VG Ansbach

Merkliste
Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 15.05.2007 - AN 19 K 06.30731 - asyl.net: M11400
https://www.asyl.net/rsdb/M11400
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Jesiden, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Erlasslage, Abschiebungsstopp, Sicherheitslage, Versorgungslage
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Ein Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter oder zumindest auf die Gewährung von Abschiebungsschutz von § 60 Abs. 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aus der Zugehörigkeit des Klägers zur Religionsgemeinschaft der Yeziden. Eine dem Kläger bei unterstellter Rückkehr ernsthaft bzw. mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit deswegen drohende Verfolgung ist nicht erkennbar, wobei für die gerichtliche Entscheidung maßgeblicher Zeitpunkt derjenige der mündlichen Verhandlung ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Keine Anhaltspunkte gegeben sind zunächst für eine individuell dem Kläger wegen seiner Religionszugehörigkeit drohende Verfolgung. Ebenso kann nicht von einer kollektiven Verfolgungssituation der Yeziden insbesondere deswegen ausgegangen werden, weil die Yeziden als Gruppe verfolgt werden, sei es durch den irakischen Staat – im Weg mindestens unmittelbarer Verfolgung – oder auch durch nichtstaatliche Akteure unter den in § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c) AufenthG genannten Voraussetzungen.

Insoweit befindet sich das Gericht mit seiner Beurteilung in Übereinstimmung mit der – soweit ersichtlich – einhelligen Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte in jüngerer und jüngster Zeit (siehe VGH Mannheim vom 16.11.2006 - A 2 S 1150/04 -, OVG Schleswig vom 14.12.2006 - 1 LB 67/05 -, OVG Saarlouis vom 28.2.2007 - 3 Q 105/06 -, OVG Saarlouis vom 5.3.2007 - 3 A 12/07 - und OVG Lüneburg vom 19.3.2007 - 9 LB 373/06). Ist nach alledem eine dem Kläger jedenfalls drohende politische Verfolgung weder glaubhaft gemacht noch sonst als vorliegend zu erachten, so liegen auch von daher nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG vor und ebenso nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Der Kläger kann sich auch nicht auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG berufen. Insbesondere steht dem Kläger kein Schutz vor Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG in der durch die ständige obergerichtliche Rechtsprechung (BVerwGE 99, 324 – zu § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG –) gewonnenen Auslegung zu. Dem steht schon entgegen, dass nach wie vor der von der Innenministerkonferenz (IMK) am 20./21. November 2003 gefasste und den bayerischen Ausländerbehörden mit Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren (IMS) vom 18. Dezember 2003 - Gz. IA 2-2084.20-13 mitgeteilte Beschluss Bestand hat, wonach zwangsweise Rückführungen ausreisepflichtiger irakischer Staatsangehöriger bis auf Weiteres faktisch nicht möglich sind. Dies hat zur Folge, dass den betreffenden Personen im Normalfall jeweils Duldungen für sechs Monate erteilt bzw. entsprechend verlängert werden.

Im Übrigen ist nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen und den Erkenntnissen aus allgemein zugänglichen Medien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die gegenwärtige allgemeine Sicherheitslage im Irak so instabil ist, dass ein Iraker im Falle einer Abschiebung in sein Heimatland gewissermaßen "sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen" im Sinne der Rechtsprechung (zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) oder Folter bzw. unmenschlicher Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Den Erkenntnisquellen ist zu entnehmen, dass erkennbares Ziel von Anschlägen vor allem herausragende Persönlichkeiten bzw. besondere Einrichtungen, z.B. Rekrutierungseinrichtungen, sind. Zu beachten ist dabei, dass die Folgen dieser gewalttätigen Auseinandersetzungen und Anschläge die Bevölkerung gleichsam "blind" treffen können. Dies trägt allerdings die Annahme einer landesweit bestehenden extremen Gefahrenlage nicht (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Auch die allgemeine Versorgungslage im Irak stellt sich nicht als extrem existenzgefährdend dar.