OLG Karlsruhe

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Zitieren als:
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.07.2007 - 1 AK 41/07 - asyl.net: M11254
https://www.asyl.net/rsdb/M11254
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Auslieferung, Auslieferungshaft, Kurden, PKK, Mitglieder, Verdacht der Mitgliedschaft, menschenrechtswidrige Behandlung, Folter, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse
Normen: IRG § 15 Abs. 2; IRG § 73; EMRK Art. 3; GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 2; IRG § 4 S. 2; AufenthG § 60 Abs. 2
Auszüge:

Keine Auslieferung eines Kurden aus der Türkei wegen Vorwurfs der Mitgliedschaft in PKK, da Gefahr der menschenrechtswidrigen Behandlung besteht

 

Dem Antrag auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls konnte nicht entsprochen werden, weil nach vorläufiger Beurteilung eine Auslieferung des Verfolgten in die Türkei aufgrund des dortigen Auslieferungsersuchens vom 15.5.2007 nicht mit Wahrscheinlichkeit in Betracht kommen wird (§ 15 Abs. 2 IRG). Nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen liegt nämlich ein Auslieferungshindernis nach § 73 IRG i.V.m. Art 3 EMRK und Art 1 Abs.1, Art. 2 Abs. 2 GG vor.

1. Eine Auslieferung ist dann unzulässig, wenn begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dem Verfolgten im ersuchenden Staat die Gefahr droht, gefoltert oder in anderer Weise menschenrechtswidrig behandelt zu werden (BVerfG NStZ 2001, 100 f.; Senat StV 2004, 442 ff. = NStZRR 2004, 345 ff.; OLG Koblenz StV 2002, 87; KG StV 1996, 103 ff.; Wolff StV 2004, 154 ff, 159; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2007, Art. 3 MRK Rn. 1 ff.; zum Begriff der Folter vgl. das Internationale Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafe vom 10.12.1984, BGBl. 1990 II, S. 246, 1993 II, S. 715, 1996 II, S. 282). Gleiches gilt, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Verurteilung des Verfolgten auf einem Geständnis beruht, das durch Folter erzwungen worden ist (vgl. hierzu jüngst OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.5.2007, 3 Ausl 87/06 und OLG Jena NJW 2007, 1700 f.), oder durch Folter erzwungene Aussagen anderer Personen zur Überführung des Verfolgten dienen sollen. Hinsichtlich drohender Folter reicht es allerdings nicht aus, dass eine menschenrechtswidrige Behandlung aufgrund früher bekannt gewordener Vorfälle nicht ausgeschlossen werden kann, vielmehr muss unter Berücksichtigung des wachsenden Interesses der Nationen, flüchtige Tatverdächtige der Heimatjustiz zu übergeben, ein echtes Risiko unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Bestrafung bestehen (BVerfG, Beschluss vom 29.05.1996, 2 BvR 66/96). Ein besondere Schwierigkeit in der Beurteilung besteht dann, wenn dem ersuchenden Staat – wie der Türkei – eine Bekämpfung solcher tatsächlich vorkommender Misshandlungen ein echtes Anliegen ist (vgl. Wolff a.a.O., 159). Bleiben trotz durchgeführter Aufklärungsmöglichkeiten Zweifel, ob dem Verfolgten im Falle seiner Auslieferung die Folter droht, gehen diese zugunsten des Verfolgten (Senat a.a.O., KG a.a.O.).

2. Aus den nach Eingang des Haftbefehlsantrags der Generalstaatsanwaltschaft vom Senat beigezogenen Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ergibt sich, dass diese Behörde aufgrund Urteils des Verwaltungsgerichts F./Deutschland vom 13.8.2003 bezüglich des Verfolgten mit Bescheid vom 27.11.2003 ein Abschiebehindernis nach § 53 Abs.1 und 4 AuslG a. F. in Bezug auf die Türkei anerkannt hat, so dass der Verfolgte derzeit nicht in sein Heimatland abgeschoben werden darf. Das Verwaltungsgericht F. ist bei seiner Entscheidung dabei davon ausgegangen, dass dem Verfolgten wegen seiner Mitgliedschaft in der PKK im Falle seiner Rückkehr in die Türkei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrige Behandlung droht und er der Folter durch türkische Sicherheitskräfte ausgesetzt sein wird.

