Nach Inkrafttreten des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 20.07.2006 (BGBl. 2006 I, 1721) am 2.8.2006 richtet sich der Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach dem neu eingeführten Achten Teil des IRG, wobei die übrigen Bestimmungen des IRG Anwendung finden, soweit dieser Teil keine abschließende Regelung enthält (78 IRG). Nach der hierdurch neu eingeführten Vorschrift des § 79 Abs. 2 Satz 3 IRG obliegt dem Senat im Verfahren nach § 29 IRG die Überprüfung der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, keine Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend machen zu wollen.
Durch diese Vorschrift wird dem Postulat des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 18.7.2005 (BVerfGE 113, 273 = NJW 2005, 2289) Genüge getan, nach welchem jedenfalls für den Bereich des Europäischen Haftbefehls auch die Entscheidung der Bewilligungsbehörde einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt (BT-Drucks. 16/1024 S. 11,12).
a. Rechtsfehlerfrei ist sie insoweit, als die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe die Geltendmachung eines Bewilligungshindernisses nach § 83b Abs. 1a IRG nicht beabsichtigt.
Nach dieser Vorschrift kann die Bewilligung der Auslieferung abgelehnt werden, wenn gegen den Verfolgten wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, im Geltungsbereich dieses Gesetzes ein strafrechtliches Verfahren geführt wird. Zwar ist gegen die Verfolgte in der Bundesrepublik Deutschland bislang noch kein innerstaatliches Ermittlungsverfahren anhängig, die Generalstaatsanwaltschaft K. hat aber zutreffend gesehen, dass die Einleitung eines solchen wegen des Legalitätsprinzips aufgrund der bestehenden innerstaatlichen Strafgewalt nach § 3 StGB geboten ist und hat deshalb die Vorschrift des § 83b Abs. 1a IRG in ihre Prüfung mit eingestellt. Die dabei vorgenommene hypothetische Erwägung auch für den Fall der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die zuständige Staatsanwaltschaft Y. sei nicht beabsichtigt ein Bewilligungshindernis geltend zu machen, kann jedenfalls dann als ausreichend angesehen werden, wenn sich eine innerstaatliche Verfolgung aufgrund der Sachumstände nicht förmlich aufdrängt, etwa weil bei der zuständigen Staatsanwaltschaft bereits weitere Ermittlungsverfahren gegen den Verfolgten anhängig sind.
Die insoweit vorgenommene Ermessensabwägung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat bei ihrer Bewertung, kein Bewilligungshindernis geltend machen zu wollen, neben Erwägungen zum Tatort maßgeblich auf das Interesse der in den Niederlanden ansässigen Verletzten und die effektive Verfügbarkeit der Beweismittel in den Niederlanden abgehoben (vgl. Senat Beschluss vom 13.3.2007, 1 AK 28/06, abgedruckt bei juris; vgl. BT-Drucks. 16, 1024, S. 13).
b. Als nicht rechtsfehlerfrei kann die Entschließung vom 6.3.2007 aber insoweit angesehen werden, als die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auch die Geltendmachung eines Bewilligungshindernisses nach § 83b Abs. 2a IRG versagt hat. Insoweit vermag der Senat auch nicht auszuschließen, dass bei einer rechtsfehlerfreien Abwägung eine andere Sachentscheidung getroffen worden wäre.
Nach der genannten Vorschrift kann die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zum Zwecke der Strafverfolgung abgelehnt werden, wenn die Auslieferung eines Deutschen zu diesem Zwecke nach § 80 Abs. 1 und 2 IRG nicht zulässig wäre. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber im EuHbG vom 20.7.2006 in Abweichung vom EuHbG vom 20.7.2004, welches in § 80 Abs. 3 IRG a. F. eine vollkommene Gleichstellung von Deutschen mit hier lebenden Ausländern vorsah, der Bewilligungsbehörde für besondere Umstände ein fakultatives Bewilligungshindernis einräumen und in ihr Ermessen stellen wollen, ob sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 und 2 IRG ein solches geltend machen will (BT-Drucks. 16/2015, S. 33). Nach diesen Bestimmungen ist die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafverfolgung nur bei Sicherung der Rücküberstellung (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG) und bei Straftaten mit maßgeblichem Auslandsbezug (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 IRG) uneingeschränkt zulässig. Bei Straftaten mit maßgeblichem Inlandsbezug (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.2 IRG) ist sie hingegen grundsätzlich unzulässig. Bei sog. Mischfällen ist sie nur dann statthaft, wenn neben der Sicherung der Rücküberstellung (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG) die beiderseitige Strafbarkeit vorliegt und bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen das schutzwürdige Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung nicht überwiegt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3; Satz 2 bis 5 IRG).
