VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 18.06.2007 - Au 7 K 06.30384 - asyl.net: M11343
https://www.asyl.net/rsdb/M11343
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Konversion, Apostasie, Christen, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Anerkennungsrichtlinie, Monarchisten, exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland, CPI, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Religion, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Religionsfreiheit
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 5 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 9
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I. Nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags darf gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG ein weiteres Asylverfahren nur durchgeführt werden, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz/VwVfG vorliegen.

2. Auch soweit der Kläger sich nunmehr auf einen Übertritt vom islamischen zum christlichen Glauben beruft, scheitert der Asylfolgeantrag bereits daran, dass der Vortrag des Klägers hierzu nicht glaubhaft ist und ein geänderter Sachverhalt, der zu seinen Gunsten wirken könnte, somit nicht vorliegt.

Zunächst hält das Gericht es bereits für merkwürdig, dass der Kläger, der sich ein Jahr lang mit der Bibel beschäftigt haben will, bevor er am 21. Juli 2006 "getauft" worden sein soll, von seinem Glaubenswechsel nicht schon früher, z. B. im Asylerstverfahren, berichtet hat.

Unabhängig davon wäre der subjektive Nachfluchtgrund der Konversion gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG auch präkludiert. § 28 Abs. 2 AsylVfG knüpft an die zu § 28 Abs. 1 AsylVfG entwickelten Grundsätze an, wonach auch Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht gewährt werden kann, wenn nach Abschluss des ersten Asylverfahrens vom Asylbewerber aus eigenem Entschluss geschaffene Verfolgungsgründe mangels Kausalität zwischen Verfolgung und Flucht in der Regel nicht zur Asylgewährung führen können. Diese Regelung steht aufgrund der in Art. 5 Abs. 3 RL 2004/83/EG enthaltenen Öffnungsklausel im Einklang mit der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung von Flüchtlingen (sogenannte Qualifikationsrichtlinie; vgl. VG Darmstadt, Urteil vom 20.10.2006, Az.: 5 E 689/05.A; a. A. z. B. VG Lüneburg vom 29.11.2006, Az.: 1 A 165/04 Juris). Eine Ausnahme ist nach beiden Regelungen – nach § 28 Abs. 1 und Abs. 2 AsylVfG – nur dann anzunehmen, wenn der Entschluss einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht. Dies ist hier nicht der Fall.

3. Das Gesagte gilt in gleicher Weise auch im Hinblick auf die vom Kläger angegebenen politischen Aktivitäten für die monarchistische Organisation CPI. Der Kläger ist gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG auch insoweit präkludiert. Denn er ist erst nach Verlassen seines Heimatlandes (exil-) politisch tätig geworden, ohne dass seine diesbezüglichen Aktivitäten einer bereits im Herkunftsland erkennbaren politischen Überzeugung entsprochen hätten.

Gleichwohl ist das Gericht der Überzeugung, dass die vom Kläger zur Begründung seines Folgeantrages vor dem Bundesamt und im gerichtlichen Verfahren geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 VwVfG nicht erfüllen. Insbesondere ist keine neue Sach- oder Rechtslage im Sinn dieser Bestimmung erkennbar und auch neue Beweismittel, die zu einer günstigeren Entscheidung geführt hätten, sind dem Gericht nicht vorgelegt worden.

In ständiger Rechtsprechung geht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 25.9.1991 - 19 BZ 89.30032, Urteil vom 18.7.2001 - 19 B 96.35762, Urteil vom 16.1.2002, - 19 B 97.30598 u.a.) sowie andere Obergerichte (vgl. z.B. OVG Lüneburg vom 22.6.2005 - 5 LB 51/02; VGH Kassel vom 23.1.2005 - 11 UE 3311/04 A) davon aus, dass die Exilszene in Deutschland zwar vom iranischen Geheimdienst überwacht wird, es angesichts der Vielzahl von Iranern, die sich im Bundesgebiet aufhalten, jedoch ausgeschlossen erscheint, dass jeder Iraner hier beobachtet bzw. dass er auch identifiziert wird. Auch den iranischen Stellen ist bekannt, dass eine große Zahl iranischer Asylbewerber aus wirtschaftlichen oder anderen unpolitischen Gründen versucht, im westlichen Ausland und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland dauernden Aufenthalt zu finden, und diese hierzu Asylverfahren betreiben, in deren Verlauf eine oppositionelle Betätigung geltend gemacht und dementsprechend auch ausgeübt wird. Allein die Teilnahme an Massenveranstaltungen oder damit verbundene untergeordnete Tätigkeiten, wie sie von den Exilorganisationen erwartet werden, führen deshalb nicht zwingend zu einer Überwachung bzw. Identifizierung der Betreffenden oder gar zu einer politischen Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran.

Angesichts dessen werden die iranischen Stellen die schwierigen und aufwändigen Ermittlungen zur Identifizierung von Asylsuchenden auf diejenigen Personen beschränken, die auf Grund besonderer Umstände über die massentypischen und niedrigprofilierten Erscheinungsformen exilpolitischer Proteste hinaus Funktionen wahrgenommen und/oder Aktivitäten entwickelt haben, die den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse der mit dem Regime in Teheran "Unzufriedenen" herausheben und als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner erscheinen lassen.

