärung nicht festgehalten werden möchte. Allerdings wird in der Rechtsprechung durchweg angenommen, dass im Asylverfahren – genau wie im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21.3.1979, BVerwGE 57, 342 ff., Juris Rn. 19) – Verfahrenshandlungen aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht nach §§ 119 ff. BGB angefochten werden können, sondern Bestand haben müssen (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 20.9.2004, 4 A 4121/02, Juris Rn. 58; VG Düsseldorf, Urteil vom 16.5.2003, 1 K 3502/02.A, Juris Leitsatz 9; VG Meiningen, Urteil vom 12.9.2000, 1 K 20533/94.Me, Juris Leitsatz 4; OVG Lüneburg, Urteil vom 25.2.1993, 12 L 7079/91, Juris Rn. 19; OVG Schleswig, Entscheidung vom 9.10.1996, 16 A 446/95, Leitsatz in Juris; VG Frankfurt, Beschluss vom 2.7.1996, 9 G 50365/96.A, Leitsatz in Juris; a. A. VG München, Beschluss vom 9.6.1995, M 24 S 95.60219, Leitsatz in Juris).

Jedoch lassen Rechtsprechung und Schrifttum im Asylverfahren unter dem Aspekt der Folgenbeseitigung rechtswidrigen staatlichen Handelns auch dann eine Ausnahme vom Grundsatz der Unanfechtbarkeit zu, wenn Verfahrenshandlungen durch Drohung, sittenwidrige Täuschung, unzulässigen Druck oder aber – wie hier – durch unzutreffende Empfehlung oder Belehrung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder die Ausländerbehörde herbeigeführt wurden (speziell zum Asylverfahren VG Düsseldorf, Urteil vom 16.5.2003, 1 K 3502/02 A, Juris Leitsatz 10, und VG Göttingen, Urteil vom 20.9.2004, 4 A 4121/02, Juris Rn. 58, sowie Hailbronner, Ausländerrecht, § 32 AsylVfG Rn. 14; vgl. entsprechend für den Verwaltungsgerichtsprozess Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, Vorb. zu § 40 Rn. 15; VG Schwerin, Urteil vom 17.8.2000, 7 A 2764/96, Juris Rn. 27; vgl. zur gebotenen Korrektur der Folgen einer falschen richterlichen Empfehlung z. B. BGH, Beschluss vom 26.11.1980, Juris Rn. 2, sowie BGH, Beschluss vom 6.2.1989, NJWRR 1989, 825 f., Juris Rn. 14 ff.).

Insoweit ist deshalb ein Anfechtungs- bzw. Widerrufsrecht der Antragstellerin ernstlich zu erwägen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass selbst dann, wenn sich im Hauptsacheverfahren eine wirksame Anfechtung des Asylantrages nicht erweisen sollte, die von der Antragstellerin beanstandete Fehlberatung, wenn sie stattgefunden hat, nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. Für diesen Fall dürfte es dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen, wenn sich die Ausländerbehörde, die selbst eine wesentliche Ursache für einen in der Sache ungewollten und als rechtsmissbräuchlich erscheinenden Asylantrag eines minderjährigen Kindes gesetzt hat, hiernach zu dessen Lasten auf die Rechtsfolgen des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG beruft. Insoweit dürfte der Anwendungsbereich dieser Missbrauchvorschrift (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006, InfAuslR 2007, 213 ff., Juris Rn. 38) verfassungskonform und dem Zweck der Vorschrift entsprechend einengend auszulegen sein.