In ihrer Entschließung vom 6.3.2007 hat die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe diese Kriterien nur teilweise berücksichtigt.
Zutreffend geht sie zunächst davon aus, dass die Verfolgte, die seit 28 Jahren in Y. lebt, in der Bundesrepublik Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt i. S. d. § 83b Abs. 2 IRG hat, weil dieser ersichtlich auf Dauer angelegt ist (vgl. Senat Beschluss vom 13.3.2007, 1 AK 28/06, abgedruckt bei juris; Renner, AuslR, 8.Aufl. 2005, § 28 AufenthG Rn.6).
aa. Eine vollständige Ablehnung der Bewilligung wäre bei gesicherter Rücküberstellung nur ausnahmsweise (BT-Drucks. 16/2015 S. 33) dann möglich gewesen, wenn es sich – bei der der Verfolgten vorgeworfenen Tat – bei einem Deutschen um eine Tat mit maßgeblichem Inlandsbezug oder aber um einen sog. Mischfall handeln würde, bei welchem die beiderseitige Strafbarkeit fehlt und/oder bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen das schutzwürdige Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung überwiegt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3; Satz 2 bis 5 IRG). Für die Frage, ob die Tat einen maßgeblichem Inlandsbezug aufweist, kommt es bei mehreren Tatbeteiligten nicht allein auf den Ort an, an welchem der Verfolgte seinen Tatbeitrag geleistet hat. Vielmehr ist nach § 9 Abs. 2 StGB auch der Ort maßgeblich, an dem die Teilnehmer gehandelt haben. Bei Mittätern ist jedem das Handeln des anderen nach § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen (Tröndle/Fischer, StGB, 54. Auflage 2007, § 9 Rn. 3 a.E.). Auch wenn die Verfolgte nach dem von den niederländischen Justizbehörden erhobenen Tatvorwurf ihren in der Entgegennahme und Verwaltung inkriminierter Gelder liegenden Tatbeitrag in der kriminellen Vereinigung allein im Inland erbracht hat, muss sie sich deshalb das Handeln der übrigen Angehörigen der Organisation in den Niederlanden zurechnen lassen. Eine Tat mit maßgeblichem Inlandsbezug liegt daher nicht vor, zumal der Schwerpunkt aller Tatbeiträge in den Niederlanden liegt. Andererseits hat aus Sicht der Verfolgten die Tat aber wegen ihres eigenen Tatbeitrages im Inland keinen maßgeblichem Auslandsbezug, so dass die Bewertung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, es sei von einem Mischfall auszugehen, ebenso rechtlich zutreffend ist wie ihre Ansicht, dass das schutzwürdige Vertrauen der Verfolgten in ihre Nichtauslieferung nicht überwiege und beiderseitige Strafbarkeit vorliege.
bb. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe erwägt in ihrer Entschließung vom 6.3.2007 zwar eingangs, ob sie die niederländischen Justizbehörden zur Abgabe einer Erklärung hinsichtlich der Rücküberstellung auffordern will, begründet aber insoweit ihre Ablehnung nicht.
Dies wäre aber notwendig gewesen, weil bei der Auslieferung eines hier lebenden Ausländers zur Strafverfolgung im Rahmen der Abwägung nach § 83b Abs. 2a IRG immer zu prüfen und zu berücksichtigen ist, ob der Betroffene angesichts seiner familiären und sozialen Einbindung in Deutschland ein berechtigtes Interesse daran hat, nicht bzw. nur dann ausgeliefert zu werden, wenn gesichert ist, dass er nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion auf seinen Wunsch nach Deutschland zur Strafvollstreckung zurück überstellt wird (BT-Drucks. 16/2015, S. 33/34). Maßgeblicher Ansatzpunkt ist dabei neben der Resozialisierung des Täters vor allem der nach Art. 6 GG zu berücksichtigende Schutz von Ehe und Familie (vgl. BT-Drucks. 16/1024,S. 10, 11). Auch die Dauer des Aufenthalts des Verfolgten in der Bundesrepublik Deutschland und die Intensität der hier bestehenden Kontakte müssen beachtet werden. Insoweit liegt es auf der Hand, dass die Belange eines Verfolgten, eine von einem EU-Mitgliedstaat verhängte Strafe in der Bundesrepublik Deutschland verbüßen zu können, bei einem seit vielen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden und gesellschaftlich integrierten ausländischen Mitbürger anders zu gewichten sind als bei einem Verfolgten, der sich in der Bundesrepublik Deutschland erst seit kurzem aufhält (Senat, Beschluss vom 13.3.2007, 1 AK 28/06; abgedruckt bei juris).