Dabei wird es sich in der Regel um solche Personen handeln, die in ihrer Organisation auf überregionaler Ebene Führungs- oder Funktionsaufgaben wahrnehmen, die sich an nur Führungspersönlichkeiten vorbehaltenen Veranstaltungen beteiligen, an führender Stelle Verantwortung für Presseerzeugnisse, öffentliche Veranstaltungen und wirtschaftliche Belange der Organisation übernehmen oder an verantwortlicher Stelle Kontakte zu den Zentralen der monarchistischen Exilopposition in den USA unterhalten. Nur unter diesen Voraussetzungen wird das Vorliegen einer Verfolgungsgefährdung sowohl vom Bundesamt für Verfassungsschutz (vgl. Auskunft vom 28.1.2003 an VG Schleswig) als auch vom Deutschen Orientinstitut (vgl. die Auskünfte vom 26.5.2003 an VG Schleswig und vom 5.10.2005 an VG Ansbach) bejaht (vgl. hierzu sowie zur Beurteilung der Gefährdung von Mitgliedern exilpolitischer Organisationen wie der CPI ausführlich: VGH Kassel, Urteil vom 11.5.2006, Az.: 11 UE 1413/05.A - Juris; den dortigen Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht an).

Die genannten Voraussetzungen liegen beim Kläger jedoch nicht vor.

II. Der Klage ist schließlich auch insoweit der Erfolg zu versagen, als der Kläger die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG beantragt hat.

Der Kläger kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, dass seiner Abschiebung ein Verbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 9 EMRK entgegen steht. Die Abschiebung eines Ausländers in einen Staat, der nicht Mitglied des Europarats und Unterzeichner der EMRK ist, ist nach § 60 Abs. 5 AufenthG zwar auch dann unzulässig, wenn von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind. Zu dem menschenrechtlichen Mindeststandard, der auch in einem Abschiebezielstaat, der nicht Vertragsstaat der EMRK ist, gewahrt sein muss, gehört der unveräußerliche Kern der Religionsfreiheit. Der damit gewährte Schutz entspricht dem des "religiösen Existenzminimums" im Asylrecht, das die Religionsausübung im privaten Bereich umfasst (sog. forum internum) (BVerwG, Urt. v. 20.01.2004 - 1 C 9.03, BVerwGE 120,16; Urt. v. 24.05.20009 - C 34/99, BVerwGE 111, 223; Hess. VGH, B. v. 09.02.2006 - 2 UZ 3768/04.A, DÖV 2006, 571). Die in der Qualifikationsrichtlinie (Art. 10 Abs. 1 b RL 2004/83/EG) enthaltene weitergehende Begriffsdefinition der "Religion" umfasst neben dem "privaten" Bereich auch den Bereich der öffentlichen Religionsausübung, was jedenfalls bei der Auslegung des § 60 AufenthG zu berücksichtigen oder – nach inzwischen erfolgtem Ablauf der Umsetzungsfrist am 10.10.2006 – möglicherweise unmittelbar geltendes Recht ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 21.06.2006 - A 2 S 571/05 -, Rn. 40 bis 42, zit. nach juris; VG Darmstadt, Urt. v. 05.07.06 - 8 E 1666/04 -).

Der Kläger wäre bei einer Rückkehr in den Iran in der solchermaßen geschützten Religionsausübung jedoch nicht betroffen, da er das Gericht nicht davon überzeugen konnte, mit dem durch Taufe formal vollzogenen Beitritt zu einer "Gottesgemeinde" eine echte, ihn in seiner religiös-personalen Identität erfassende und auch nach einer Rückkehr nachhaltig wirkende Hinwendung zum christlichen Glauben vollzogen zu haben.

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen droht dem Kläger nach den vorliegenden Erkenntnismitteln aufgrund der geltend gemachten Konversion in Deutschland bei einer Rückkehr in den Iran aus religiösen Gründen auch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG). Die Annahme einer konkreten Gefahr setzt eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation voraus. Anhaltspunkte sind hierfür nicht ersichtlich. Der Abfall vom Islam ist zwar nach kodifiziertem iranischen Strafrecht nicht mit Strafe bedroht. Aus den neueren Auskünften ergibt sich jedoch, dass iranischen Staatsangehörigen, die in Deutschland konvertiert sind, nach der im Iran geübten Rechtspraxis keine abschiebungsrelevanten Gefahren drohen, denn Fälle einer Bestrafung allein wegen des Übertritts zum christlichen Glauben sind nicht bekannt geworden (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 02.05.2005 - 14 B 02.30703 m.w.N.; Sächs. OVG, Urt. v. 04.05.2005 - A 2 B 524/04 -, zit. nach juris). Staatliche Maßnahmen richteten sich bisher ganz überwiegend gezielt gegen Kirchenführer und in der Öffentlichkeit besonders Aktive der zumeist aus Amerika stammenden evangelikalen Freikirchen, wie z.B. der "Assembly of God", die im Iran offen und aktiv Missionierungsarbeit unter Muslimen betrieben haben (Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 20; Deutsches Orient-Institut, Auskunft an Sächs. OVG v.

06.12.2004).