OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.05.2007 - 2 S 47.07 - asyl.net: M11418
https://www.asyl.net/rsdb/M11418
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Sachaufklärungspflicht, fachärztliche Stellungnahmen, Beweisantrag, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 123
Auszüge:

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde hat selbst dann keinen Erfolg, wenn man auf Grund der Beschwerdebegründung und der in erster Instanz gestellten Anträge im Wege der Auslegung das Rechtsschutzziel der Antragstellerin dahingehend herausarbeitet, dass sie im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erreichen möchte, dass ihre Abschiebung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG ausgesetzt wird, weil sie wegen einer psychischen Erkrankung reiseunfähig sei.

Zwar ist es den Gerichten regelmäßig verwehrt, eigene medizinische Bewertungen, etwa zur Schwere und zum Ausmaß einer psychischen Erkrankung vorzunehmen, ohne die hierfür erforderliche Sachkunde zu besitzen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. März 2006, NVwZ 2007, S. 346; OVG Bln-Bbg, Beschlüsse 19. März 2007 - 2 S 20.07 - und vom 26. April 2007 - OVG 2 N 48.06 - m.w.N.). Das hindert das Verwaltungsgericht aber nicht, in eigener Beurteilung Mindestanforderungen an die Verwertbarkeit ärztlicher Stellungnahmen zu stellen und im konkreten Einzelfall zu überprüfen. Wie in der Rechtsprechung (vgl. u. a. VGH Mannheim, Beschluss vom 15. Oktober 2004, a.a.O) zutreffend herausgearbeitet wurde, müssen solche vom Betroffenen selbst vorgelegten Stellungnahmen ("Privatgutachten") nämlich nachvollziehbar die tatsächlichen Umstände angeben, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt (Befundtatsache). Gegebenenfalls müssen auch die Methoden der Tatsachenerhebung benannt werden. Ferner ist die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) nachvollziehbar ebenso darzulegen wie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus krankheitsbedingten Situationen voraussichtlich in Zukunft – als Folge einer Abschiebung – ergeben (prognostische Diagnose).

Die Darlegungen der Antragstellerin zeigen hingegen nicht auf, dass die ärztliche Stellungnahme vom 29. November 2006 abweichend von der Auffassung des Verwaltungsgerichtes diese fachlichen Mindestanforderungen erfüllt. Die Behauptung, dass Herr M. ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sei, dessen Autorität geschätzt werde und der eine Fachperson sei, vermag nicht zu verdecken, dass die konkrete Stellungnahme die Befundtatsachen unzureichend angibt. Insbesondere wird das traumatisierende Ereignis, auf das die posttraumatische Belastungsstörung eine Reaktion sein soll, nicht benannt.

Auch soweit die Antragstellerin in diesem Kontext einen Verfahrensfehler wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO geltend macht, weil das Verwaltungsgericht kein amtsärztliches Gutachten eingeholt habe, rechtfertigt dies keine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Zum einen obliegt es im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in erster Linie dem Antragsteller selbst, die Tatsachen und präsenten Beweismittel vorzulegen, aus denen sich ein Rechtsanspruch auf Gewährung einer Duldung ergeben soll. Im Übrigen ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u.a. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 25. Januar 2007 - OVG 2 N 17.07 - m.w.N.) die Tatsacheninstanz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht verpflichtet, eine Beweiserhebung vorzunehmen, die – wie hier – eine anwaltlich nicht vertretene Partei nicht beantragt hat. Dass sich hier dem Verwaltungsgericht eine weitere Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, da weder der Vortrag der Antragstellerin noch die ärztliche Stellungnahme greifbare Anhaltspunkte dafür enthalten, dass sich unmittelbar durch die Abschiebung der Gesundheitszustand der Antragstellerin in psychischer Hinsicht wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Auch der Vortrag, dass der Antragsgegner derzeit eine amtsärztliche Begutachtung vornehmen lasse, trifft ausweislich dessen Mitteilung vom 2. Mai 2007 nicht zu.