VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 05.07.2007 - AN 16 K 03.32041 - asyl.net: M11293
https://www.asyl.net/rsdb/M11293
Leitsatz:
Schlagwörter: Indien, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Folter, menschenrechtswidrige Behandlung, Terrorismus, ISYF, International Sikh Youth Federation, Grenzkontrollen, Situation bei Rückkehr, Racheakte, Auslieferung, Auslieferungsvertrag, Menschenrechtslage, Regimegegner, Terrorismusvorbehalt, Abschiebungsandrohung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; AufenthG § 60 Abs. 9; AufenthG § 60 Abs. 8
Auszüge:

§ 60 Abs. 2 und Abs. 5 AufenthG für indischen Staatsangehörigen, der Aktivist der International Sikhs Youth Federation (ISYF) war

 

Soweit im Bescheid vom 4. Dezember 2003 in Ziffer 3) das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG verneint wurde, ist die Klage jedoch begründet. Nach § 53 Abs. 1 AuslG – jetzt § 60 Abs. 2 AufenthG – kann ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden. Nach § 53 Abs. 4 AuslG – jetzt § 60 Abs. 5 AufenthG – darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Beide Voraussetzungen liegen beim Kläger vor. Entgegen der Auffassung des Bundesamtes ist die Kammer der Überzeugung, dass der indische Staat durchaus ein nachhaltiges Verfolgungsinteresse an dem Kläger hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er sowohl von Rumänien als auch von Griechenland die Auslieferung des Klägers gefordert hat. Zwar liegt in der Bundesrepublik Deutschland ein derartiges Auslieferungsbegehren nicht vor, welche Gründe hierfür allerdings ausschlaggebend waren, lässt sich nicht feststellen. Wie der Kläger glaubhaft geschildert hat, wurde er bereits während seiner Haftverbüßung in Rumänien von der indischen Polizei gefoltert, die offenbar Zugang zum Gefängnis erhalten hatte, auch wurden dort mehrere Anschläge auf ihn verübt. In Griechenland konnte seitens der griechischen Behörden die Sicherheit des Klägers ebenfalls nicht gewährleistet werden. Die indische Regierung geht konsequent gegen militante Oppositionsgruppen vor und bekämpft diese entsprechend den Sicherheitsgesetzen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durch Polizei, militärische und paramilitärische Kräfte. Zwar ist die ISYF in Indien nur noch politisch, nicht mehr terroristisch aktiv (siehe Lagebericht Indien vom 19.11.2006, Seite 12), sie wird jedoch noch international als terroristische Organisation angesehen und gehört zu den durch den "Prevention of Terrorism Act" (POTA) verbotenen Organisationen. Zwar wurde POTA inzwischen außer Kraft gesetzt, die materiell-rechtlichen Regelungen wurden jedoch in den "Unlawful Activities (Prevention) Act" von 1967 überführt, so insbesondere Strafvorschriften hinsichtlich der Unterstützung und Finanzierung von Terrororganisationen sowie das Unterschlupfgewähren für Terroristen. Die früher von POTA gelisteten terroristischen Organisationen werden weiterhin als terroristische Vereinigungen eingestuft, entsprechend werden sie auch behandelt. Unter diesen Umständen muss der Kläger als erwiesener Terrorist und bekannter Aktivist für ISYF bei einer Rückkehr nach Indien bereits damit rechnen, sofort nach der Einreise festgenommen und in Haft gehalten zu werden. Es ist allgemein bekannt, dass – obwohl Folter durch Gesetz verboten ist – sie von der Polizei in Indien bei Vernehmungen eingesetzt wird. Zwar bestraft der Staat grundsätzlich Folterer, jedoch bleiben Menschenrechtsverletzungen von Polizeibeamten häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren. Sie wird als Befragungsmittel durch die Polizei systematisch gebraucht (Lagebericht Seite 27). Dies gilt insbesondere bei Personen, die des Terrorismus verdächtigt werden. Umso mehr besteht dieses Risiko dann, wenn es sich um einen erwiesenen Terroristen handelt.

Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 2003 - 2 BvR 685/03 - lässt sich die vom Bundesamt angenommene Schutzwirkung für den Kläger nicht ableiten. Zwar ist am 28. Mai 2004 der Auslieferungsvertrag zwischen Indien und Deutschland in Kraft getreten, jedoch können die Schutzwirkungen dieses Vertrages dem Kläger nicht zugute kommen. Dieser wird nämlich gerade nicht auf Grund eines indischen Auslieferungsverlangens nach Indien ausgeliefert werden, vielmehr droht ihm allein die Abschiebung, die nicht unter diesen Vertrag fällt.

Gemäß § 60 Abs. 9 AufenthG kann in den Fällen des § 60 Abs. 8 AufenthG einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Da beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG unzweifelhaft vorliegen, konnte in Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes vom 4. Dezember 2003 die Abschiebung angedroht werden. Er darf jedoch nicht nach Indien abgeschoben werden, da ihm die konkrete Gefahr der Folter und der politisch motivierten höheren Bestrafung droht. Insoweit musste die angedrohte Abschiebung nach Indien in Ziffer 4 Satz 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 4. Dezember 2003 aufgehoben und das Bundesamt verpflichtet werden festzustellen, dass der Kläger nicht nach Indien abgeschoben werden darf.