a. Allerdings ist diese Entscheidung für den Senat nicht bindend. Selbst bei einer – im Falle des Verfolgten ausdrücklich abgelehnten – Anerkennung als politischer Flüchtling nach dem AsylVfG hat das Oberlandesgericht unabhängig von der Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu prüfen, ob eine politische Verfolgung i.S.d. § 6 IRG vorliegt (vgl. § 4 Satz 2 IRG) oder sonstige Auslieferungshindernisse bestehen. Allerdings kommt der Entscheidung der Verwaltungsbehörde eine indizielle Wirkung zu (Senat NStZRR 2004, 218 f. = StV 2004, 445 ff. = InfAuslR 2004, 249 ff. = AuAS 2004, 164 ff.; OLG München StV 1996, 100 f.; OLG Jena NJW 2007, 1700 f.). Deren Bedeutung und Gewicht hängt dabei maßgeblich davon ab, welche Gründe der Verfolgte im Asylverfahren zur Begründung seiner politischen Verfolgung angegeben hat. Hat die Verwaltungsbehörde dem Verfolgten in voller Kenntnis der diesem im ersuchenden Staat vorgeworfenen Straftaten Asyl oder Abschiebeschutz gewährt, kommt dieser Einschätzung auch im Auslieferungsverfahren zur Vermeidung divergierender Entscheidungen erhebliche Bedeutung bei. Hat der Verfolgte hingegen die gegen ihn im ersuchenden Staat erhobenen Vorwürfe im Asylverfahren verschwiegen, bedarf die Frage des Vorliegens eines Auslieferungshindernisses sorgfältiger Prüfung. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass sich derjenige nicht auf den Schutz vor politischer Verfolgung berufen kann, der seine Überzeugung unter Einsatz terroristischer Mittel betätigt hat (Senat NStZ-RR 2004, 442 ff.=NStZ 2004, 345 ff.; BVerfG EuGRZ 1996, 324 ff.; vgl. auch § 51 Abs.3 Satz 2 AuslG a. F.; § 6 Abs.1 Satz 2 IRG; Art. 1 Nr. c des EuTerrÜbK v. 27.01.1977). Hingegen gilt das Verbot der Folter uneingeschränkt (Senat StV 2004, 442 ff. = NStZ-RR 2004, 345 ff.).

b. Der Senat misst der aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts F. vom 13.8.2003 ergangenen Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27.11.2003, bezüglich des Verfolgten ein Abschiebehindernis nach § 53 Abs.1 und 4 AuslG a. F. (vgl. nunmehr auch § 60 Abs. 2 AufenthG) anzuerkennen, erhebliche indizielle Bedeutung bei.

Der Verfolgte hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nämlich die Anklageschrift der Leitenden Oberstaatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichts in I./Türkei vom 21.12.1993, welche Gegenstand des vorliegenden Auslieferungsersuchens ist, vorgelegt und die ihm dort vorgeworfenen Taten bestritten. Diese habe er bei den türkischen Justizbehörden nur deshalb gestanden, weil er weiterer Folter habe entgehen wollen. Er stamme aus einer Familie, die immer wieder unter dem Verdacht der Unterstützung separatistischer prokurdischer Aktivitäten gestanden habe.

3. Auch nach der gebotenen – wenn auch vorläufigen – eigenen Bewertung dieser im Verwaltungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse durch den Senat besteht derzeit eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine Auslieferung des Verfolgten wegen Bestehens eines Auslieferungshindernisses ausscheidet. Es bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte wegen seiner Mitgliedschaft in der PKK im Falle seiner Auslieferung zumindest im Polizeigewahrsam einer menschenrechtswidrigen Behandlung und der Folter ausgesetzt sein würde. Aus diesem Grund wird dem Auslieferungsersuchen der türkischen Justizbehörden nach vorläufiger Beurteilung nicht entsprochen werden können, so dass sich die Auslieferung als von vornherein unzulässig im Sinne des § 15 Abs.2 IRG erweist und der Erlass eines Auslieferungshaftbefehls jedenfalls derzeit ausscheidet (Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, 4. Aufl. 2006, § 15 Rn. 32).